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«Wir sind heute weltweit bei allen Katastrophen live dabei»

10. April 2016 in Interview, 4 Lesermeinungen
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Kinderpsychiater Winterhoff über Folgen digitaler Überflutung. Von Sabine Kleyboldt (KNA)


Bonn (kath.net/KNA) Die digitale Überflutung führt nach Beobachtung des Bonner Kinderpsychiaters Michael Winterhoff zu einer kollektiven Schädigung der Psyche. In seiner Praxis erlebe er seit Mitte der 90er Jahre, dass sich immer mehr Kinder nicht altersgerecht entwickeln, sagte er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Dienstag in Bonn. Diese Veränderung lasse sich inzwischen auch bei Erwachsenen erkennen.

KNA: Herr Winterhoff, die Krankenkassen melden immer mehr Fälle von Burnout und Depression, auch aufgrund einer ständigen Überforderung. Und Sie sprechen vom «Mythos Überforderung»?

Winterhoff: Es stimmt: Die meisten Menschen sind heute überfordert. Aber sie tun das selbst und unterliegen damit dem Mythos, überfordert zu werden. In meiner Praxis stelle ich seit Mitte der 90er Jahre fest, dass sich immer mehr Kinder nicht ihrem Alter entsprechend entwickeln. Und diese Veränderung lässt sich inzwischen auch bei Erwachsenen erkennen.

KNA: Haben Sie Beispiele?

Winterhoff: Wir gehören zwar zu den technisch besten Ländern der Welt, sind aber nicht mal in der Lage, einen Flughafen zu bauen. Die Entscheider verhalten sich wie Kinder, die sich gegenseitig bekämpfen. Oder auch in der Bildungspolitik gehen wir immer weiter den Bach runter. Für mich der Gipfel ist die Entscheidung, den Kindern keine Schreibschrift mehr beizubringen. Und beim Thema Flüchtlinge haben wir viel zu wenige Politiker, die Verantwortung übernehmen und zupacken. Wenn wir uns nicht rasch um diese Menschen kümmern, nicht schnell entscheiden, wer hierbleiben kann, und diese nicht umgehend integrieren, schaffen wir uns ein großes gesellschaftliches Problem. Was da an psychischen Schwierigkeiten auf die Gesellschaft zukäme, vermag ich nicht zu sagen, das wäre reine Spekulation.

KNA: Woher kommt dieser Mangel an Entscheidungskraft?


Winterhoff: Das liegt an dem Wechsel von der analogen in die digitale Welt. Der technische Fortschritt hat bis etwa 1990 dazu geführt, dass wir Menschen immer mehr Zeit hatten. Doch mit der Digitalisierung ist das Gegenteil eingetreten. Wir stehen alle unter Strom, alles muss sofort gehen. Diese Veränderung führe ich auf die pausenlose flächendeckende mediale Belieferung auf allen Kanälen zurück, die noch durch das Smartphone auf die Spitze getrieben wird. Wir sind heute weltweit bei allen Katastrophen live dabei.

KNA: Welche Folgen hat das für unsere Psyche?

Winterhoff: Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Gehirn nur eine bestimmte Menge an Nachrichten aufnehmen und verarbeiten kann. Die Psyche überprüft bei einer Negativnachricht, ob sie die Person betrifft. Falls ja, entscheidet sie, was zu tun ist. Kommen aber zehn Nachrichten gleichzeitig, gerät der Mensch in den Zustand der diffusen Angst, der Getriebenheit, der Reizüberflutung. Er bewegt sich so durch den Tag, als würde er an einem Adventssamstag in die übervolle Stadt gehen und Weihnachtsgeschenke einkaufen. Nach zehn Minuten sind Sie nicht mehr Sie selbst und nur noch durch Reize gesteuert. So geht das vielen Erwachsenen, die sich nur noch fremdgesteuert fühlen.

KNA: Wie kann ich meiner Psyche helfen?

Winterhoff: Zunächst müssen Sie wissen, wo die Schwachpunkte der Psyche sind. Erstens: Sie ist nicht in der Lage, sich selbst zu beurteilen. Deshalb würden manche Menschen mit Depressionen sich nie selbst so einschätzen. Zweitens: Die Psyche kann nicht beurteilen, was ihr guttut und was nicht. Und drittens: Man kann der Psyche pausenlos schaden, aber sie verursacht keine Schmerzen. Diese Eigenschaften sind zwar wichtig, damit der Mensch Krisen, Kriege, Katastrophen überleben kann. Aber dass wir gar nicht in einer Katastrophe leben und uns nur einer Reizüberflutung aussetzen, kann die Psyche nicht differenzieren. Jetzt werden uns diese wichtigen Überlebens-Mechanismen zum Nachteil. Wir rattern nur noch vor uns hin ohne echte Lebensqualität.

KNA: Geht uns der Sinn des Lebens verloren?

Winterhoff: Die Sinnfrage ist jedenfalls heute sehr schwer zu beantworten. Viele Menschen waren eine Gesellschaft gewohnt, die immer weiter aufstrebt: Wiederaufbau, Wirtschaftswunder, Wiedervereinigung, Neuer Markt. Von daher musste man sich gar nicht mit dem Lebenssinn auseinandersetzen. Das konnte man mit Fragen nach Religion und Glauben tun, aber nicht zwingend. Seitdem aber in der Gesellschaft nur noch alles schlechter wird, Krankenkassen nicht mehr funktionieren, Renten nicht mehr sicher sind, die Zinsen bei null Prozent liegen, ist dem Menschen der Boden unter den Füßen entzogen. Wir brauchen aber eine Perspektive. Daher ist die Gefahr groß, dass wir Erwachsenen über unsere Kinder kompensieren: Auf einmal ist das Glück des Kindes mein Glück, dann fühle ich für das Kind, denke für das Kind, gehe für das Kind in die Schule. So entstehen Symbiosen, die weder für Eltern noch Kinder gut sind.

KNA: Wo lässt sich hier gegensteuern?

Winterhoff: Das Problem ist, dass heute kaum jemand mit sich selbst in Kontakt ist. Um diesen wieder herzustellen, schlage ich ein Experiment vor: Sie machen einen etwa vier- bis fünfstündigen Waldspaziergang, allein, natürlich ohne Handy. Was dann passiert: Kaum sind Sie im Wald, fühlen Sie extremen Druck, weil Sie keine Ablenkung haben. Die Gedanken kreisen ohne Ende. Aber nach zwei bis drei Stunden ändert sich plötzlich die Verfassung: Sie sind entspannt und haben Glücksgefühle. Zu realen Problemen haben Sie eine Distanz und können deshalb zu ganz anderen Ergebnissen kommen. Wenn Sie dann alle 14 Tage ein bis zwei Stunden durch den Wald gehen, werden Sie wieder Kapitän über Ihr Leben sein. Sie entscheiden, ob Sie überhaupt ein Handy brauchen, ob und wann Sie Mails öffnen und so fort.

KNA: Gibt es Alternativen zum Wald?

Winterhoff: Sie können sich zwei bis drei Wochen lang täglich eine halbe Stunde in eine Kirche setzen. In den ersten Tagen hält man es kaum aus und ist froh, wenn man die Kirche verlässt. Dann kommt die Phase, wo man sagt, ich ziehe das jetzt durch. Schließlich ist der Punkt erreicht, wo der Mensch wieder er selbst ist und genießt, dass niemand in dieser halben Stunde an ihm ziehen und zerren kann. Zugleich verfügt er wieder über seine Erwachsenenfunktionen. Wenn man Jahre nicht für seine Psyche gesorgt hat, ständig im Katastrophenmodus war, muss man zunächst eine lange Zeit im gegenteiligen Zustand sein, bevor sich alles regeneriert.

KNA: Warum ausgerechnet Kirche und Wald?

Winterhoff: In der Kirche ist jeder auf sich geworfen, egal, ob gläubig oder nicht. Das Bedauerliche ist nur, dass heute viele Kirchen aus anderen Gründen abgeschlossen sind. In Krankenhauskapellen funktioniert es aber auch. Im Wald kommen Sie über die Bewegung zu sich selbst. Wenn Sie dafür sorgen, spätestens alle 14 Tage wieder mit sich in Kontakt zu sein, kommen Sie auch mit der digitalen Zeit zurecht. Sie sind abgegrenzt, was heute auch kaum noch jemand ist. Sie haben eine hohe Lebensqualität, rasen nicht mehr auf den Tod zu, und sind in der Lage, Kapitän über Ihr eigenes Leben zu sein und Entscheidungen als Erwachsener zu treffen.

Michael Winterhoff: Mythos Überforderung - Trailer zum Buch


(C) 2016 KNA Katholische Nachrichten-Agentur GmbH. Alle Rechte vorbehalten.


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Lesermeinungen

 mirjamvonabelin 12. April 2016 
 

Denselben Sinn

hat auch die stille Anbetung und Rosenkranzbeten, nur wesentlich wirkungsvoller und hat Ewigkeitswert.


2
 
 Fink 11. April 2016 
 

Michael Winterhoff und Manfred Spitzer

sind mit ihren Büchern wichtige Warner !
Der erstere Kinder- und Jugendpsychiater ("Warum unsere Kinder Tyrannen werden" u.a.), der andere Psychiatrie-Professor sowie Lern- und Hirnforscher ("Cyberkrank" und "Digitale Demenz"). Internet und Smartphone bei Kindern und Jugendlichen richten großen Schaden an !


2
 
 Philip 11. April 2016 
 

...

Im AT steht oft, was ja auch bei Jesus' 40 Tage in der Wüste kommt, dass der jeweilige Protagonist sich der Wildnis zuwendet. Seine Fortführung findet dies dann ja in der Tradition des Ruhegebetes; Peter Dyckhoff schreibt in seinem Buch "Bete ruhig", dass ab ca 1050 nach Christus eine "Verkopfung" in der westlichen Kirche eingesetzt hätte, die so z.B. bei den orthodoxen nicht zu beobachten war. Ich denke, es würde der katholischen Kirche gut tun, auch den Laien wieder vermehrt einen Weg zum schweigenden Gebet aufzuzeigen? Das würde vielen Hysterien und Abendlandabschaffungsängesten begegnen... Dyckhoff ist so sogar vom Alkohol losgekommen :).


1
 
 Magdalena77 11. April 2016 

Was für mich...

Habe mir soeben auch den Trailer auf Kathtube angeschaut. Ich werde mir dieses Buch definitiv durchlesen, da ich einiges finde, was auf mich zutrifft, inbesondere die Informationsflut (vor allem schlechte Nachrichten), die mich zunehmend überfordert und resignieren lässt.


3
 

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