Das Urmeter der katholischen Liturgie

28. März 2007 in Aktuelles


Benedikt XVI. hat sich durchgesetzt: Der Papst aus dem Land Luthers wird die lateinische Messe wieder zulassen - Ein begleitender Brief an alle Bischöfe ist schon vorbereitet - Von Paul Badde / Die Welt


Vatikan (www.kath.net / Welt)
Die Wiederzulassung des alten lateinischen Ritus von 1570 durch Benedikt XVI. steht bevor. Für eine solche Wende lässt sich in der Geschichte der katholischen Welt kaum ein Beispiel finden. Der Schritt wird die Kirche verändern. Die souveräne Entscheidung hat der scheue Papst fast im Alleingang auf die Tagesordnung gesetzt, gegen enorme Widerstände. Auch darum haben viele nicht damit gerechnet, dass er diesem Konflikt nicht auswich, sondern unbeirrt nach seiner Auffassung zu entscheiden suchte - etliche Kardinäle eingeschlossen, die vor zwei Jahren mit Joseph Ratzinger noch einen Übergangspapst wählen wollten und zu wählen glaubten.

Erst recht haben viele Mitarbeiter und Würdenträger der römischen Kurie nicht damit gerechnet, dass der deutsche Papst ein solches Zeichen setzt. Der Katafalk etwa, auf dem der Leichnam Johannes Paul II. vom 4. bis zum 8. April 2005 aufgebahrt im Petersdom lag, ist auch zwei Jahre später noch nicht in den Keller verräumt. Stattdessen wurde die Totenbahre nur vorne rechts in der Basilika, in einem Seitenschiff beim Grabmal Clemens X., hinter der Orgel abgestellt.

Ineinander gestapelte Plastikstühle stehen daneben, mit denen die Sitzreihen des Petersdoms rasch aufgefüllt werden können, wenn zu viele Gäste kommen. Eine Plastikfolie deckt die Tuchbespannung des Katafalks ab, als warte er hinter der Orgel nur darauf, morgen wieder hervorgeholt zu werden, um auch dem deutschen Papst eine letzte Rast auf Erden bieten zu können. Die Totenbahre hinter der Orgel wartet natürlich nicht.

Jedoch worauf warten die, die sie versteckt in dieser barocken Rumpelkammer stehen ließen?Das ist eine Frage, die vielleicht nur wenige Eingeweihte irritiert. Mehr Unruhe hat unter anderen die Beobachtung bewirkt, dass im letzten Dezember von den Vatikan-Behörden die Camera Apostolica neu besetzt worden ist, deren Tätigkeit sich vor allem auf die Zeit zwischen dem Tod des Papstes und der Wahl seines Nachfolgers beschränkt. Was sollten die neuen Mitarbeiter dort eigentlich anstellen, außer in den stillen Räumen Däumchen drehen und die Telefone, auf denen sie keiner anruft, für internen Tratsch zu benutzen? Die selbstbewusste Kultur des italienischen "menefreghismo" kann mit vielen Beispielen legendär praktischer Wurstigkeit vielleicht am besten erklären, warum die Kräfte des Beharrens, die nichts geändert haben wollen, im Vatikan so ganz außerordentlich stark sind.

Denn was ist schon italienischer als der Vatikan? Ex-Staatsekretär Sodano weigerte sich hier etwa beharrlich, seine Dienstwohnung zu räumen. Tarcisio Bertone, dem sie als Nachfolger im Amt zusteht, muss Tag für Tag mit einem Behelf vorlieb nehmen. Am Sonntag hoben in der Vesper von Sankt Peter drei Kanoniker von der Empore des Veronika-Pfeilers wieder blitzkurz den "Schleier der Veronika" in einem Silberrahmen hoch, von dem in Rom inzwischen jeder weiß, dass er das alte wahre Bild nicht zeigen kann. Es ist zu groß, es ist nicht durchsichtig, es entspricht in nichts den alten Kopien des "vera ikon". Diesem Stück Stoff hätte Dante keine einzige Zeile seiner "Göttlichen Komödie" gewidmet. Was soll's? Gegen uralte Traditionen haben kleine Evidenzen in der ewigen Stadt nur selten eine Chance. Man könnte solche Vorgänge als eine souveräne Verachtung der Wirklichkeit missdeuten.

Doch das stimmt nur bedingt. Es seien Zustände wie im alten Rom, heißt deshalb unter Fremden der Cantus Firmus vieler Klagen - und das stimmt natürlich in vieler Hinsicht.Denn die Kraft des alten Rom lag tatsächlich auch im zähen und puren Beharren. In diesem Milieu war schon Joseph Ratzinger ein Fremdkörper, der immer ein Bewahrer und Beweger war: ein wahrer Konservativer. Das ist er nun erst recht als Benedikt XVI. geworden.

Der Papst aus dem Land Luthers widersetzt sich leidenschaftlich jedem bleiernen Beharren, das heute in Rom wie dem Rest der Weltkirche oft und paradoxerweise jedoch nicht konservativ ist, sondern ein Beharren auf dem liberalen Zeitgeist der letzten 40 Jahre.

Nicht also in überfälligen Personalentscheidungen, sondern in einer leidenschaftlichen Auseinandersetzung über den von Reformern verbannten alten Ritus der Tridentinischen Messe hat sich die Machtprobe zwischen ihm und einem großen ideologischen Flügel in der Kirche nun zugespitzt. Jetzt gibt Benedikt XVI. die ehrwürdig alte Liturgie, die Papst Paul VI. 1969 mit einem beispiellosen Federstrich abgeschafft und ersetzt hatte (nachdem sie sich in Jahrhunderten entwickelt hatte), wieder frei. Für diesen Schritt hat er sich weder von Eingaben französischer noch deutscher Kardinäle und Bischöfe beeindrucken lassen - und natürlich erst recht nicht von verschiedenen Debatten in den europäischen Feuilletons.

Er werde den Gebrauch der Alten Messe überall dort von der bisher notwendigen - und meist höchst restriktiv gehandhabten - Zustimmung der Ortsbischöfe lösen und befreien, wo zumindest 30 Gläubige darum bäten, hieß es schon im "Corriere della Sera". Es ist die souveräne Revision einer Kulturrevolution, die der Papst in nur zwei Amtsjahren unbeirrt betrieben hat. Wenn ihm nichts zustößt, kommt sein Erlass (motu proprio) über die Befreiung der Tridentinischen Liturgie so sicher wie das Amen in der Kirche sehr bald, wohl noch in der österlichen Zeit.

Ein begleitender Brief an alle Bischöfe ist schon vorbereitet. Die Sache ist entschieden. Es wird keine Systemwiederherstellung werden, wie man sie sich bei einem abgestürzten Computer vorstellen kann. Benedikt XVI. gibt der katholischen Liturgie nur ihr Urmeter zurück, an dem sich fortan auch der vielfach orientierungslos gewordene neue Ritus von 1969 wieder entscheidend neu ausrichten kann. Ein überraschend kosmisches Fingerhakeln hat die Entscheidung vorbereitet. Doch Fingerhakeln ist eine bayerische Spezialität.

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