Petre, Pater Patrum, Papisse Prodito Partum

22. Oktober 2009 in Interview


"Was hat es mit dem gynäkologischen Stuhl auf sich, mit dem früher untersucht wurde, ob Kardinäle auch zur Wahl eines Papstes tauglich waren" – Kath.Net-Interview mit dem Kirchengeschichtler Michael Hesemann zum Kinofilm "Die Päpstin" - Von Paul Badd


Rom (kath.net/pb)
kath.net: Herr Hesemann, in Ihrem Buch über „Die Dunkelmänner und Mythen, Lügen und Legenden der Kirchengeschichte“ haben Sie sich auch ausführlich mit der Geschichte der Päpstin Johanna auseinander gesetzt. Schauen Sie sich jetzt auch den Film dazu an?

Michael Hesemann: Natürlich schaue ich mir den Film an.

kath.net: Warum? Wollen Sie noch etwas dazu lernen?

Hesemann: Nun, es geht mir bei meinem Kinobesuch weniger darum, etwas dazuzulernen, sondern eher um die Frage, wie Sönke Wortmann diesen fiktiven Stoff filmisch umgesetzt hat. Denn die Päpstin hat es ebenso wenig gegeben wie den Magier Gandalf aus dem "Herrn der Ringe". Das sind moderne Märchen für Erwachsene! In diesem Fall: Die christliche Version von "Yentl", leider ohne Barbara Streisand und ihre wunderbaren Lieder.

kath.net: Wie erklären Sie den Mythos?

Hesemann: Donna Woolfolk Cross hat mit ihrem jetzt verfilmten Bestseller auf diesen Yentl-Effekt gesetzt: In einer Zeit vor der Gleichberechtigung kann eine Frau in die Männerdomäne „Religion“ nur eindringen, wenn sie ihrer Weiblichkeit entsagt und sich als Mann verkleidet. In beiden Fällen, „Yentl“ wie der „Päpstin“, macht ihr dann die Liebe einen Strich durch die Rechnung. Das ist natürlich ein Patentrezept für einen Bestseller oder einen Kino-Blockbuster, zumal die meisten Romane nun mal von Frauen gelesen werden, die sich mit der Heldin wunderbar identifizieren können.

kath.net: Worauf zielt er ab?

Hesemann: Es ist halt ein feministischer Mythos geworden, doch ursprünglich war er es ganz und gar nicht. Im Gegenteil: Die Legende von der Päpstin enthält so ungefähr alle frauenfeindlichen Klischees des Mittelalters: Das perfide Weib, das sich nur durch List und Betrug in die heile, gottgewollte Männerwelt einschleichen kann, dann zum Opfer seiner Wollust wird und schließlich, nach der Enttarnung, ihre gerechte Strafe erhält: den Tod. Vielleicht war das gerade das Motiv ihrer Erfinder: Die Geschichte sollte Frauen davor abschrecken, in Männerdomänen vorzudringen! Umso erstaunlicher ist, wie Cross diesen Stoff zu einem feministischen Mythos umdeutete.

kath.net: Wann ist er entstanden und wann ist erstmals von der Päpstin die Rede?

Hesemann: Es gibt zwei Versionen der Legende von der Päpstin. Die erste stammt von Jean de Mailly, einem Dominikanermönch aus dem 13. Jahrhundert. Der erzählt, „um das Jahr 1100“ habe eine kluge Frau gelebt, die, als Mann verkleidet, Zugang zur römischen Kurie fand, zunächst Notar, dann Kardinal und schließlich Papst wurde. Eines Tages, bei einem Ausritt, brachte sie einen Sohn zur Welt. Das aufgebrachte Volk band sie am Schwanz des Pferdes fest und ließ sie rund um die Stadt schleifen, bis sie starb und man sie verscharrte. Dort wurde ein Gedenkstein errichtet, auf dem geschrieben stand: „Petre, Pater Patrum, Papisse Prodito Partum“ – „Petrus, Vater der Väter, offenbare die Kindsgeburt der Päpstin“. Die zweite Version finden wir in der Chronik des Martin von Troppau, auch Martin Polonus genannt, weil er aus Polen stammte, einem päpstlichen Kaplan, der 1278 verstarb. Danach habe nach Papst Leo IV. (847-55) der Engländer Johannes von Mainz zweieinhalb Jahre auf dem Thron Petri gesessen – „er soll, so wurde behauptet, eine Frau gewesen sein“. Sie wurde im Amt schwanger. „Auf dem Weg von St.Peter zum Lateran“, der damaligen Papstresidenz, kam sie nieder, starb und wurde an Ort und Stelle begraben. Später fand eben diese Legende sogar in Form einer später eingefügten Fußnote Eingang in die offizielle Papstchronik, das „Liber Pontificalis“. Kein Wunder also, dass man im Mittelalter durchaus an die Geschichte glaubte.

kath.net: Was sagt die zeitliche Zuordnung über den Hintergrund?

Hesemann: Es sind ja zwei zeitliche Zuordnungen, und das sollte schon skeptisch machen. Einmal soll Päpstin Johanna um 1100, dann Mitte des 9. Jahrhunderts gelebt haben. Wobei Martin von Troppau mit seiner vermeintlichen Datierung schon realistischer wirkt, denn das 9. und 10. Jahrhundert war tatsächlich eine dunkle Epoche des Papsttums.

kath.net: Lässt sich aber beweisen, dass es keine Päpstin gab?

Hesemann: Nun, es gab einen Papst, der zwischen 855 und 858 amtierte, nämlich Benedikt III. Aber das war eben kein Johannes und daher auch keine Johanna. Der letzte Johannes-Papst war Johannes VII. (705-707), der nächste Johannes VIII. (872-882). Nun kann man natürlich behaupten, Benedikt III. sei eine Erfindung der Vatikan-Chronisten gewesen, um die Existenz der Päpstin zu vertuschen. Doch das ist eben nicht der Fall. Denn es gibt Münzen aus dem ersten Jahr seines Pontifikats, die Benedikt III. zusammen mit dem Ende 855 verstorbenen Kaiser Lothar zeigen. Im Oktober 855 erließ dieser Papst eine Charta für die Abtei Corvey. Seine Korrespondenz mit dem Erzbischof von Reims ist ebenso erhalten wie sein Rundschreiben an die Bischöfe im Frankenreich Karls des Kahlen. Benedikt III. ist also historisch bezeugt, Johanna nicht. Auch der exkommunizierte byzantinische Patriarch Photios, ein erklärter Gegner des römischen Papsttums, erwähnt in seinen Schriften Leo und Benedikt als aufeinander folgende Päpste. Und: So heftig er die Päpste auch anklagte, so viele Vorhaltungen er der römischen Kirche machte, bei aller Polemik gegen den westlichen Zölibat - nie kam er auf eine angebliche Päpstin zu sprechen, obwohl er ihr Zeitgenosse gewesen sein müsste. Glauben Sie mir: Wäre auch nur etwas dran an der Geschichte, er hätte sie genüsslich ausgekostet! Schon weil dies nicht der Fall ist, weil in der gesamten Polemik der Ostkirchen gegen Rom dieser Skandal mit keinem Wort erwähnt wird, können wir sicher sein, dass die Päpstin nie existierte.

kath.net: Gibt es denn überhaupt keine seriösen Überschneidungen zu der wahren Papstgeschichte, die ja gerade im Mittelalter keine Geschichte von Chorknaben war?

Hesemann: Die gibt es schon. So ist sehr gut möglich, dass die Legende von der Päpstin eine Satire auf den historischen Papst Johannes VIII. (872-882) war, dem zu große Weichheit im Umgang mit Photios vorgeworfen wurde. Tatsächlich nannte der exkommunizierte Patriarch den Papst gleich dreimal ironisch „den Mannhaften“, als wolle er ihn ganz bewusst vom Stigma der Femininität befreien. Aber dieser Papst starb ohne Skandal. Er wurde mit allem Pomp in den vatikanischen Grotten beigesetzt - er kann also nicht „die Päpstin“ gewesen sein.
Nach einer anderen Erklärung war Marozia, die Mutter zweier Päpste, die sich beide Johannes nannten, das historische Vorbild für die Päpstin. Die mächtige Adelsdame zog die Strippen in der dunkelsten Epoche des Papsttums, der sogenannten „Pornokratie“, was schlimm genug klingt, allerdings nichts anderes als „Mätressenherrschaft“ bedeutet. Das war im 10. Jahrhundert. Die mächtige Adelsdame war nicht nur die Geliebte von Papst Sergius III., sondern brachte sieben Päpste auf den Thron Petri und wieder zu Fall. Ihr Enkel Johannes XII. wurde sogar im Alter von nur 18 Jahren zum Papst - und trieb es so wild, dass Kirchengeschichtler ihn mit dem wahnsinnigen römischen Kaiser Caligula verglichen. Da musste dann erst Otto der Große eingreifen und nach der Ermordung dieses Papstes durch einen gehörnten Ehemann wieder einen echten Gottesmann auf den Thron Petri setzen, Papst Leo VIII.

kath.net: Was ist denn an der Geschichte – im Gegensatz zu anderen schwarzen Legenden über die römische Kirche – besonders originell?

Hesemann: Nun, das eben erwähnte Umfeld römischer Intrigen und chaotischer Zustände im Papsttum ließ jeden weiteren Skandal zunächst einmal als möglich erscheinen. Doch der eigentliche Auslöser für die Legende von der Päpstin war wahrscheinlich nur eine falsch gedeutete Inschrift. Schon in der frühesten Version der Geschichte ist ja die Rede davon, dass die „Päpstin“ angeblich auf dem Weg von St. Peter zum Lateran niederkam. Dort gibt es eine Straße, die heutige Via dei SS. Quattri Coronati zwischen dem Kolosseum und dem Lateran, die im Mittelalter tatsächlich „vicus Papessa“ hieß. Doch sie hat ihren Namen von einer reichen römischen Familie, den Papes, die dort ihr Anwesen hatten. 973 verstarb das letzte Mitglied dieser Familie, Giovanni Pape, und hinterließ eine Witwe, die „Papessa“, nach der die Straße benannt wurde. In der Antike lag dort ein heidnisches Mithras-Heiligtum, dessen Überreste man noch heute unter der Kirche San Clemente besichtigen kann. Und das könnte die Inschrift erklären, auf die sich Jean de Mailly berief. Denn „Pater Patrum“, „Vater der Väter“, war der Titel vom Hohenpriester des Mithras-Kultes. Der könnte Papirius oder Petronius geheißen haben. Und wenn die Inschrift daran erinnerte, dass er für einen Bau die notwendigen Mittel zur Verfügung stellte, stand in der römischen Antike üblicherweise nach dem Namen PPP, „proprie pecunia posuit“ (stellte die notwendigen Mittel zur Verfügung). Das wurde dann als „Papisse prodito partum“ gelesen (enthülle die Niederkunft der Päpstin) - und schon hatte man seinen Beweis!

kath.net: Was wissen und sagen Sie zu dem gynäkologischen Stuhl, auf den sich – wie es heißt – frühere Papstkandidaten setzen mussten, damit von einem Kardinalskollegium geprüft werden konnte, dass es sich bei dem nächsten Papst auch wirklich um einen Mann handelte?

Hesemann: Dieses zweite „Beweisstück“, ein Porphyrthron, steht ja heute noch in einem Nebenraum der vatikanischen Museen. In deren Inventar erscheint er dann als „Sedis stercoraria“, wörtlich „Kotstuhl“, und genau das war er - ein spätantiker Toilettenstuhl. Erst die deftige Phantasie der Römer ließ daraus ein Instrument für einen päpstlichen Männlichkeitstest werden. Da sehen Sie, wie schnell sich eine Legende verselbständigen kann und sich ihre eigenen „Beweisobjekte“ kreiert.

kath.net: Woher kam die Furcht?

Hesemann: Natürlich spukte die Vorstellung, es könne einmal eine Frau auf den Thron Petri geschafft haben, in den Köpfen der Kardinäle des Mittelalters. Man glaubte sie eine zeitlang, bevor im 15. Jahrhundert, mit Beginn der kritischen Geschichtsschreibung, Kirchengeschichtler wie Aeneas Silvius diese Legende für unhaltbar erklärten. Noch 1413 konnte sich Jan Hus auf dem Konzil von Konstanz auf sie berufen, ohne dass ihm widersprochen wurde. Deshalb griff auch Luther sie auf. So wurde sie zum festen Bestandteil protestantischer Polemik gegen das Papsttum, bevor der Feminismus sie für sich entdeckte.
kath.net: Gab es denn in der Kirchengeschichte vielleicht einmal einen Fall unter den Päpsten, der sich mit der südafrikanischen Athletin Caster Semenya vergleichen lässt, die vielleicht doch eher als Athlet bezeichnet werden sollte?
Hesemann: Natürlich gab es immer mal „härtere“, maskulinere, und „weichere“, sanftmütigere Nachfolger Petri. Auch Väter, die alles andere als heilig waren, trugen die Tiara; Alexander VI., der Borgia-Papst, ist nur das bekannteste Beispiel. Es gab auch Frauen mit großem Einfluss im Umfeld der Päpste, zuletzt die resolute Schwester Pascalina Lenhart, eine bayerische Nonne und Haushälterin Pius XII., der man den Spitznamen „la Papessa“ gab. Aber einen weiblichen Papst hat es wirklich und ganz ehrlich noch nicht gegeben!

kath.net: Wenn Sie den Auftrag zu einem fiktiven Papst-Roman bekommen würden, hätten Sie eine Ahnung, wie die Hauptfigur da aussehen würde?

Hesemann: Ich bin Sachbuchautor. Zum Romanautor fehlt mir vielleicht die Phantasie. Aber ich würde einen fiktiven Protagonisten doch auf etwas solidere Beine stellen, etwas mehr an der Wirklichkeit orientiert, als die „Päpstin“ von Frau Cross. Denn bei genauerer Betrachtung erscheint die Geschichte doch als ziemlich unrealistisch. Soll wirklich eine so kluge und ehrgeizige Frau, endlich an ihrem Ziel angekommen, einen so fatalen Fehler begangen haben, sich auf ein riskantes Liebesabenteuer einzulassen? Ist es wahrscheinlich, dass ihre Schwangerschaft neun Monate lang unentdeckt blieb? Wäre sie wirklich von der Geburt überrascht worden, hätte sie nicht ihr Kind heimlich zur Welt bringen können? Nein, eine so hanebüchene Story würde ich gewiss nicht erzählen. Vielleicht würde ich stattdessen einen Ketzerpapst erfinden, der die Lehren der Kirche umdeutet. Oder einen Skeptiker, der dann von der Größe und Schönheit der Kirche überwältigt und zum Heiligen wird. Eines hat jedenfalls die Kirchengeschichte gezeigt: Nicht einmal die schlimmsten Versager auf dem Thron Petri, nicht einmal die Abgründe des 10. Jahrhunderts und der Renaissance, haben es geschafft, dieser Kirche nachhaltig zu schaden. Offenbar liegt doch ein Segen auf ihr!

Paul Badde ist Romkorrespondent der Tageszeitung „Die Welt“ und Herausgeber des Vatican-Magazins



Foto: (c) Paul Badde


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