Das Problem des Scheiterns der Ehe

19. September 2011 in Familie


Die ‚wiederverheirateten Geschiedenen’ oder wie man am Kern der Sache vorbeigeht. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Seit Beginn des „Dialogprozesses“ in der Kirche Deutschlands vor gut einem Jahr und insbesondere im Rahmen eifrig geführter Diskussionen im Vorfeld des dritten Deutschlandbesuchs Papst Benedikts XVI. liegen die nunmehr Jahrzehnte alten Standardprobleme auf dem Tisch, die von der Rolle der Frau in der Kirche über die katholische Sexualmoral zur Frauenordination bis hin zum viel zitierten Fall der „wiederverheirateten Geschiedenen“ reichen. Dabei wird oft so getan, als handle es sich um ein besonders „deutsches“ Thema, das „von Rom“ zum Schaden der Weltkirche blockiert wird. Doch bereits im Jahr 2005 wurde darüber auf der ordentlichen Versammlung der Weltbischofssynode eingehend gesprochen, was dann auch in das nachsynodale Apostolische Schreiben „Sacramentum caritatis“ (2007) Eingang gefunden hatte.

Gleichzeitig wird man oft vor einen Gegensatz zwischen „Pastoral“ und „Gesetz“ gestellt, der durch eine besonders zu erarbeitende „Pastoral der Barmherzigkeit“ überwunden werden soll. Wie aber Benedikt XVI. mahnt: „Man sollte vielmehr von der Voraussetzung ausgehen, dass der grundlegende Berührungspunkt zwischen Recht und Pastoral die Liebe zur Wahrheit ist: Diese ist nämlich niemals abstrakt, sondern ‚fügt sich in den menschlichen und christlichen Weg jedes Gläubigen ein’“ (Sacramentum caritatis, 29).

Worin besteht das Problem und wie sieht die allgemein theologisch und juridisch festgeschriebene Haltung der Kirche aus? Wer sind die Betroffenen? Welche Lösungsmöglichkeiten sind vorstellbar?

Im Katechismus der Katholischen Kirche ist die Situation klar beschrieben: „In vielen Ländern gibt es heute zahlreiche Katholiken, die sich nach den zivilen Gesetzen scheiden lassen und eine neue, zivile Ehe schließen. Die Kirche fühlt sich dem Wort Jesu Christi verpflichtet: ‚Wer seine Frau aus der Ehe entlässt und eine andere heiratet, begeht ihr gegenüber Ehebruch. Auch eine Frau begeht Ehebruch, wenn sie ihren Mann aus der Ehe entlässt und einen anderen heiratet’ (Mk 10,11-12). Die Kirche hält deshalb daran fest, dass sie, falls die Ehe gültig war, eine neue Verbindung nicht als gültig anerkennen kann. Falls Geschiedene zivil wiederverheiratet sind, befinden sie sich in einer Situation, die dem Gesetze Gottes objektiv widerspricht. Darum dürfen sie, solange diese Situation andauert, nicht die Kommunion empfangen. Aus dem gleichen Grund können sie gewisse kirchliche Aufgaben nicht ausüben. Die Aussöhnung durch das Bußsakrament kann nur solchen gewährt werden, die es bereuen, das Zeichen des Bundes und der Treue zu Christus verletzt zu haben, und sich verpflichten, in vollständiger Enthaltsamkeit zu leben“ (Katechismus Nr. 1650).

Der Katechismus erkennt jedoch die bestehende Realität an und verpflichtet die Kirche zu einer besonderen pastoralen Aufmerksamkeit: „Den Christen, die in dieser Situation leben und oft den Glauben bewahren und ihre Kinder christlich erziehen möchten, sollen die Priester und die ganze Gemeinde aufmerksame Zuwendung schenken, damit sie sich nicht als von der Kirche getrennt betrachten, an deren Leben sie sich als Getaufte beteiligen können und sollen“ (Katechismus Nr. 1651).

Die Unauflöslichkeit des Ehesakraments, das sich die beiden Eheleute vor Gott und der Welt spenden, ist der theologische Grund dafür, dass ein wiederverheirateter Geschiedener im Stand des kontinuierlichen Ehebruchs und somit in schwerer Sünde lebt: „Die Ehescheidung ist ein schwerer Verstoß gegen das natürliche Sittengesetz. Sie gibt vor, den zwischen den Gatten freiwillig eingegangenen Vertrag, bis zum Tod zusammenzuleben, brechen zu können. Die Ehescheidung missachtet den Bund des Heiles, dessen Zeichen die sakramentale Ehe ist. Das Eingehen einer, wenn auch vom Zivilrecht anerkannten, neuen Verbindung verstärkt den Bruch noch zusätzlich. Der Ehepartner, der sich wieder verheiratet hat, befindet sich dann in einem dauernden, öffentlichen Ehebruch“ (Katechismus Nr. 2384).

Insofern kann ein wiederverheirateter Geschiedener aufgrund der effektiven und fortbestehenden Leugnung der Wirkungen und Pflichten, die sich aus der Sakramentalität der unauflöslichen Ehe ergeben, nicht Tröstung im Sakrament der Buße erfahren. Da dieses die Bedingung der Möglichkeit für den Zugang zur Eucharistie ist, ist ihm auch der Leib des Herrn verwehrt. Wenn der andauernde Ehebruch nicht saniert wird, steht der, der „hartnäckig in einer offenkundig schweren Sünde verharrt“, auf derselben Ebene wie einer, der durch eine auferlegte oder erklärte Kirchenstrafe ausgeschlossen ist.

So schreibt Papst Johannes Paul II. in der Enzyklika „Ecclesia de Eucharistia“ (2003): „Es ist offensichtlich, dass das Urteil über den Gnadenstand nur dem Betroffenen zukommt, denn es handelt sich um ein Urteil des Gewissens. Aber in den Fällen, in denen ein äußeres Verhalten in schwerwiegender, offenkundiger und beständiger Weise der moralischen Norm widerspricht, kommt die Kirche nicht umhin, sich in ihrer pastoralen Sorge um die rechte Ordnung der Gemeinschaft und aus Achtung vor dem Sakrament in Pflicht nehmen zu lassen“.

Die Ehescheidung produziert weiterhin einen schwerwiegenden zerstörenden Effekt für das soziale Gewebe einer Gesellschaft: „Die Ehescheidung ist auch deshalb unsittlich, weil sie in die Familie und in die Gesellschaft Unordnung bringt. Diese Unordnung zieht schlimme Folgen nach sich: für den Partner, der verlassen worden ist; für die Kinder, die durch die Trennung der Eltern einen Schock erleiden und oft zwischen diesen hin- und hergerissen werden; für die Gesellschaft, für die sie aufgrund ihrer ansteckenden Wirkung zu einer tiefen Wunde wird“ (Katechismus Nr. 2385).

Die Art der irregulären Situation der wiederverheirateten Geschiedenen behandelte im Jahr 2005 auch der damalige Generalrelator der Synode und heutige Mailänder Erzbischof Angelo Kardinal Scola in seiner die Bischofsversammlung einleitenden Relation. Der Kardinal beklagte die verbreitete Tendenz der wiederverheirateten Geschiedenen, gegen die Lehre der Kirche die Kommunion zu empfangen, dies nicht nur aus Oberflächlichkeit, sondern auch aus der Überbetonung des eigenen subjektiven Gewissens heraus. Er erkannte jedoch an, dass viele nur in „mechanischer Adhäsion an die Tradition“ kirchlich geheiratet haben und nach einer Scheidung und erneuter ziviler Eheschließung daran leiden, nicht vollständig am Leben der Kirche teilnehmen zu können: „Es ist daher notwendig, dass die ganze Gemeinschaft der Christen die wiederverheirateten Geschiedenen im Bewusstsein, nicht von der kirchlichen Gemeinschaft ausgeschlossen zu sein, unterstützt“.

Gleichzeitig sei der Verbreitung einer Mentalität, die gegen die Unauflöslichkeit der Ehe gerichtet ist, entgegenzuwirken. Ehe und Eucharistie seien zuinnerst verbunden. Aus diesem Grund forderte Scola die Synode dazu auf, die objektiven und nicht nur pastoralen Modalitäten zu vertiefen, um die Hypothese der Nichtigkeit einer Ehe zu verifizieren. Diese hätten der öffentlichen, kirchlichen und sozialen Natur des Ehekonsenses Rechnung zu tragen: „Die Anerkenntnis der Nichtigkeit der Ehe muss eine objektive Instanz beinhalten, die sich nicht auf das einzelne Gewissen der Eheleute beschränken darf, selbst wenn sie von der Meinung eines erleuchteten geistlichen Begleiters unterstützt wird.“ Kardinal Scola lud dazu ein, über eine Vereinfachung der juridischen Prozeduren nachzudenken, die so wirksamer der pastoralen Sorge entsprechen.

Auf der einen Seite also pastorale Aufmerksamkeit gegenüber denjenigen, die von den Sakramenten, jedoch nicht „von der Liebe der Kirche und der Liebe Christi“ (Benedikt XVI.) ausgeschlossen sind. Auf der anderen rechtliche Unterstützung in Theorie und Praxis eines kirchengerichtlichen Prozesses zur objektiven Verkündigung der Nichtigkeit einer geschlossenen Ehe.

Und: was schon Papst Benedikt XVI. am 25. Juli 2005 erwähnte: die Notwendigkeit einer theologische Reflexion über das „ohne Glauben gefeierte Sakrament“ und deren Konsequenzen für die Konzeption der Nichtigkeit einer Eheschließung. So erklärte der Papst am 25. Juli 2005 bei seiner Begegnung mit dem Klerus der Diözese Aosta: „Wir alle wissen, dass das ein besonders schmerzliches Problem für die Personen ist, die in Situationen leben, in denen sie vom Empfang der eucharistischen Kommunion ausgeschlossen sind, und ein ebenso schmerzliches Problem für die Priester, die diesen Personen helfen wollen, die Kirche zu lieben, Christus zu lieben. Hier ergibt sich eine Schwierigkeit“.

„Keiner von uns besitzt ein Patentrezept, auch weil sich die Situationen immer unterscheiden. Besonders schmerzlich würde ich die Situation derer nennen, die kirchlich verheiratet, aber nicht wirklich gläubig waren und es aus Tradition taten, sich aber dann in einer neuen nichtgültigen Ehe bekehren, zum Glauben finden und sich vom Sakrament ausgeschlossen fühlen. Das ist wirklich ein großes Leid, und als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre lud ich verschiedene Bischofskonferenzen und Spezialisten ein, dieses Problem zu untersuchen: ein ohne Glauben gefeiertes Sakrament. Ich wage nicht zu sagen, ob man hier tatsächlich ein Moment der Ungültigkeit finden kann, weil dem Sakrament eine grundlegende Dimension gefehlt hat. Ich persönlich dachte es, aber aus den Debatten, die wir hatten, verstand ich, dass es ein sehr schwieriges Problem ist und dass es noch vertieft werden muss. Weil aber diese Personen in einer leidvollen Situation sind, muss es vertieft werden.“

Dies bedeutet unter anderem: die irregulären Situationen sind mit liebevoller Geduld und pastoraler Sorge zu begleiten, um eine Lösung dafür zu finden, sie zu regulären Situationen werden zu lassen und zu vermeiden, dass ein Gläubiger sich von der Kirche entfernt oder sich gar für exkommuniziert hält, nur weil er die Kommunion nicht empfangen kann.

Was bei der Auseinandersetzung oft übersehen wird, ist die Frage: Wer sind aber denn die Betroffenen? Wer gehört zu dieser kompliziert auszusprechenden Kategorie der „wiederverheirateten Geschiedenen“?

Statistisch gesehen handelt es sich um ungefähr elf Millionen Katholiken weltweit. Die Zahl der zu den Sakramenten nicht Zugelassenen erhöht sich, wenn ein(e) Geschiedene(r) Katholik(in) eine(n) unverheiratete(n) Katholikin(en) heiratet. Diese Zahl allein drückt allerdings nicht den Bestand der „wiederverheirateten Geschiedenen“ aus, die wirklich der Kirche nahe stehen und für die ihr Status ein Problem für ihr Leben im Glauben ist.

Und das ist der Punkt, der besondere Aufmerksamkeit verdienen muss, um unbotmäßigen Verallgemeinerungen zu entgehen, der Punkt, der alle theologischen, pastoralen und juridischen Überlegungen bestimmen sollte: Wer unter dem Zustand der „hartnäckigen und schweren Sünde“ wirklich leidet, ist oft der, der der Kirche am nächsten steht und durch widrige, nicht gewollte und nicht provozierte Umstände in diesen Zustand gekommen ist. Es handelt sich dabei um Männer und Frauen, für die ihre zweite Ehe die „wirkliche“ und „unauflösliche“ ist, die ihre Kinder im Schoß der Kirche erziehen und sie in allem begleiten wollen, auch dann, wenn sie zum Altar des Herrn gehen. Es handelt sich dann um Menschen, die, wie Benedikt XVI. sagte, in ihrer neuen Ehe den Glauben (wieder)entdecken und diesen in Fülle leben wollen. Es handelt sich um Menschen, die eine große Achtung vor dem Allerheiligsten haben, dieses von ferne sehen und an seine Wirksamkeit in der Teilnahme am eucharistischen Opfer glauben, aber gerade deshalb daran leiden, ihren „Hunger nach der Eucharistie“ nicht stillen zu können.

Die „wiederverheirateten Geschiedenen“, die in der Kirche leben, sind wahre Christen und Katholiken, die oft inniger mit ihrem Heiland verbunden sind als die Masse derjenigen, die nur aus Gewohnheit zur Kommunion gehen, und das oft ohne die Gnade des Bußsakraments, ohne ihr ganzes Leben auf Christus hin ausgerichtet zu haben. Diese wiederverheirateten Geschiedenen brennen im Glauben und bitten darum, dass ihnen geholfen wird. Es ist Anliegen der Kirche, diesen Samenkörnern ein totales Aufgehen im guten Boden zu ermöglichen. Daher sollte sie alles daransetzen, sie aus dem Un-Stand der „wiederverheirateten Geschiedenen“ in den Ehestand hineinzuführen, statt diesen „Un-Stand“ leichthin zum „Stand“ zu erklären.

Der „unsittliche Skandal der Scheidung“ kann nur durch das Gute der unauflöslichen Ehe und durch die im eucharistischen Sakrament gegenwärtige göttliche Liebe verwunden und eliminiert werden. Das muss das Hauptanliegen der Kirche sein, und keine Ratifizierung von Fakten.

Was tun? Es ist außer Zweifel, dass die Ehe keine Privatangelegenheit ist. Jedes Sakrament ist „die Frucht des erlösenden Opfers Christi am Kreuz“ (Katechismus-Kompendium). Die Sakramente sind „von Christus eingerichtete, der Kirche anvertraute wirksame Zeichen der Gnade“, die die künftige Herrlichkeit verkünden (vgl. Katechismus Nr. 1077 folgende). Durch sie wird das göttliche Leben in der Welt wirklich und objektiv gespendet. Das von den Eheleuten vollzogene Sakrament ist ihnen selbst gegenüber in der auf Christus bezogenen Unauflöslichkeit ein objektives Drittes, das nicht auf ein Einzelgewissen reduzierbar ist.

Die Stiftung dieses Dritten jedoch geschieht für die Geschichte und in der Geschichte der Individuen und der Gesellschaften, das heißt in der Endlichkeit. Die vorweggenommene Sakramentalität hat sich mit der nachkommenden geschichtlichen Verwirklichung, der Möglichkeit und deren Bedingungen zu konfrontieren. Im Positiven geschieht dies im Alltag der Eheleute. Im Negativen kann das Scheitern der Ehe einen Tatbestand sichtbar werden lassen: die Nichtigkeit der sakramentalen Eheschließung.

Ein Kirchengericht ist zweifellos nicht nur der Ort einer „notariellen Überprüfung und Bestätigung“ von bereits Geschehenem. Es darf aber auch nicht der Ort der Entgegensetzung zu einem pastoralen Bedürfnis oder zu einer pastoralen Notwendigkeit werden. Gerade weil für einen Katholiken die zivile Ehe nur ein mehr oder minder komplexer Vertrag ist (der von Land zu Land verschieden ist), und gerade weil er nur in der Sakramentalität des Ehebandes die Wahrheit seiner Existenz anerkennt, muss dieser Wille zur Wahrheit gründend in die Feststellung der Nichtigkeit einer ersten Ehe eingehen. Schließt man diesen Willen zur Wahrheit aus, so verharrt man nur auf dem toten Buchstaben eines Gesetzes, was nicht katholisch ist.

Die Tatsache des Scheiterns von Ehen auf eine „Wiederzulassung“ zu den Sakramenten im Fall einer zweiten und gelungenen Ehe zu reduzieren, geht am wahren Problem vorbei. Vielmehr gilt es, im Horizont der Wahrheit den Willen zur Überprüfung der Gültigkeit des Ehesakraments zu haben und für das Wohl des Sakraments zu sorgen. Dazu gehört, dass seitens der dafür zuständigen Stellen im Licht einer Pastoral der Wahrheit den Menschen geholfen wird.

Gleichzeitig ist daran zu erinnern, dass das Sakrament der Eucharistie das Sakrament des Leidens Christi ist. Daher, so Benedikt XVI. im Jahr 2005, „umfängt der leidende Christus diese Personen in besonderer Weise und kommuniziert mit ihnen in anderer Weise, und sie dürfen sich also vom gekreuzigten Herrn umfangen fühlen, der zu Boden fällt und stirbt und für sie, mit ihnen leidet. Es ist deshalb notwendig, verständlich zu machen, dass sie, obwohl leider eine grundlegende Dimension fehlt, nicht vom tiefen Geheimnis der Eucharistie, von der Liebe des hier gegenwärtigen Christus ausgeschlossen sind“.


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