Flüchtlingsdrama Syrien

30. Juli 2012 in Interview


Der Konflikt in Syrien nimmt kein Ende, immer mehr Menschen flüchten vor der Gewalt. Ein Interview mit Dominique Scherer/Caritas. Von Adrienne Suvada / Bistum Basel


Basel (kath.net/BistumBasel) Der Konflikt in Syrien nimmt kein Ende. Die humanitäre Krise spitzt sich laufend zu und immer mehr Menschen sind gezwungen, vor der Gewalt zu flüchten. Das Bistum Basel hat mit Frau Dominique Schärer, zuständig für Information und Medienkontakte bei der Caritas, gesprochen.

Bistum Basel: Wie sieht die Lage in Syrien aus?

Dominique Schärer: In Syrien verschlechtert sich die Lage der Zivilbevölkerung laufend. Aufgrund der bewaffneten Kämpfe nimmt die Armut laufend zu, und es fehlt insbesondere in den Städten an Nahrungsmitteln und an medizinischer Hilfe. Insbesondere in der umkämpften Stadt Aleppo wird die Situation für die Bevölkerung immer schwieriger. Die Stadt wirkte am letzten Freitagmorgen laut Medienberichten wie ausgestorben, und insbesondere Frauen und Kinder sind geflüchtet. Auch die Stadt Homs ist von den Bewohnerinnen und Bewohnern weitgehend verlassen worden. Laut dem UNHCR gibt es allein in Syrien über eine Million intern Vertriebene (Zahl vom 20. Juli). Wer nicht in ein anderes Land flüchten kann, flieht in die ländlichen umliegenden Gebiete aus den Städten heraus.

Die Uno-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay hat vergangenen Freitag in Genf den Konfliktparteien Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen und zeigte sich alarmiert über die Eskalation der Kämpfe insbesondere in Damaskus und Aleppo.

Bistum Basel: Wie engagiert sich die Caritas?

Schärer: Caritas Schweiz unterstützt im Grenzgebiet zu Syrien gemeinsam mit ihren Partnern, dem Migrant Center von Caritas Libanon sowie Caritas Jordanien insgesamt über 3000 Flüchtlinge mit Nahrungsmitteln, Hygieneartikeln, Babyartikeln, Kleidung und Unterwäsche, Decken und Handtücher. Zudem unterstützt Caritas 320 im Libanon gestrandete, mittellose Arbeitsmigrantinnen bei einer Rückkehr in ihre Heimat. All diese Aktivitäten sind in den regionalen Plan des UNHCR eingebunden. Weil die Zahl der Flüchtlinge und ihre Bedürfnisse laufend zunehmen, ist Caritas Schweiz auf Spenden angewiesen, damit sie ihre Hilfe sichern und aufstocken kann.

Bistum Basel: Wie viele Flüchtlinge gibt es und wie sieht ihre Situation aus?

Schärer: Bis zum 18. Juli waren schon über 150 000 Menschen aus Syrien in die Türkei, in den Libanon, nach Jordanien und in den Irak geflüchtet. Allein in der Nacht des 18. Juli flüchteten zwischen 15 000 und 20 000 Personen in den Libanon und Tausende nach Jordanien. Zusätzlich befinden sich im Libanon derzeit über 33 500 registrierte syrische Flüchtlinge, in Jordanien haben sich beim UNHCR rund 36 000 Personen registriert – dazu kommen unzählige nicht registrierte Geflüchtete.

Bistum Basel: Wo gibt es den höchsten Unterstützungsbedarf?

Schärer: Bis zum 20. Juli waren nur 26 Prozent der benötigten Mittel für den regionalen Nothilfeplan des UNHCR und ihrer Partner – darunter Caritas – gedeckt. Auch Caroline Nanzer, Caritas-Delegierte für die Flüchtlinge im Libanon, betont, der Bedarf an Unterstützung sei riesig und die Mittel reichten nirgends aus. Der grösste Teil der ins Ausland Geflüchteten sind Frauen mit Kindern, die sich mit dem Nötigsten in Sicherheit gebracht haben, während ihre Männer in Syrien ausharren oder umgebracht wurden. Die Lage der Flüchtlinge ist prekär und verschlechtert sich laufend: Sie wohnen in provisorischen Unterkünften wie leeren Garagen oder Scheunen, bei Gastfamilien, in Schulen und Moscheen oder in Zelten. Ihr weniges Erspartes haben sie mittlerweile aufgebraucht, und die Gastfamilien sind nicht mehr in der Lage, sie länger zu unterstützen. Gleichzeitig kommen immer mehr Flüchtlinge an.

Im Gegensatz zur Türkei und Jordanien, wo es unterdessen Flüchtlingscamps gibt, ist es im Libanon insbesondere in der Bekaa fast unmöglich geworden, ein Dach über dem Kopf zu finden. Die Wohnungspreise haben sich seit März fast verdoppelt. Gesundheit und Unterkunft sind im Libanon die dringendsten Bedürfnisse der Flüchtlinge.

Im Irak kommen neben unzähligen syrischen Flüchtlingen auch viele Irakerinnen und Iraker an, die während dem Konflikt im Irak nach Syrien geflohen waren und nun umgekehrt vor der Gewalt in Syrien in ihre ehemalige Heimat zurück fliehen müssen.

Bistum Basel: Wie kann man aus der Schweiz helfen?

Schärer: Weil die Zahl der Flüchtlinge und ihre Bedürfnisse laufend zunehmen, ist Caritas Schweiz auf Spenden angewiesen, damit sie ihre Hilfe sichern und aufstocken kann. Caritas Schweiz dankt für Spenden auf Konto 60-7000-4, Vermerk „Syrien“.

Bistum Basel: Haben Sie Kenntnis über die Lage der Menschen in anderen Ländern des Nahen Ostens? Gibt es auch dort noch Probleme?

Schärer: Caritas Schweiz engagiert sich zum Beispiel im Irak, wo während dem Krieg 1,5 Millionen Menschen aus ihrer Heimat fliehen mussten Viele Familien leben als intern Vertriebene in anderen Teilen des Landes und haben ihr Einkommen verloren. Die Eltern können ihre Kinder nicht mehr ausreichend versorgen. Caritas unterstützt darum 1650 kriegsbetroffene und verletzliche Kinder sowie ihre Familien in zehn Zentren des Landes. Die Kinder erhalten Zugang zu Schulbildung, und die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitder der Behörden lernen die Rechte der Kinder zu verstehen und sich professionell für sie einzusetzen.

Ein anderes Beispiel ist Palästina: Mit Unterstützung der Caritas engagiert sich die lokale Hilfsorganisation YEC in Gaza seit 2008 erfolgreich für Kinder und Jugendliche. Die wichtigsten Aktivitäten sind psychosoziale Betreuung, öffentliche Gesundheitsprogramme für Kinder und die Erweiterung des Bildungsangebotes. Der Hauptstandort der Organisation ist Gaza Stadt mit drei Centern im Norden und drei Stationen in Kindergärten und Schulen, die durchschnittlich pro Tag von 600 Kindern besucht werden.

Als drittes Beispiel hat Caritas in Ägypten ein Projekt für Gastarbeiter lanciert, die während dem Bürgerkrieg völlig mittellos in ihre Heimat zurückkehrten, wo sie sich in den Arbeitsmarkt integrieren müssen. Caritas unterstützt ihre Partnerorganisation AUEED dabei, den Rückkehrern die Wiederintegration zu erleichtern, indem sie zum Beispiel mit Hilfe von Mikrokrediten ein kleines Geschäft eröffnen können.

Foto: © Bistum Basel / Caritas.ch


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