Der fast vergessene Mensch hinter bekannten Liedern: Friedrich Spee

7. August 2012 in Chronik


Mehrere Lieder von Friedrich Spee stehen im katholischen Gesangbuch. Doch die Botschaft dieses heiligmäßigen Mannes für unsere Zeit ist in den Hintergrund gerückt. Von Georg Dietlein


Trier (kath.net) „O Heiland, reiß die Himmel auf. Herab, herab, vom Himmel lauf! – Reiß ab vom Himmel Tor und Tür, reiß ab, wo Schloss und Riegel für!“ – Die Verse dieses berühmten Kirchenliedes stammen aus der Feder des Jesuitenpaters Friedrich Spee (1591 – 1635), der heute vor 377 Jahren zu Gott heimgerufen wurde. Spee verstarb bereits im Alter von 44 Jahren – an den Folgen einer Infektion, die er sich bei der Sorge um die Kriegsverwundeten und Sterbenden in Trier zugezogen hatte. Weitaus bekannter als das Leben und Wirken dieses heiligmäßigen Mannes, der lange Zeit in Vergessenheit geraten war, sind seine über 100 Kirchenlieder, von denen heute noch viele gesungen werden: „Zu Bethlehem geboren“, „Lasst uns erfreuen herzlich sehr“, „Ihr Freunde Gottes allzu gleich“.

„O Heiland, reiß die Himmel auf!“ – Das in diesem Gedicht zum Ausdruck kommende Verlangen nach einem Heiland, die Sehnsucht nach Erlösung wird vor dem Hintergrund der Lebensumstände Friedrich Spees noch besser verständlich. Spees Zeit war geprägt vom „Hexenwahn“, Ketzerprozessen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den christlichen Konfessionen. Als Seelsorger und Beichtvater von „Zauberern“ und „Hexen“ hatte er fast täglich mit den Wirren seiner Zeit zu kämpfen: mit den Sorgen der „überführten“ Unschuldigen, mit ihrer Todesangst, aber auch mit den eigenen Gewissensbissen und dem Unverständnis darüber, wie Denunziation und Folter schließlich zum vermeintlich gerechten Richterspruch über Leben und Tod führen können.
Als „Hexenanwalt“ hat sich Spee über seine Zeit hinaus verdient gemacht. In seiner Mahnschrift „Cautio Criminalis“ nahm er die Hexenprozesse nach der deutschen „Peinlichen Gerichtsordnung“ (1532) ins Visier: „Was suchen wir so mühsam nach Zauberern? Hört auf mich, ihr Richter, ich will Euch gleich zeigen, wo sie stecken. Auf, greift Kapuziner, Jesuiten, alle Ordenspersonen und foltert sie, sie werden gestehen. (…) Wollt ihr immer noch mehr, dann will ich Euch selbst foltern lassen und ihr dann mich. Ich werde nicht in Abrede stellen, was ihr gestanden habt. So sind wir schließlich alle Zauberer.“ – Spee kritisiert die Hexenprozesse als ungerecht und wenig zielführend. Das Instrument der Folter lehnt er ab. Schließlich bringe sie nicht die rechte Wahrheit ans Licht.

Die traurigen Schicksale vieler Tausender, die aufgrund ihrer Beliebtheit oder Unbeliebtheit, ihrer Schönheit und Begabungen bezichtigt, verhört, gefoltert und aufgrund ihres eigenen Geständnisses verbrannt wurden, sind uns meist unbekannt. Sie berühren uns heute – nach vielen Jahrhunderten – doch recht wenig. Und doch können wir von Friedrich Spee viel lernen, der an den Irrungen seiner Zeit nicht zerbrach, sondern stets auf das Kommen seines Erlösers hoffte und aus dieser Hoffnung Kraft für seinen Dienst an den Armen und Entrechteten schöpfte. Der Lebenswandel von Friedrich Spee ist auch für unsere Zeit vorbildlich.

1. Der Mut seinem eigenen Gewissen zu folgen

Im Angesicht der Gefahr, selbst einmal auf einem Hexenhaufen zu landen, entschied sich Spee dafür, nicht der „herrschenden Meinung“ seiner Zeit zu folgen, sondern seinem Gewissen. Seine Lehre vom Gewissen und seine Kritik an den Hexenprozessen brachten Spee in seinem Orden in Bedrängnis. Er wurde mehrfach versetzt. Seine Schrift „Cautio Criminalis“ wurde nur anonym veröffentlicht.

Friedrich Spee brachte den Mut auf, sich gegen seine Zeit zu stellen. Indem er sich für andere einsetzte, setzte er sein eigenes Leben aufs Spiel. Das Gewissen war auch Thema seiner moraltheologischen Vorlesungen. – Auch wir sollten uns an erster Stelle unserem eigenen Gewissen verpflichtet wissen, das in seinen Schlussfolgerungen auch – frei von Überheblichkeit und Besserwisserei – von jeder menschlichen, staatlichen und kirchlichen Lehre abweichen kann. Mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wissen wir das Gewissen als „die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er (der Mensch) allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“.

Solange es auf dieser Welt noch Wahnvorstellungen gibt, politische Ideologien, Verfolgungen von Minderheiten, Folterungen, ungerechte Prozesse und Hinrichtungen dürfen wir nicht schweigen. Als Christen sind wir dazu aufgerufen – auch wenn es unbequem erscheint und wir damit etwas riskieren – Unrecht anzuprangen, um Unrecht zu verhindern.

2. Das gute Werk am Nächsten

Friedrich Spee war nicht nur ein Mann der großen Worte. Er war auch ein demütiger Mann der kleinen Taten. Viel zu häufig reden wir bloß über die Bedeutung des christlichen Glaubens in unserer Zeit – viel zu wenig tun wir dafür, dass es den Menschen unserer Zeit ein wenig besser geht. Friedrich Spee interessierte sich weniger für Ketzerei als für die armen Menschen seiner Zeit.

In seinem „Güldenen Tugend-Buch“ ist ein „schönes Register verschiedener guter Werke“ enthalten. Als Seelsorger predigte er nicht nur das Wort Gottes, sondern lebte es auch: „Bin ich jemals Gott zu Ehren beim Begräbnis eines armen Menschen mitgegangen? – Habe ich diese Woche einen Durstigen getränkt, einen Hungrigen gespeist? Es soll noch heute oder morgen geschehen. – Habe ich je einen Gefangenen erlöst oder begehrt, ihn zu erlösen? – Wie, wenn ich diese oder jene arme Witwe zu mir nähme oder ihr sonst wie Unterhalt verschaffte?“

Als Christen steht es uns nicht an, über andere zu richten – dies gilt auch mit Hinblick auf den wahren Glauben. Wir sollten manchmal mehr zuhören als andere zu belehren. Wir sollten manchmal weniger Gutes predigen als Gutes tun. Wir sollten lernen, dass unser Glaube nicht „für uns“ da ist, sondern „für“ die anderen – und: dass dieser Glaube uns nicht nur zu einem hoffenden, sondern auch zu einem liebenden Menschen machen will. – Auch heute gilt: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen“ (Mt 7, 16).

3. Der Mensch als Maß aller Dinge

Friedrich Spee stellte nie sich selbst und seine Lehre, nie die kirchliche Autorität und eine vermeintliche „Wahrheit“ in den Mittelpunkt, sondern den Menschen. Weil Gott Mensch geworden ist, will er, dass wir im Menschen Gott begegnen. Der Mensch ist niemals „für“ irgendeine abstrakte „Wahrheit“ der Kirche da, sondern: Diese Wahrheit der Kirche, die Jesus Christus ist, ist für den Menschen da. Sie schenkt sich uns im Kind in der Krippe und im durchbohrten Herzen Jesu – in aller Ohnmacht, Demut und Liebe.

Friedrich Spee begriff sich nie als großen Zeitgeist. Er hatte keine kirchlichen Ambitionen. Er ging in den kleinen Dingen seines Alltages auf und begriff sein Leben stets zur größeren Ehre Gottes. Wie wir auch ihn, dessen Grab erst 1980 in Trier wieder gefunden wurde, beinahe vergessen hätten, so vergessen wir auch heute immer wieder die „kleinen“ unbekannten Menschen, die oft viel größer und heiliger sind als die großen Gestalten der Kirchengeschichte. Ihr Andenken zu bewahren ist unsere Aufgabe. Ihrem Vorbild nachzueifern ist unsere Pflicht.

Wir sollten unsere großen „Lebensziele“ ablegen und überlegen, wie wir Gott in den kleinen Dingen dieser Welt dienen können, wie wir den Menschen in den Mittelpunkt stellen können, um unsere Selbstliebe zu vertreiben. Friedrich Spee ging es stets um die Sorgen der Menschen seiner Zeit. Er hat sich und die Kirche nicht über andere gestellt. Er hat keine Menschen verurteilt, auch wenn sich eine Verurteilung oder Denunziation hätte aufdrängen können. Vielleicht sollten auch wir als Kirche häufiger den Menschen in den Blick nehmen. Nächstenliebe ist keine Liebe, die sich aufdrängt, um sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Sie hört lieber zu, um dem Nächsten zu helfen, um seine Glaubenszweifel zu verstehen, um sein Leben besser, heller und heiliger zu machen.

Die Probleme der Zeit Friedrich Spees sind alles andere als „behoben“. Sie begegnen uns auch heute. Das Vorbild Friedrich Spees lehrt uns, dass wir auch in der Bedrängnis niemals alleine sind, sondern auf Gott vertrauen dürfen. – „O Gott, ich sing von Herzen mein: Gelobet muss der Schöpfer sein.“

Der Autor, Georg Dietlein, ist Student der Rechtswissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre. Vor seinem Abitur hat er bereits drei Jahre lang Katholische Theologie in Köln und Bonn studiert. Er gab KATH.NET vor kurzem ein vielbeachtetes Interview: 'Unsere Glaubens- und Gebetssprache ist alles andere als veraltet'


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