Neuevangelisierung der Caritas?

11. Dezember 2012 in Kommentar


Nach den Worten des Papstes ist die tätige Nächstenliebe Wesensvollzug des Glaubens, Grundvollzug von Kirche. Von Georg Dietlein


Vatikanstadt (kath.net/gd) Mit einem am Vorabend des neuen Kirchenjahres veröffentlichten Motu proprio über den Dienst der Liebe hat Papst Benedikt XVI. nach „Deus caritas est“ und „Caritas in veritate“ zum dritten Mal mit einem Lehrschreiben das Thema „Caritas“, Liebe aufgegriffen. Gerade im Jahr des Glaubens erhält das Schreiben „Intima Ecclesiae natura“ eine tiefe theologische Bedeutung: Nach den Worten des Papstes ist die tätige Nächstenliebe Wesensvollzug des Glaubens, Grundvollzug von Kirche. Sie steht nicht am Rande der christlichen Botschaft, sondern in der Mitte ihrer Verkündigung. Ein Glaube ohne Liebe wäre für die Kirche genauso wenig denkbar wie tätige Nächstenliebe ohne Verkündigung. Neuevangelisierung gibt es nicht ohne Caritas. In Anlehnung an die erste Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. könnte man formulieren: Es geht stets um „Caritas in veritate“, Liebe in der Wahrheit.


Das katholische Profil der Caritas

Das Schreiben des Papstes erreicht die deutsche Kirche in einer Zeit, in der grundsätzlich über das katholische Profil karitativer Organisationen der katholischen Kirche diskutiert wird, an erster Stelle über das Profil der Caritas in Deutschland selbst. Das Fehlen eines katholischen Profils der Caritas wurde in der Vergangenheit bereits öffentlich bemängelt. Zuletzt sorgte die ablehnende Haltung des Deutschen Caritasverbandes zum „Betreuungsgeld“ für Aufregung. In einem auf kath.net veröffentlichten Brief kommentierte Bischof Gregor Maria Hanke (Eichstätt) die ablehnende Haltung der Caritas zum „Betreuungsgeld“: Er finde es „beschämend, dass ausgerechnet ein Verband der römisch-katholischen Kirche sich gegen eine – wie auch immer geartete – Anerkennung und damit Hochschätzung elterlicher Erziehungsleistungen ausspricht.“ Zweifel am römisch-katholischen Profil der Caritas konnten auch aufkommen, als im März 2012 durch Recherchen von Stefan Rehder ans Licht trat, dass Bürger im Bistum Aachen auch in katholischen Beratungsstellen unter Beteiligung der Caritas einen Zuschuss für Sterilisationen und langfristig wirkende Verhütungsmittel beantragen können („Verhütungsmittelfonds“).

Bereits im Mai 2011 hatte Papst Benedikt XVI. an die Vertreter von „Caritas Internationalis“ appelliert wieder klar ihr katholisches Profil zum Ausdruck zu bringen. Die Ansprache des Heiligen Vaters darf man durchaus im Kontext eines Ereignisses sehen, das sich zu Beginn des Jahres 2011 ereignete: Im Namen von Papst Benedikt XVI. verweigerte Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone damals die Bestätigung von Lesley-Ann Knight als Generaldirektorin von „Caritas Internationalis“. Hintergrund waren Meinungsverschiedenheiten mit dem Heiligen Stuhl.


Caritas als Ausdruck des kirchlichen Verkündigungsdienstes

Mit Blick auf den „Gesprächsprozess“ der Deutschen Bischofskonferenz könnte man fast meinen, der Heilige Vater habe mit „Intima Ecclesiae natura“ die überfälligen Hausaufgaben der deutschen Bischöfe erledigt. Das letzte Gesprächsforum am 14. und 15. September 2012 in Hannover stand nämlich unter dem Titel: „Die ‚Zivilisation der Liebe’ – unsere Verantwortung in der freien Gesellschaft“. Bahnbrechende Impulse zur karitativen Arbeit der katholischen Kirche in Deutschland waren von Hannover nicht ausgegangen. Das katholische Profil der „Caritas“ kam, wenn überhaupt, nur am Rande zur Sprache. Hannover ging, um es mit Lothar Roos zu sagen, am Wesentlichen vorbei.

Mit seinem Motu Proprio über den Dienst der Liebe rückt Papst Benedikt XVI. erneut in den Blick, worum es bei der tätigen Nächstenliebe der Kirche geht: um die Verkündigung des Wortes Gottes. Caritas ist damit keine bloße Nebenbeschäftigung einer Kirche, die sich als Sozialverein versteht. Caritas bzw. „diakonia“, der „Dienst der Liebe“ gehört zu den Wesensvollzügen von Kirche. Sie ist für die Kirche konstitutiv und unverzichtbar. Und dennoch darf der Liebesdienst der Kirche nicht auf bloße Finanztransfers reduziert werden. Das Größte, was die Kirche letztlich schenken kann und darf, sind nicht ihre Geldmittel, sondern ist ihr Wort von einem liebenden und wahrhaft menschlichen Gott – in Wort und Tat. Caritas muss an dieser Botschaft Maß nehmen. Sie muss die Person jedes einzelnen bedürftigen und leidenden Menschen selbst im Blick haben.


Praktische Konsequenzen für karitative Organisationen

Das Motu Proprio des Heiligen Vaters ist deshalb so richtungsweisend, weil es ganz konkrete Verpflichtungen und kirchenrechtliche Sanktionen für den Bereich karitativer Vereinigungen festlegt. Aufsicht und Überwachung karitativer Organisationen in der katholischen Kirche sollen nicht weiter „in der Luft hängen“, sondern in der Hand des bzw. der jeweiligen Diözesanbischöfe liegen, in deren Diözese die betreffende Organisation tätig ist. Hier bestehen nicht nur Sanktionsmöglichkeiten, sondern vor allem Sanktionspflichten. Für die Umsetzung der Vorschriften von „Intima Ecclesiae natura“ soll sich der Päpstliche Rat „Cor Unum“ verantwortlich zeichnen. Konkret bedeutet das Schreiben mit Wirkung zum 10. Dezember 2012 Folgendes:

1. Die kirchenrechtlichen Vorschriften von „Intima Ecclesiae natura“ gelten für alle karitativen Vereinigungen und Initiativen, die die Unterstützung der Gläubigen oder der Kirche beanspruchen wollen – unabhängig von Rechtsform, Satzung und formeller Anbindung an die katholische Kirche.

2. Karitative Vereinigungen müssen sich in ihren Aktivitäten an den Prinzipien und Lehren der katholischen Kirche ausrichten. Damit meint der Heilige Vater keine „Sonderlehren“ oder persönliche Auffassungen einzelner Bischöfe oder Priester, sondern die einhellige Lehre des ordentlichen Lehramtes der römisch-katholischen Kirche. Probleme dürften sich am ehesten in den Bereichen Moral- und Soziallehre ergeben, insbesondere beim Lebensschutz.

3. Karitative Organisationen müssen in ihre Statuten aufnehmen: Leitmotive und Ziele ihrer Organisation, Art der Finanzverwaltung, Profil der eigenen Mitarbeiter sowie die Art der Berichte, die sie der zuständigen kirchlichen Autorität vorlegen.

4. „Intima Ecclesiae natura“ präzisiert Fragen der kirchenrechtlichen Zuständigkeit für karitative Vereine (vgl. can. 312 CIC). Nicht national anerkannte karitative Organisationen (auch mit Aktivitäten in mehreren Diözesen) müssen sich an den Diözesanbischof ihres Hauptsitzes halten, dem auch jährlich ein Rechenschaftsbericht nach seinen Vorgaben vorzulegen ist. Die Bischöfe anderer Diözesen, in denen die karitative Organisation tätig ist, sind zugleich zuständig für die Aktivitäten der Organisation in der jeweiligen Diözese. Damit können sich karitative Vereinigungen nicht mehr hinter der Zuständigkeit einer nationalen Bischofskonferenz „verstecken“.

5. Vergleichbar den Bestimmungen zur Missio canonica für Religionslehrer in Deutschland haben auch Mitarbeiter in karitativen Organisationen nicht nur berufliche, sondern auch persönliche Anforderungen zu erfüllen. Dies betrifft vor allem den Bereich ihrer christlichen Lebensführung. Karitative Organisationen haben Mitarbeiter so auszuwählen, dass die katholische Identität ihrer Organisation sichergestellt ist.

6. Jeder Diözesanbischof hat bei Erforderlichkeit eine Stelle einzurichten, die in seinem Namen die karitativen Dienste in seiner Diözese koordiniert.

7. Auf der Ebene jeder Pfarrei soll der kirchliche Grundvollzug der Nächstenliebe in Form einer „Pfarrcaritas“ präsent sein, die den Gemeindemitgliedern den Geist christlicher Nächstenliebe näher bringt.

8. Pfarrer und Bischöfe haben dafür Sorge zu tragen, dass über Pfarr- oder Diözesanstrukturen für keine Initiativen Werbung gemacht wird, die zwar karitativ ausgerichtet sind, aber Ziele oder Methoden vorschlagen, die in Widerspruch zur kirchlichen Lehre stehen.

9. Die Finanzierungsstruktur karitativer Vereinigungen muss „katholisch“ sein. Dies gilt sowohl für Einnahmen (Spenden, angenommene Beiträge für andere Organisationen) als auch für Ausgaben.

10. Letzten Endes trifft jeden Diözesanbischof die Pflicht im Falle karitativer Organisationen, die den Rahmen der kirchlichen Lehre verlassen haben, einzuschreiten. Hierüber hat der Bischof seine Gläubigen öffentlich zu unterrichten. Im Übrigen muss in einem solchen Falle die Bezeichnung „katholisch“ versagt werden.


Ausblick

Die kirchenrechtlichen Bestimmungen von „Intima Ecclesiae natura“ werden nicht nur Auswirkungen auf die „Caritas“ und andere kirchliche Wohlfahrtsverbände haben, sondern auch auf katholische Organisationen, die in der Entwicklungshilfe tätig sind. Initiativen, die direkt oder indirekt die Verbreitung von Abtreibung oder Verhütungsmitteln unter dem Deckmantel christlicher Nächstenliebe fördern, müssen in jedem Falle mit Konsequenzen rechnen. Wo „katholisch“ draufsteht, muss eben auch katholisch drin sein. Dies ist dem Heiligen Vater wichtig.



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