Wir sollen Ohrenzeugen, Tatzeugen und Wortzeugen sein

13. Februar 2013 in Deutschland


Kardinal Meisner predigt zum „Aschermittwoch der Künstler“: Glauben „heißt: hören, sehen, anfassen. Gott als die Mitte, als das Herzstück unseres Glaubens ist danach hörbar, sichtbar und berührbar.“


Köln (kath.net/pek) kath.net dokumentiert die Predigt von Joachim Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, zum Aschermittwoch der Künstler in Groß Sankt Martin, Köln, am 13. Februar 2013

Liebe Schwestern, liebe Brüder!
1. Der Apostel Johannes bezeugt am Anfang seines ersten Briefes gleichsam als Ergebnis seiner vom Herrn selbst empfangenen Glaubensunterweisung, indem er schreibt: „Was von Anfang an war, was wir gehört haben, was wir mit unseren Augen gesehen, was wir geschaut und was unsere Hände angefasst haben, das verkündigen wir: das Wort des Lebens“ (1 Joh 1,1).

Glauben heißt also: hören, sehen, anfassen. Gott als die Mitte, als das Herzstück unseres Glaubens ist danach hörbar, sichtbar und berührbar. Die Wirklichkeit des lebendigen Gottes hat sich in der Schöpfung und in der Erlösung der Welt und des Menschen in der Vergegenwärtigung des Wahren, des Guten und des Schönen verleiblicht.

Unser Glaube an Jesus Christus ist nicht ein Überbau über unserer Weltwirklichkeit wie eine Ideologie, sondern er ist fundamental eingestiftet in unser Dasein selbst. Und das Wahre, das Gute und das Schöne sind austauschbar. Jedes bringt die eine und die gleiche Wirklichkeit ans Licht, nämlich den Schöpfergott, der im Wahren, im Guten und im Schönen gegenwärtig ist.

Wir dürfen deshalb sagen: Das Dasein wird gültig definiert durch das Wahre oder durch das Gute oder durch das Schöne. „Sich sagen“, d.h. also „sich aussagen“, „sich geben“, „sich zeigen“ heißen deshalb auch die Selbsteröffnungen Gottes an den Menschen. Sein Hören, sein Sehen und sein Berühren sind die menschlichen Antworten auf Gottes Selbsterschließung. Gott sagt sich also dem Menschen im Wahren zu.

Er händigt sich dem Menschen im Guten aus. Und er zeigt sich dem Menschen im Schönen her. Den Menschen das zu verdeutlichen und ihnen wirklich nahe zu bringen, ist eine Berufung der Künstler. Denn das theologische Thema der Offenbarung Gottes ist von diesem seinshaften Dreiklang geprägt und markiert: als Sich-Zeigen der Herrlichkeit Gottes, als Tat oder als Sich-Schenken der unendlichen Freiheit Gottes in ihrem dramatischen Zusammenspiel mit der endlichen Freiheit des Menschen und als Wort oder als Selbstaussage Gottes in die menschliche Sprachgestalt hinein.

Darum ist es die Berufung des Menschen, namentlich des Künstlers, Zeugnis zu geben, indem er Gott authentisch hörbar, sichtbar und berührbar macht. Wir sollen seine Ohrenzeugen, seine Tatzeugen und seine Wortzeugen sein.

2. „Sich sagen“ heißt die Selbsterschließung Gottes. Insofern Gott die Wahrheit ist, ist er aussagbar. Das Wahre findet seinen gültigen Ausdruck in der menschlichen Wortgestalt. „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott“ (Joh 1,1) – „und das Wort ist Fleisch geworden“ (Joh 1,14) und hat Gestalt angenommen.

Alle Verkünder dieser Welt kommen von unten. Sie müssen erst selbst studieren, ehe sie dozieren können. Christus kommt als einziger von oben. Er sagt uns, was er beim Vater gesehen hat. Er sagt uns: „Einer ist euer Meister, ihr alle aber seid Brüder“ (Mt 23,8). Ich meine, das entlastet und das entsorgt uns als Zeugen, die wir uns und jeder auf seine Weise bemühen, dem Zeugnis Gestalt zu verleihen.

Die Spruchweisheit unseres Volkes bringt es treffend zum Ausdruck, wenn sie sagt: „Man kann alt werden wie ein Haus, man lernt nie aus“. Das heißt übersetzt auch: Wir bleiben immer Anfänger, Schülerinnen und Schüler. Hier aber stehen wir gleichsam als Lehrer mit den Schülern in der gleichen Reihe. Wir sind immer mit ihnen Mitglaubende. Also ist unser Verhältnis zu ihnen nicht so sehr von einem Gegenüber geprägt, sondern von einem „mit“, von einem „wir sind Mitglaubende“. Auch ein irdischer Lehrer steht zwar vor uns, aber eigentlich ist er mit uns und neben uns. Man würde heute sagen: Das Ringen, dem Wahren, dem Guten und dem Schönen Gestalt zu verleihen, geschieht durch eine qualifizierte Geschwisterlichkeit.


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