Benedikt XVI. war durch und durch modern

19. März 2013 in Interview


Papst „Franziskus knüpft unmittelbar an das reiche geistliche Erbe Benedikts XVI. an“, erläutert Alexander Kissler im kath.net-Interview. Von Petra Lorleberg


Freudenstadt (kath.net/pl) „Benedikt war kein Traditionalist oder gar Antimodernist, sondern eine moderne Erscheinung durch und durch.“ Dies sagte der Kulturjournalist, Medienwissenschaftler und Autor Alexander Kissler (Foto) im kath.net-Interview. Sein erst vor wenigen Tagen auf den Markt gekommenes Buch „Papst im Widerspruch - Benedikt XVI. und seine Kirche 2005-2013“ stürmt aktuell die Verkaufsränge und ist obendrein weltweit die ersten vollständige Geschichte des jüngst zu Ende gegangenen Pontifikats.

kath.net: Herr Dr. Kissler, seit wenigen Tagen haben wir einen neuen Papst. Natürlich kennen wir Papst Franziskus bisher noch wenig, trotzdem möchte ich fragen: Wo sehen Sie Verbindungspunkte und Übereinstimmungen zwischen dem alten und dem neuen Papst?

Alexander Kissler:
Franziskus knüpft unmittelbar an das reiche geistliche Erbe Benedikts XVI. an. Dieser warnte in seiner letzten Generalaudienz am 27. Februar davor, in der Kirche „eine Vereinigung für religiöse oder humanitäre Zwecke“ zu sehen. Franziskus wandte sich bekanntlich in seiner ersten Predigt ausdrücklich gegen ein Bild von Kirche, das sie als „wohltätige Nichtregierungsorganisation“ begreife.

Benedikt rief am Tag seines Abschieds vom Amt dazu auf, in der Kirche „zu stets größerer (…) Harmonie beizutragen“, Franziskus sieht das Ziel der Kirche „nicht in der Gleichheit, sondern in der Harmonie“ – und Harmonie hat immer ein hierarchisches Element.

Franziskus ist kein Barrikadenstürmer, er wird das benediktinische Programm der Entweltlichung entschieden fortsetzen. Zudem hat auch Benedikt „die bevorzugte Option für die Armen“ verkündet, die sich nun Franziskus zu eigen macht.

Nicht zuletzt ist Franziskus vom selben eschatologischen Ernst durchdrungen wie Benedikt. Beide Päpste sehen in der nachparadiesischen Welt den Teufel um die Herrschaft über die Seelen ringen und setzen Gebet und Glaube dagegen.

kath.net: Mit welchen Eindrücken sind Sie damals im Jahr 2005 in das Pontifikat Benedikts XVI. hineingegangen? Haben Sie dann Impulse von Benedikt empfangen, die Sie verändert haben?

Kissler:
Mir war damals klar, dass es eine sehr spannende Zeit werden würde mit dem bescheidenen und zugleich kompromisslosen Denker auf dem Papstthron. So ist es dann ja auch gekommen.

Benedikts wahrlich kluges Motto für uns alle hieß „Du musst dein Denken ändern“. Ich habe in den Jahren seines Pontifikats erfahren, dass in der Tat die Art, wie wir von uns selbst und der Welt denken, oft in Schablonen und Konventionen gefangen ist.

Benedikt hat auch mir gezeigt, wie sehr G. K. Chesterton recht hatte, als er schrieb: „Was uns für Zwecke der konkreten Praxis am meisten Not tut, sind durchweg Abstraktionen. Wir brauchen eine richtige Vorstellung vom Los des Menschen.“

kath.net: Sie haben ein Buch über Benedikt XVI. geschrieben. Ist dieses Buch eine Art Biographie, ein Bericht, eine politische Deutung, ein Blick hinter die Kulissen?

Kissler:
Mein Buch „Papst im Widerspruch“ ist eine Geschichte dieses Pontifikats. Ich wollte darstellen, was sich in den knapp acht Jahren ereignet hat, was da vorgefallen ist in Kirche und Welt. In zehn thematischen Kapiteln kehren die großen Herausforderungen und Debatten der benediktinischen Jahre wieder.

In zweiter Linie habe ich mich um eine Analyse bemüht. Was lag dem Papst aus welchen Gründen wirklich am Herzen, womit ist er durchgedrungen, woran ist er gescheitert, was wird bleiben?

kath.net: Zurzeit steht der Blick auf diesen Pontifikat noch sehr unter dem Eindruck des Rücktritts. Was bedeutet dieser Schritt, den Benedikt XVI. im Bewusstsein der Schwere der Bedeutung getan hat, für die Gesamteinschätzung seiner Amtszeit? Ist dieser Rücktritt auch ein Deutungshinweis auf bestimmte Vorgänge in den letzten Jahren?

Kissler:
Benedikt sprach von einer schwindenden Kraft des Körpers und auch der Seele, einem schwächer werdenden Lebensatem also, der ihm die Leitung der Kirche in der gegenwärtigen Zeit nicht mehr ermögliche. Daraus folgt unmittelbar: Die Herausforderungen sind gewaltig.

Benedikt zitierte gerne Petrus Canisius mit den Worten, „seht, Petrus schläft. Judas ist wach.“ Er wollte offenbar sicherstellen, dass ein maximal wacher Nachfolger Petri den geistlichen Kampf fortsetzt. Dafür nahm er einen heiklen Schritt in Kauf, der ohne Beispiel ist.

Ich spreche in meinem Buch von einer „mystischen Selbstverpuppung“, deren Folgen unabsehbar sind. Andererseits: Warum sollte der scharfe Gegner eines Konventionschristentums sich an die Konvention halten, wonach ein Papst im Amt zu sterben habe?

kath.net: Sie haben sich für Ihr neues Buch intensiv mit der Lehre von Papst Benedikt XVI. auseinandergesetzt. Was wird von seiner Theologie, von seiner Büchern, was wird von seinen Reden bleiben? Was haben Sie persönlich in der Beschäftigung damit für sich selbst dazu gewonnen?

Kissler:
Bleiben wird sehr viel. Seine drei Enzykliken wie auch sein dreiteiliges Jesus-Buch sind ein ideales geistiges Marschgepäck auf dem Weg des Christentums ins 21. Jahrhundert. Benedikt zeigt sich darin als wahrer Kirchenlehrer. Besonders „Spe salvi“ kann ich zur Lektüre wärmstens empfehlen.

Wo immer Benedikt sprach oder schrieb, sind wir sofort mitten im spannenden Ringen um die Zukunft des Menschen. Dass wir als Menschen immer Mitgeschöpfe sind, dass wir allein keine Hoffnung schöpfen und keinen Trost finden können: diese Lehre Benedikts berührt mich besonders.

kath.net: Fast acht Jahre dauerte das Pontifikat Benedikts. Welche seiner Themen haben Sie besonders hervorgehoben?

Kissler:
Benedikt war kein Traditionalist oder gar Antimodernist, sondern eine moderne Erscheinung durch und durch. Er wollte die Aufklärung über den Menschen vor ihren schrecklichen Vereinfachern schützen.

Sein kritischer Blick auf unsere Gegenwart, der nie verdammend war, hat mich beim Schreiben besonders interessiert.

Zudem erscheint in seinen Gedanken das ganze große abendländische Erbe auf, das heute allzu leicht vernachlässigt, wenn nicht gar entsorgt wird. Eine Gesellschaft, mahnte er, die ihre Wurzeln kappt, geht irre an sich selbst. Sie unterwirft sich den jeweils herrschenden Tendenzen und hält diese selbstgeschmiedeten Ketten für Freiheit.

kath.net: Wie sehr hat das Verhältnis Deutschlands zu Papst Benedikt diesen Pontifikat beeinflusst?

Kissler:
Weniger, als es scheinen mag. Natürlich gab es aus deutschen Landen manche wohlfeile Kritik, manchen billigen Moralismus, manche offene Feindschaft, die auf ihre Verursacher zurück fällt.

Er war aber der Papst der Weltkirche und als solcher gegen alle nationalkirchliche Versuchung immun. Dass in manchen deutschen Kirchenkreisen, um es salopp zu formulieren, Hopfen und Malz verloren ist, hat ihn gewiss nicht überrascht.

kath.net: Möchten Sie uns das Fazit Ihres Buches verraten?

Kissler:
Ich versuche mich an einer vielschichtigen Bilanz. Zwei Gedanken möchte ich vorweg nehmen: Benedikt war ein Nonkonformist, wie er im Buche steht, und zugleich ein Mystiker aus Einsicht.

Er ließ sich die Erkenntnis nicht abmarkten, dass jedes Außen aus einem Innen hervorgeht. Dass jede Veränderung der Welt in den Seelen beginnt oder aber versäumt wird. Und so ist es wirklich.

- kath.net wird in den kommenden Tagen Auszüge aus „Papst im Widerspruch“ präsentieren -

kath.net-Lesetipp:
Papst im Widerspruch - Benedikt XVI. und seine Kirche 2005-2013 –
Von Alexander Kissler
Gebundene Ausgabe: 304 Seiten
Pattloch 2013
ISBN-13: 978-3629022158
Gebundene Ausgabe: € 20.60
eBook: € 18.20
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Foto Alexander Kissler: (c) Alexander Kissler


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