Franziskus – das Gegenteil von Benedikt?

4. April 2013 in Kommentar


Der aktuelle Papst greift den Papa emerito nicht an, sondern vielmehr auf - Von Georg Dietlein


Köln (kath.net/gd) Habemus Papam. Viva il Papa Francesco! – Spätestens seit Ostern ist klar: Franziskus ist zu einem Papst der Herzen geworden – ein Papst, der die Menschen mit seinem einfachen und herzlichen Stil überrascht und mit seinen einfachen und deutlichen Worten bezaubert. Viele erhoffen sich viel von ihm. Auch Hans Küng hat sich zu seinem 85. Geburtstag noch etwas gewünscht: „Die Gretchenfrage an den neuen Papst lautet: Wie hältst Du‘s mit Reformen?“ – Wenn mit diesen Reformen eine Anpassung der Kirche nach dem Diktat des Zeitgeistes und nach dem Willen der Menschen gemeint ist, wird Hans Küng wohl bitter enttäuscht werden.

Viel wurde über Papst Franziskus bereits kurz nach seiner Wahl vorhergesagt – und vieles davon stammt von falschen Propheten.

Wer Papst Franziskus als den großen Reformer der kirchlichen Dogmatik (Priesterweihe, Eucharistiegemeinschaft) und Moral (Lebensschutz, Sexualmoral) verkauft, der missbraucht ihn für eigene Wünsche und Hoffnungen – und nimmt nicht ernst, worum es dem Papst wirklich geht.

Wer – wie etwa Matthias Drobinski (Süddeutsche Zeitung) – das „Programm“ von Papst Franziskus als das „Gegenteil“ von Papst Benedikt XVI. ausgeben möchte, der irrt gewaltig. Wie kommt es, dass Papst Franziskus bereits in seiner ersten Ansprache an das römische Volk liebevoll an seinen Vorgänger erinnert, ihm herzlich für seinen Dienst dankt und ihn in seinen Predigten immer wieder erwähnt? Wieso telefoniert er mit Papst Benedikt XVI., besucht ihn auf Castel Gandolfo und greift auch in liturgischer Hinsicht (goldene Ferula, klassisches Pallium) immer wieder auf ihn zurück? – Eine kleine Randnotiz zur „Reform der Papstschuhe“: Papst Franziskus trägt nach Aussage des Apostolischen Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, nur deshalb keine roten „Papstschuhe“, da er wegen eines Wirbelsäulenleidens orthopädische Schuhe tragen muss. So schnell kann man also auch die kleinen Gesten über- bzw. falsch interpretieren.

Matthias Drobinski skizziert den Gegensatz von Franziskus und Benedikt folgendermaßen: „Joseph Ratzinger predigte 2005 die Hermetik, die Sicherung des Eigenen, die Bewahrung des anvertrauten Schatzes an sicherem Ort. Das ist das – wenn man die Sache zuspitzt –, was sein Nachfolger als selbstbezogen und „theologischen Narzissmus“ geißelt, als „egozentrische Kirche“, die Jesus „für sich drinnen beansprucht“. – Man muss sich hier ehrlich fragen, ob sich das Pontifikat Benedikts wirklich auf den Kampf gegen die „Diktatur des Relativismus“ reduzieren lässt. Sicherlich – die Frage nach der Wahrheit und dem Wesentlichen prägt das Denken von Joseph Ratzinger seit seiner Zeit als Professor und Präfekt der Glaubenskongregation. In seinen acht Jahren als Papst hat er aber noch einmal deutlich andere Akzente gesetzt: Entweltlichung, Neuevangelisierung, Blick auf das Wesentliche, nämlich Jesus Christus (Triologie über Jesus von Nazareth) und den Glauben (Jahr des Glaubens), Dialog mit der Welt, der Wissenschaft, mit anderen Konfessionen und Religionen. Von Selbstbeschäftigung und theologischem Narzissmus war unter Benedikt XVI. kaum etwas zu spüren, fiel auch die notwendige Beschäftigung mit der Piusbruderschaft in die Zeit seines Pontifikats. Alles, was Benedikt XVI. in seinen acht Jahren getan, gesprochen und geschrieben hat, lief letztlich auf ein Thema hinaus, das er bereits 1958 in einem beachteten Vortrag über „Die neuen Heiden und die Kirche“ fokussiert hatte: Entweltlichung und Neuevangelisierung.

Der Terminus „Entweltlichung“ darf als genuin „ratzingerianisch“ gelten – ein Begriff, den Papst Benedikt XVI. in der Freiburger Rede im Jahre 2011 noch einmal deutlich betonte. In Folge der Rede kam es in Deutschland zu einer Diskussion über Caritas, Weltbildverlag und die Kirchensteuer. Auch Papst Franziskus stellte das Thema Entweltlichung bzw. Verweltlichung in den Mittelpunkt seiner ersten Predigt: „Wir können gehen, wie weit wir wollen, wir können vieles aufbauen, aber wenn wir nicht Jesus Christus bekennen, geht die Sache nicht. Wir werden eine wohltätige NGO, aber nicht die Kirche, die Braut Christi.“ – Evangelisierung ist Franziskus wichtig. Aber wenn wir die Wahrheit vergessen und bei der Evangelisierung selbst zum Relativierer werden, gerät das Zentrum der Evangelisierung aus dem Blick: das Evangelium, das in Jesus Christus selbst Person geworden ist.

Die Errichtung eines Päpstlichen Rates zur Förderung der Neuevangelisierung im Jahr 2010 und die Ernennung des begabten Kurienerzbischofs Rino Fisichella zum ersten Präsidenten macht noch einmal deutlich, dass das Anliegen der Neuevangelisierung keineswegs an Benedikt vorrübergegangen ist. Im Oktober 2012 stand die dritte Bischofssynode von Papst Benedikt XVI. dann unter dem Thema „Die neue Evangelisierung zur Übermittlung des christlichen Glaubens“. Wir können davon ausgehen, dass Franziskus gerade dieses Thema, das bereits seinem Vorgänger so wichtig war, in den Mittelpunkt seines Pontifikates rücken wird.

Auch mit seiner bekannt gewordenen Rede im Vorkonklave griff der damalige Kardinal Bergoglio den Papa emerito nicht an, sondern vielmehr auf – um die Kirche aus ihrem Dornröschenschlaf der Selbstbeschäftigung und Selbstbeweihräucherung zu wecken: „Es gibt zwei Kirchenbilder: die verkündende Kirche, die aus sich selbst hinausgeht, die das „Wort Gottes ehrfürchtig vernimmt und getreu verkündet“; und die mondäne Kirche, die in sich, von sich und für sich lebt.“ – Die Kirche muss zu den Menschen gehen. Sie muss bei den Menschen wieder durch die radikale Botschaft des Evangeliums auffallen – und nicht mit einem Kirchensteuerbescheid oder dem nächsten Finanzskandal. Es gibt viel zu tun.

Foto Georg Dietlein: © www.student-litigators.de


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