Was kann man als Katholik heute noch wählen?

20. September 2013 in Deutschland


In der Wahlkabine ist der Katholik – genauso wie hinsichtlich seiner privaten Lebensführung – in erster Linie seinem Gewissen verpflichtet. Von Georg Dietlein


Berlin-Köln (kath.net/gd) Je näher die Bundestagswahl am 22. September 2013 rückt, desto akuter und aktueller wird die Frage: Was soll ich denn nun bitte wählen? Auch kurz vor der Bundestagswahl gibt es noch eine große Gruppe an Unentschiedenen, die am Wahltag überwiegend zu Nichtwählern werden – oft aus Unwissenheit oder Desinteresse, zum Teil auch aus Enttäuschung oder wegen mangelnder Auswahlmöglichkeiten. In Deutschland ist nicht einmal jeder 60. Bundesbürger Mitglied einer Partei. Die politische Grundbildung der Bevölkerung ist oft so miserabel, dass nicht einmal die korrekte Unterscheidung von Erst- und Zweitstimme sichergestellt ist. Hinzu kommen Informationsflut und Parteienvielfalt, die eine Wahlentscheidung umso schwerer machen. Und dennoch stehen Katholiken spätestens am 22. September vor der Frage: Was soll ich heute wählen? Denn wer gar nicht – nicht einmal eine Protestpartei – wählt, setzt auch kein öffentliches Zeichen.

Manche Katholiken werden sich am Wahltag eine Wahlempfehlung erhoffen – möglicherweise auch zur „Gewissenserleichterung“. Doch eine solche Wahlempfehlung wird es nicht geben. Die kritische Äußerung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, mit Blick auf die „Alternative für Deutschland“ (AfD) ist für Katholiken genauso unverbindlich wie der „Aufruf der deutschen Bischöfe zur Bundestagswahl am 22. September 2013“ an Profillosigkeit und mangelnder (kritischer) Auseinandersetzung mit aktuellen politischen Fragen leidet. In der Wahlkabine ist der Katholik – genauso wie hinsichtlich seiner privaten Lebensführung – in erster Linie seinem Gewissen verpflichtet, das das II. Vatikanische Konzil als „die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen“ bezeichnet, „wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist“ (Gaudium et Spes, Nr. 16).

Im Gegensatz zur Anfangsphase der Bundesrepublik kann und muss der Wähler heute aus einer großen Vielzahl an Parteien und Interessensgruppen auswählen. Die Entscheidung für eine Partei ist immer auch eine Entscheidung gegen andere Parteien. Im Übrigen zwingt die Fünf-Prozent-Hürde tendenziell zur taktischen Wahl einer der etablierteren Parteien, damit die eigene Stimme überhaupt zählt. Eine Proteststimme kann sinnvoll sein, wird sich im Ergebnis allerdings selten wiederspiegeln. Kurzum: Die Stimmabgabe ist eine höchst diffizile Gewissensentscheidung, die das Wahlprogramm der jeweiligen Partei, ihre zukünftige Entwicklung und die Glaubwürdigkeit ihrer Vertreter in den Blick nehmen sollte.

Bei einem Ritt durch die Programme verschiedener Parteien zur Bundestagswahl fiel mir besonders der Punkt „Rechtsstaatlichkeit und Demokratie“ im Wahlprogramm der „AfD“ auf, bei dem es u.a. heißt: „Parteien sollen am politischen System mitwirken, es aber nicht beherrschen. Das Volk soll den Willen der Parteien bestimmen, nicht umgekehrt.“ Eine solche Forderung sollte doch eigentlich selbstverständliche Realität sein. Gleichwohl lehrt uns die Parteienverdrossenheit dieser Tage etwas anderes: Viele Bürger bringen sich nur noch – wenn überhaupt – mit der Stimmabgabe in Gesellschaft und Politik ein und überlassen anderen das „weite Feld“. So fällt es auch immer schwerer, sich mit der Politik einer Partei zu identifizieren und eine Wahlentscheidung zu treffen. Dies verstärkt die bereits herrschende Politikverdrossenheit und führt letztlich zu einer „Herrschaft der wenigen“.

Dass der einzelne Katholik in Politik und Gesellschaft durchaus etwas bewegen kann, belegt etwa die Abstimmung des CDU-Bundesparteitags vom 16. November 2010 zur „Präimplantationsdiagnostik“ (PID), besser: „Präimplantationsselektion“ (PIS). Mit 408 zu 391 Delegiertenstimmen sprach sich die CDU knapp für ein Verbot der genetischen Selektionsmethode „PID“ aus. Allein neun Stimmen gaben hierbei den Ausschlag. Dass eine ablehnende Mehrheit in der CDU schließlich nicht dazu führte, dass auch die CDU-Bundestagsfraktion am 7. Juli 2011 für ein PID-Verbot stimmte, ist ein anderes trauriges Kapitel im Buch des Lebens.

Politik ist – genauso wie Religion – keine Privatsache. Auch wenn die Bekanntgabe der eigenen politischen Meinung polarisieren oder sogar spalten kann, gebietet es doch das Gebot der Ehrlichkeit, Wahrhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit, eine eigene politische Haltung zu haben und sich als Bürger auch für diese Haltung in einer (eigenen) politischen Partei stark zu machen. Christsein und Politik sind keine Gegensätze, sondern gehören zusammen.

Die anfangs aufgeworfene Fragestellung „Was kann man als Katholik heute noch wählen?“ ist also bereits im Ansatz verfehlt. Ein Katholik sollte nicht nur alle vier Jahre die Wahlprogramme der Parteien mit den Grundsätzen der katholischen Sozial- und Morallehre abgleichen und zur Wahl gehen, sondern sich vielmehr selbst in einer Partei für bestimmte Werte und Positionen stark machen. Entschuldigungen à la „Für Katholiken ist heute keine Partei mehr wählbar“ sind unzulässig. Katholiken dürfen auch in einer nichtchristlichen Umgebung nicht kapitulieren, sondern müssen sich in die Öffentlichkeit einbringen. Christlich verantwortetes Engagement muss noch nicht einmal parteipolitisch sein. Katholiken sind auch dazu aufgerufen, sich außerparteilich für den Wert des menschlichen Lebens und der Familie, für Freiheit und Gerechtigkeit stark zu machen – etwa im Rahmen der Europäischen Bürgerinitiative „One of us“ oder durch Teilnahme am „Marsch für das Leben“ am 21. September 2013 in Berlin.

Also: Auch wenn Sie als Katholik oder Katholikin in einer nichtchristlichen Gesellschaft keine „christliche“ Partei mehr finden werden, stecken Sie den Kopf nicht in den Sand. Gehen Sie zur Wahl. Geben Sie dem besten Kandidaten in Ihrem Wahlkreis Ihre Erststimme. Und wenn Sie mit der Zweitstimme keine der großen Parteien wählen wollen, so geben Sie Ihre Stimme wenigstens einer kleinen Partei mit klarem Profil.


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Foto Georg Dietlein: © www.student-litigators.de


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