Ende der Schonzeit: Der Nächste, bitte!

12. November 2013 in Chronik


Mit welchem deutschen Bischof treiben die neuen Jakobiner jetzt ihren Tanz? Eine exklusive Begegnung mit Franz Peter Tebartz-van Elst - Von Paul Badde (Vatican-Magazin) - Text jetzt in voller Länge


Rom (kath.net/Vatican-Magazin) Ende der Jagd. In Roms Via della Pace sind die Cafés voll mit Kollegen, die Franz-Peter Tebartz-van Elst auflauern, der gegenüber im Teutonischen Kolleg Santa Maria dell’Anima Zuflucht vor dem Volkszorn sucht. Doch er lässt sich einfach nicht sehen. Rudel-Journalismus wird das keiner nennen dürfen, auch keine Medien-Kampagne. Es ist nur eine fürsorgliche Belagerung. Denn er soll böse gelogen haben, weiß doch jeder. Der Strafbefehl aus Hamburg sei schon so gut wie unterwegs. Er ist erster Klasse geflogen! Sein Neubau neben dem Limburger Dom ist eine einzige Provokation. Sein Fall ist von Lügen wie von einem Spinnengewebe überzogen, tatsächlich. Der Kollege Wensierski vom SPIEGEL hat jedes Mal gelogen, wenn er sagte, den Bischof nicht mit versteckter Kamera gefilmt zu haben. Natürlich hat er das.

Er hat den Bischof gelinkt und streift nun fast schon als Ehren-Pastor der kritischen Presse über die Bildschirme, um den Halunken-Bischof zur Strecke zu bringen, im Wettlauf mit der FAZ. Die Badewanne des Bischofs hat dennoch keine fünfzehntausend Euro gekostet, wie mittlerweile sogar in Amerika bekannt geworden ist, sondern das ganze Badezimmer. Hauptbelastungszeuge ist der feine Herr Riebel, langjähriger Berater des Bischofs, der ihm zuletzt geraten hat, zurückzutreten oder sich umzubringen (nachdem er sich davor von demselben Bischof noch mit dem päpstlichen Gregorius-Orden hat auszeichnen lassen). Und eine Unzahl anderer Behauptungen über Bischof Franz- Peter Tebartz-van Elst kann man in der Pfeife rauchen.

Doch warum tritt er nicht einfach zurück – wie sein Vorbild Benedikt XVI., der ihn doch nach Limburg geschickt hat? Das wollen wir von ihm wissen. Die Glocken läuten draußen zum Angelus, als er in dem alten Palazzo das Zimmer betritt, in dem wir vor Gemälden der Päpste Pius IX. und Pius X. auf ihn gewartet haben. Ein Tisch, vier Stühle. Fenster mit Glasmalereien.

Das Haus hinter der Piazza

Navona ist ein letzter Rest des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, das hier dessen Auflösung nach dem Deputationshauptschluss 1803 mitten in Rom als kleine Enklave überlebt hat. Der Bischof schlank, fast jungenhaft, ungealtert: das „Phantom von Rom“. Gewinnend wie eh und je. Der Druck der letzten Wochen haben den Asketen nicht gebeugt. Ich suche die Prüfungen in seinen Zügen und finde sie nicht. Er ist er kein chinesischer Untergrundbischof. Der Bischof aus der deutschen Provinz hält sich hier dennoch aus Not versteckt.

Die katholische Kirche feiert an diesem Tag Ignatius von Antiochien, der sich im Jahre 117 drüben im Kolosseum von Löwen zerreißen ließ. Natürlich kennt auch Tebartz-van Elst jene Passage aus dem letzten Brief dieses Bischofs an die Gemeinde von Rom: „Lasst es geschehen, dass ich den wilden Tieren zum Fraß diene. Durch sie wird es mir vergönnt sein, Weizenkorn Gottes zu werden, das von den Zähnen der wilden Tiere zermahlen werden muss, um reines Brot Christi zu werden!“

Selbstverständlich hat er bei der Morgenmesse daran gedacht, wie lebensnah ihm hier das Zeugnis dieses großen Bischofs entgegen komme. Die unbedingte Bereitschaft des heiligen Ignatius, für die Einheit mit Christus und die Einheit des Hirten mit seiner Herde zu leiden, findet er aber auch heute noch in der Erkenntnis Benedikt XVI. gespiegelt, „dass es ohne Leid keine Veränderungen gibt“.

Es tut weh, wenn man verraten wird Ignatius aber war der Legende nach auch jenes Kind, das Jesus beispielhaft in die Mitte seiner Jünger gestellt hat. Kann er sich mit diesem Knaben identifizieren? Hat er nicht sogar manchmal als Bischof so unbefangen wie ein Kind gehandelt? Ja, sagt er sofort. Er habe so viel über die Taufe gearbeitet, dass ihm der Begriff der Gotteskindschaft deshalb vielleicht besonders nah sei. Das Kindliche im Menschen. Seine Unverstelltheit. Sein sich-an-die- Hand-nehmen-lassen. „Aber haben Sie sich in solch einem Verständnis der Gotteskindschaft nicht vielleicht zu oft an die Hand nehmen lassen von Händen, von denen Sie besser die Finger gelassen hätten, Exzellenz?“

Das könne sein, nickt er, und das könne man nachher natürlich immer besser beurteilen, als in dem Moment, wo man in einem Menschen, der einem die Hand entgegen streckt, auch etwas „von der Zuneigung Gottes zu erkennen meint“. Es tue weh, wenn man dabei enttäuscht wird, und erst recht weh, wenn verraten wird. Doch dabei wolle er bleiben, zunächst jedem mit diesem Vorschussvertrauen zu begegnen. Diese Überzeugung, dass in jedem Menschen auch das Gute steckt, das sich vermitteln will, wolle er sich nicht nehmen lassen. Wenn ihm dann wieder eine Hand entgegengestreckt werde, möchte er sie auch annehmen.

Er muss schwer traumatisiert sein. Viele wären längst zusammen gebrochen in dieser Jagd. Seine Seele ist wund und verwundet. Auch der Versuchung des Hochmuts hat der Hochbegabte wohl nicht immer widerstehen können, als einer Leidensfalle vieler Überflieger. Dass Urteil allerdings, Freund und Feind nicht unterscheiden zu können und seine Feinde zu streicheln und zu füttern und Freunde zu treten, hängt ihm schon länger an. Auffällig ist, dass sich seine Gesichtszüge in den letzten Jahren nicht verändert zu haben scheinen. Dieses leise Lächeln.

Die Brille lässt seine klugen Augen größer erscheinen. Es ist eine Quelle bösartigen Spotts vieler Feinde, an denen es dem Familienbischof der Deutschen Bischofskonferenz nicht mangelt, seit er vor Jahren einen Priester in Wetzlar gemaßregelt hat, der ein schwules Paar nach dessen amtlich vollzogener Lebensgemeinschaft semi-liturgisch gesegnet hat. Kontaktlinsen hat er sich dennoch nie verpassen lassen. Eher reagiert er verletzt auf jede hämische Bildunterschrift.

Inzwischen ist er bestürzt, dass er dem dringenden Rat eines Anwalts nachgegeben hat, den SPIEGEL in der läppischen Frage seines Business-Class-Fluges zu verklagen. Er hat falschem Sachverstand vertraut, mehr als einmal. Er hat keine Medienkompetenz, was er als Bischof auch nicht muss. Er gilt nicht nur auf diesem Gebiet als beratungsresistent und hat dennoch den Einflüsterungen mancher Ratgeber bedingungslos vertraut. Mittlerweile soll er sich dem Vernehmen nach einen neuen Star-Anwalt gesucht haben. Was aber das klare Urteil und Wort eines Bischofs ausmacht, kann er unmöglich einem Anwalt überlassen. Er hat es trotzdem gemacht.

Die „arme Kirche“ als Kampflosung

Natürlich sieht er manche dieser Fehler längst ein und bedauert sie. Kann er dem öffentlichen Katalog seiner Fehlentscheidungen aber vielleicht selbstkritisch noch ein Manko hinzufügen, der bisher noch nicht zur Sprache gebracht wurde? Da lächelt er wieder leise. Wer könne das nicht? Aber das möchte er doch lieber seinem Beichtvater als den Medien anvertrauen.

Seine umstrittensten Entscheidungen aber waren fast alle kollegial getroffen worden, auch wenn – wie üblich – nur die Unterschrift des Bischofs unter den Dokumenten stehe. Albträume hat er nicht. Auch früher nicht? Doch, da erinnert er sich an ein wiederkehrendes schweres Bewegen, das ihn dennoch nicht voran brachte. Das ist ihm unvergessen geblieben.

Hat er denn auch einen glücklichen Traum, der die letzten Monate unbeschädigt überstanden hat? Unbedingt, und davon will er auch nicht lassen: dass im Bistum Limburg auch unversöhnlich scheinende Positionen wieder zusammenfinden mögen, wie unter dem Schutzmantel der Muttergottes von Kevelaer, der „Trösterin der Betrübten“, die ihn seit seiner Kindheit begleitet, unter deren weiten Mantel Städte und Völker Platz finden. Ihr vertraut er sich auch in Rom an, wohin er gekommen ist, um seinen Fall dem Nachfolger Petri in die Hände zu legen.

Einem Mann, der heute in Deutschland Bischof wird, würde er vor allem Standfestigkeit nach dem Wahlspruch Kardinal von Galens wünschen, des Löwen von Münster, seines großen Vorbilds, der ihn von früh an geprägt hat: ‚nec laudibus nec timore’ (Weder Menschenlob, noch Menschenfurcht [soll uns bewegen]).

Ihm selbst sei dennoch zunächst die Luft weggeblieben, als er erfahren hatte, dass er Bischof werden sollte, auch wegen des großen Vertrauens, das Gott ihm mit diesem Amt zugemutet habe. Gleichzeitig habe er sich weder damals noch später Illusionen darüber gemacht, was das heute bedeute, auf der einen Seite das Wesenhafte des Glaubens wach zu halten und gleichzeitig die immer weiter auseinander strebenden Meinungsströmungen wieder zusammen zu führen. Andere sagen aber auch, dass der sehr gute Kaplan und brillante Professor sich seit seiner Bischofsweihe enorm verändert habe, bis zur Unkenntlichkeit.

Seit dem Amtsantritt von Papst Franziskus ist ihm natürlich nicht verborgen geblieben, dass eine „arme Kirche“ als Kampflosung gegen ihn beschworen wird. Gerade einer solchen Kirche fühlt aber auch er sich verpflichtet. Als eine Kirche der Wahrhaftigkeit und Ursprünglichkeit. Als eine Kirche, die bei der Wertschätzung für das Schöne weiß, dass wir nichts davon besitzen! Die arme Kirche lasse die Verliebtheit zum Materiellen hinter sich. Eine arme Kirche sei nicht die Verneinung dessen, was schön ist. Das passe auch nicht zu dem, was der heilige Franziskus gelehrt hat. Der habe uns die Liebe zur Schöpfung gezeigt, wo wir als Mitschöpfer eingeladen seien, Dinge zur Ehre Gottes zu schaffen. Dafür brauche es die Bilder und Dinge, die uns auf Gott verweisen. Nicht als Selbstzweck, sondern darin, dass uns aus der Materie ein größerer Horizont erschlossen werden soll.

Benedikt XVI. und die Entweltlichung

Natürlich empört er sich deshalb auch über das Schimpfwort vom Protzbischof. Protz und Prunk sagten ihm nichts. Das wisse jeder, der ihn kenne und jeder, der das neue Bischofshaus gesehen habe. Es sei nicht protzig, sondern vor allem wertig. Er habe hier mit dem Architekten versucht, zeitlose Formen zu finden, um nicht den Moden zu unterliegen, wo morgen wieder rausgeworfen werden müsse, was heute reingesetzt worden sei.

Ist aber das, was er auf dem Domberg in Limburg geschaffen hat, nicht eine geradezu klassische Verweltlichung der Kirche, nachdem Papst Benedikt in Freiburg deren „Entweltlichung“ angemahnt hat? Das Gegenteil sei der Fall, ist er sich sicher. Papst Benedikt habe immer darauf hingewiesen, dass die Wahrheit schön sei und dass wahre Schönheit immer auf die Wahrheit verweise. Problematisch werde es, wenn es darum gehe, etwas für sich selbst zu schaffen. Darum sei es in Limburg aber nie gegangen. Es sei ein Haus der Begegnung. Es solle Menschen zusammenführen im Geist des Glaubens. Es solle ein Haus der Gastfreundschaft sein. Da könne man immer noch fragen, hätte man das eine so oder das andere so gestalten sollen oder können. Doch vor allem habe der Komplex eine Architektonik, die über uns hinaus weise, auf Höheres verweise, in Harmonie mit dem Dom als Haus Gottes.

Was fürchtet er am meisten? Jemals das Urvertrauen des Glaubens verlieren zu können! Das wäre schrecklich. Er fürchte die Nacht des Glaubens, vor der selbst Heilige nicht gefeit waren. Deshalb wüssten wir auch, dass diese Nacht zum Glauben dazu gehört. Das wüssten Christen seit dem Kreuzestod Jesu. Dennoch fürchte er sie.

Ungemütlich: Bischof in Deutschland sein

Drei Tage nach unserem Gespräch empfiehlt Heiner Geißler im deutschen Fernsehen eine Verbannung des Bischofs nach Afrika. Ob der „Querdenker“ dabei vielleicht auch ein paar Löwen im Hinterkopf hatte? Egal. Gut dass Geißler kein Papst und dass der Papst kein Bundeskanzler ist, sondern ein Fels, an dem sich eine Woche später die Erregungswelle gegen den Bischof aus Limburg erstmals bricht. Zurück drehen lässt sich dessen Geschichte jedoch nicht mehr. In Deutschland müssen inzwischen alle Bischöfe die Quadratmeterzahlen ihrer Wohnungen offenbaren und erklären, wieviel sie verdienen, welche Autos sie fahren, wie viel Sprit die Karren schlucken und so weiter.

Die „Kernschmelze“ der katholischen Kirche ist das wohl noch nicht, die der Stadtdekan Graf Johannes zu Eltz in Frankfurt befürchtet. Doch so ungemütlich wie jetzt war es schon lange nicht mehr, in Deutschland Bischof zu sein. Sie sind die Nachfolger der Apostel, die Jesus selbst um sich gesammelt hat, die hier aber immer noch von den gerechten Entschädigungen für die Enteignungen des Jahres 1803 unter Napoleon alimentiert werden. Diese Geldströme sind nun endgültig ins Visier eines immer aggressiveren Säkularismus geraten. Die Zahl der Neuheiden überholt allmählich die Zahl der letzten Katholiken und Protestanten in Deutschland. Ende der Schonzeit. Bischofsitze werden zunehmend als Kegelbahn wahrgenommen. Wer wird nach Limburg also der Nächste sein? Eher Amboss statt Hammer sein, würde Tebartz-van Elst jungen Bischöfen in diesem Ringen auch noch empfehlen.

Er selbst ist wohl beides – und überempfindlich geworden. Seine Lieblingsheiligen sind Augustinus, Nikolaus und Hildegard von Bingen, der erste der Schriften, der zweite der Praxis und die dritte ihrer Weisheit wegen, dazu noch Georg, der siegreiche Drachentöter, als Patron des Bistums. Aber so ist es „wohl nur in der Theorie“, wie Franz Kafka sagen würde.

Denn nicht nur die Leitwölfe der Journalistenmeute haben ihn mit ihren Zähnen beinahe zu Mehl zermahlen, in Limburg ist er auch an einen Drachen geraten, der ihn fast verschlungen hat. Alle haben auf ihm rumgekaut. Doch er stößt bitter auf. Für die kirchlichen Hilfswerke und die Spendenbereitschaft treuer Unterstützer ist sein Fall eine Katastrophe. Eine Prüfungskommission wird jeden Vorwurf gegen ihn prüfen und klären. Ob er ein zweiter Ignatius von Antiochien ist, wird Gott selber prüfen. Für die Historiker aber wird sich eines Tages vielleicht heraus stellen, dass Franz-Peter Tebartz-van Elst in diesem Jahr des Glaubens 2012-2013 tatsächlich so viel wie kein anderer für die Entweltlichung der Kirche in Deutschland getan und erlitten hat.


Die November-Ausgabe des VATICAN-magazins ist ab sofort unter http://www.vatican-magazin.de abrufbar und in gedruckter Form ab dem 13. November an den deutschen Bahnhofs-Kiosken erhältlich.




Foto: (c) Paul Badde


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