Lieber Kardinal Reinhard!

28. November 2013 in Kommentar


BRIEFE aus SIENA: kath.net-Mitarbeiterin Victoria schreibt an Persönlichkeiten der katholischen Kirche. Diesen Monat an den Erzbischof von München. Es geht um seine Aussagen über Hölle und Fegefeuer


Siena (kath.net)
Kath.net-Mitarbeiterin Victoria schreibt an Persönlichkeiten der katholischen Kirche. Dieses Monat an den Erzbischof von München. Es geht um seine Aussagen über Hölle und Fegefeuer, die für Diskussionen gesorgt haben:

Lieber Kardinal Reinhard!

Ich studiere Kommunikationswissenschaften an der Uni Wien. Da befinde ich mich in einem Umfeld, das mit Gott und Kirche weniger als gar nichts zu tun hat. Mein erstes Fachtutorium begann meine Leiterin mit den Worten: „Herzlich willkommen – ich möchte mich gleich für dieses Kreuz an der Wand entschuldigen!“. Sie können sich vorstellen, dass ich öfter meinen ganzen Mut zusammennehmen muss, um zu meiner Kirche zu stehen. Bei uns kommt nie ein Kardinal, nicht einmal ein Priester vorbei, um die Lehre der Kirche zu erläutern, das bleibt mir armen Mädchen allein überlassen.

Nun hat mich vor kurzem ein Artikel der Pressestelle Ihrer Diözese erreicht, in der Ihre Katechese in Erding über die Auferstehung zusammengefasst wird. Da las ich unter anderem: „Die Kirche habe mit Bildern wie dem des Fegefeuers und der Hölle Angst vor dem Tod gemacht, ‚und dafür müssen wir Buße tun’. Denn Jesus ginge es nicht darum, Sünden aufzuzählen, sondern jedem Menschen Heil und Rettung zuzusagen. ‚Die Kirche muss im Miteinander die Angst vertreiben’, unterstrich Kardinal Marx. Um sich vorzustellen, was nach dem Tod komme, brauche der Mensch Bilder, ‚aber das müssen Bilder der Zuversicht, der Hoffnung sein, Bilder, die uns helfen und voranbringen, auch wenn sie uns keine endgültige Antwort geben können’“.

Ich muss zugeben, solche rhetorischen Kunstgriffe bringen mich als Apostel in der Diaspora ein wenig in Argumentationsnotstand. Meinen KollegInnen subsumieren Ihre Stellungnahme, dass endlich ein vernünftiger Kardinal mit diesem blödsinnigen katholischen Geschwafel von der Hölle aufräumt. Wo doch eh klar ist, dass es nach dem Tod aus ist bzw. dass danach die Wiedergeburt kommt. Jedenfalls finde ich nur ein Kopfschütteln: „Nee, die Hölle gibt es nicht, daran glaubte man vielleicht im dunklen Mittelalter!“.

Das erinnert mich an Jupp Schmitz, der 1952 sang:
Wir kommen alle, alle, alle in den Himmel,
weil wir so brav sind, weil wir so brav sind.
Das sieht selbst der Petrus ein,
er sagt: "Ich laß gern euch rein,
Ihr wart auf Erden schon die reinsten Engelein!"

Ich sage Ihnen ehrlich: es erleichtert mir mein Apostolat nicht gerade, wenn ein Kardinal der heiligen Kirche von „Bildern“ des Fegefeuer und der Hölle spricht. Denn im Katechismus lese ich, dass die Hölle eben kein Bild ist sondern eine bittere Realität, und dass sie ewig dauert (KKK 1035). Nun bin ich mir sicher, dass Sie keinesfalls dem Katechismus widersprechen wollten und Sie sicher eine pastorale Sorge bei dieser Formulierung geleitet hat, nur... bei meinen KommilitonInnen kommt das leider nicht so an, wie Sie es wahrscheinlich intendiert haben.

Und ich persönlich kann das von Ihnen getadelte Phänomen in meinem Leben nicht wiedererkennen: ich bin 1991 geboren und bin Zeit meines Lebens zumindest sonntags in den Gottesdienst gegangen. Das sind etwa 1.000 Predigten, bei denen ich – das gebe ich zerknirscht zu – nur bei einem guten Drittel wirklich aufmerksam zuhören konnte. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich niemals die von Ihnen so gescholtene „angstmachende Predigt“ über die Hölle oder das Fegefeuer gehört habe ... das wäre mir aufgefallen, da wäre ich aufgewacht. Auch meinen Eltern ist solch eine Predigt nicht in Erinnerung. Welchen kirchlichen Missstand geißeln Sie da so mutig? Für mich ist bei uns an der Basis meilenweit keine Angst vor der Hölle ausmachbar, das wollte ich Ihnen rückmelden. Ich sehe hier unten allerdings schon eine panische Angst in diesem Zusammenhang: die der Priester, die letzten Dinge anzusprechen, Worte wie „Hölle“ oder „Fegefeuer“ auch nur in den Mund zu nehmen.

Als Arbeiterin im unbebauten Weinberg Gottes (Abteilung Uni Wien) war auch Ihre Betonung etwas verwirrend, die Kirche müsse „im Miteinander die Angst vertreiben“. Das kling irgendwie nett, auf’s erste. Meines Wissens hat die Kirche aber keine rein horizontale Ausrichtung, sondern eine transzendente. Bitte korrigieren Sie mich, wenn ich da falsch liege. Soweit ich informiert bin, ist es mehr Aufgabe der Psychotherapie, Emotionen wie beispielsweise Angst – bei Bedarf – zu vertreiben. Die Kirche hingegen hat nach meinem Informationsstand die Aufgabe, die Botschaft Christi zu verkünden, ob dies nun kurzfristig positive oder weniger positive Emotionen wecken möge. Im Katechismus finde ich dazu: „Die Aussagen der Heiligen Schrift und die Lehren der Kirche über die Hölle sind eine Mahnung an den Menschen, seine Freiheit im Blick auf sein ewiges Schicksal verantwortungsvoll zu gebrauchen“ (KKK 1036). Wäre es ein Problem für Sie, Herr Kardinal, wenn eine „Mahnung“ auch mal Angst machen könnte? Sollte dann die Mahnung unterbleiben? Als Kommunikationswissenschaftlerin frage ich mich da: Ist es wirklich langfristig gesehen hilfreich, den deutschen Autofahrern aus Rücksichtnahme auf ihre sensiblen Seelchen die Geschwindigkeitsbegrenzungen der österreichischen Autobahn zu verschweigen? Werden sie mir dankbar sein, wenn ich ihnen zuerst sage: „Fahrt so schnell ihr Euch wohl fühlt, es ist vor allem gut, dass es Euch gibt!“ und dann flattert ein Strafzettel nach dem anderen herein?

In meinem Bekehrungsprozess haben mir nicht die Priester geholfen, die bei meinen kritischen Fragen beschämt herumgeeiert sind, mir Sand in die Augen streuen wollten oder ihre Betroffenheit darüber geäußert haben, was in der Kirche – niemals bei ihnen selbst – falsch laufe. Fremdbeschuldigung fand ich nie besonders attraktiv, in keinem Bereich des Lebens. Was mir bei meiner Hinwendung zu einem lebendigen Glauben hingegen geholfen hat, war intellektuelle Redlichkeit und Konfrontationsfähigkeit von mutigen Geistlichen, die loyal zu der Lehre gestanden sind, die Christus hinterlassen hat. Diese Menschen mit Rückgrat haben mir Respekt abgerungen, mich zum Nachdenken gebracht und mich schließlich überzeugt.

Sie sagten in Ihrer Katechese weiters, „dass Gott zusage, dass er den Menschen mit seiner Hilfe verwandeln und in die Vollendung führen werde, aber ohne erhobenen Zeigefinger und ohne eine Hölle mit Folter, Gefängnis und Siedeofen“. Im Katechismus, den Sie bei der Katechese sicherlich auslegen wollten, lese ich hingegen: „Jesus spricht öfters von der „Gehenna“ des „unauslöschlichen Feuers“, die für jene bestimmt ist, die bis zum Ende ihres Lebens sich weigern, zu glauben und sich zu bekehren, und wohin zugleich Seele und Leib ins Verderben geraten können. Jesus kündigt in ernsten Worten an,, dass er „seine Engel aussenden“ wird, die „alle zusammenholen, die andere verführt und Gottes Gesetz übertreten haben, und…in den Ofen werfen, in dem das Feuer brennt“, und dass er das Verdammungsurteil sprechen wird: „Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer!“ (MT 25,41).“ (KKK 1034). Sie werden vielleicht verstehen, dass ich bei meinen verzweifelten Versuchen, Marx und Katechismus für meine StudienkollegInnen zusammenzuführen und zu synchronisieren in einen intellektuellen Spagat gekommen bin, der für alle schmerzhaft war.

In einer Übung über Kommunikationspsychologie habe ich schließlich Ihre PR-Strategie als Übungsbeispiel zur Sprache gebracht. Der Dozent analysierte, dass Sie sich psychodynamisch auf die Seite derer stellen, die mit dem Finger auf die Kirche zeigen. Und sie in ihrem (Vor)Urteil bestätigen. Er fragte: Was ist das kommunikative Ziel? Ein loyaler Gottesmann, der durch katholische Musterunterbrechung im platten Mainstream ein Nachdenken bewirkt? Oder ein barmherziger Bischof in einer unbarmherzigen Kirche? Klassischer PR-Fehler: scheinbare Sympathiepunkte durch Nestbeschmutzung. Der Experte meinte pointiert, das wäre so, wie wenn der hochbezahlte PR-Chef einer Ölfirma auch ganz betroffen darüber wäre, wie sehr seine Firma das Meer verpeste. Wir lernen in der Krisenkommunikation: ist die Lage noch so brisant, die Fragen der Journalisten noch so gemein: nie die Linie ändern, immer bei seinem Konzept bleiben, immer loyal zu seiner Firma stehen.

Das Fegefeuer ist laut Katechismus Punkt 1031 ganz einfach und verständlich eine Reinigung, bevor die Seele vor das Angesicht Gottes tritt. Wir Frauen kennen ähnliches vor einer Begegnung mit einer wichtigen Person: da wird geschminkt, gepudert und frisiert, bis frau den Prominenten makellos aufsuchen kann (steht allerdings nicht im Katechismus). Das können Sie als geweihter Mann vielleicht weniger nachvollziehen, aber wir Damen würden einer besonderen Person nie unvorbereitet gegenüber treten wollen. Zum Thema Hölle habe ich im Katechismus auch einen sehr unverkrampften Zugang entdeckt: dieser erklärt sie in Punkt 1033 als „Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott“. Somit ist die Existenz der Hölle eine direkte Folge der Freiheit des Menschen. Das mach für mich und meine KollegInnen wirklich Sinn: wenn einer bei uns nicht auf eine Party will, obwohl er eingeladen ist, dann kann und soll man ihn nicht zwingen. Man kann ihn nur drauf aufmerksam machen, dass die Feier sicher cool wird und dass er was versäumt.

Der Sozialpsychologe Alexander Mitscherlich hat 1963 den Weg zur vaterlosen Gesellschaft aufgezeigt. Ich fürchte, wir sind 50 Jahre später dort angekommen, zumindest in der Kirche. Aber die Sehnsucht bleibt: Ich wünsche mir väterliche Priester, die ganz eins sind mit der Kirche und mutig ihre Lehre ohne Abstriche predigen und erklären. Nur dann ist sie stimmig und wird auch von Kirchenfernen verstanden. Priester sollen nach meinen (vielleicht naiven) Vorstellungen keine Kumpeltypen ohne Ecken und Kanten sein, sondern Väter, die unbeeindruckt vom Zeitgeist die heilsbringende Lehre der Kirche verkünden. Dieser langfristige Blick auf Gott hin ist ein erfrischender Kontrast und ein wichtiger Denkanstoß zur Findung der eigenen Identität – und der Wahrheit.


Papst Franziskus predigte im Petersdom vor der italienischen Bischofskonferenz: „Der Mangel an Wachsamkeit, das wissen wir, macht den Hirten lauwarm. Er wird abgelenkt, vergesslich und sogar ungeduldig. Der Mangel verführt ihn durch Aussicht auf Karriere, durch die Verlockung des Geldes und den Kompromissen mit dem Geist der Welt.“ Ich wünsche mir keine lauwarmen Hirten. Ich wünsche mir Priester, die für ihren Glauben brennen. Ich wünsche mir im Kardinalskollegium keine eingeschüchterten alten Männer, die auf die Medien schielen, sondern mutige starke Väter.


Liebe Herr Kardinal, ich bin Ihnen von Herzen dankbar für Ihren selbstlosen Dienst. Aber bitte bewahren Sie uns weniger vor Medienschelte als vor Verwirrung und Sünde.

Ihre Victoria Fender

Briefe aus Siena erscheinen regelmäßig auf kath.net. In einer Anlehnung an die berühmten Schriften der Hl. Katharina von Siena schreibt kath.net-Mitarbeiterin Victoria Fender hier an ausgewählte Persönlichkeiten der Kirche. Die Briefe erscheinen exklusiv auf kath.net und werden auch auf dem Postweg an die Adressaten übermittelt. Copyright der Texte by kath.net!






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