Muss das biblische Urteil 'nicht unser Urteil sein'?

2. Dezember 2013 in Kommentar


Innerprotestantische Diskussion: Was gilt in der evangelischen Kirche? Den Synodenbericht des hannoverschen Landesbischofs Ralf Meister kommentiert idea-Redaktionsleiter Wolfgang Polzer


Wetzlar (kath.net/idea) Was gilt in der evangelischen Kirche? Na klar, die Bibel, antwortet der hannoversche Landesbischof Ralf Meister. Aber so klar ist es dann doch nicht. Denn allzu wörtlich dürfe man die biblischen Texte aufgrund ihres historischen Entstehungshintergrunds nicht nehmen. So müsse das durchgängig negative Urteil der Bibel über Homosexualität „nicht unser Urteil sein“, sagte Meister in seinem jüngsten Bericht vor der Landessynode in Hannover. Darin setzte er sich ausführlich mit der Segnung gleichgeschlechtlicher Lebenspartner und den Kontroversen um das Familienpapier der EKD auseinander, das von der traditionellen Ehe als alleiniger Norm abrückt und etwa auch eingetragene schwule oder lesbische Lebensgemeinschaften einschließt. Mit den unterschiedlichen Sichtweisen des biblischen Wortes müsse man – so Meister – „in Spannungen“ leben; das sei gut evangelisch.

Auch Synoden können irren

Doch wer bestimmt letzten Endes, wie sich die Kirche in strittigen Fragen verhält, etwa der gottesdienstlichen Segnung homosexueller Partner, die der Landesbischof – bei deutlicher Unterscheidung von einer Trauung – befürwortet? Entscheidend ist wohl die Mehrheit der Synode. Wobei 1993 Landesbischof Horst Hirschler einem mit knapper Mehrheit gefassten Synodenbeschluss zur Zulassung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften von Geistlichen widersprach. Denn es ist problematisch, wenn in der Kirche letztlich Mehrheiten Grundsatzfragen entscheiden. Auch Synoden können irren. Und es besteht die Gefahr, dass die Kirche nur noch „absegnet“, was gesellschaftlich en vogue ist. Hingegen trat die frühe Christenheit gerade in ethischen Fragen mutig dem Geist ihrer Zeit entgegen.

Kein Widerstand

In der hannoverschen Landessynode ist mit solchem Widerstand nicht zu rechnen. Die Sprecher der „Gruppe Offene Kirche“ (GOK), Rolf Bade (Hannover), und der Lebendigen Volkskirche (LVK), Michael Thiel (Gifhorn), sind stolz auf ihr harmonisches Miteinander. In der Tat: Unterschiede zwischen der progressiven Mehrheit der GOK und der konservativeren Minderheit lassen sich kaum noch wahrnehmen, auch nicht in theologisch-geistlichen Fragen. Und das soll, so der Wunsch Bades und Thiels, auch in der kommenden Legislaturperiode ab 2014 so bleiben. Landesbischof Meister kann sich also breiter Zustimmung gewiss sein.

Äthiopier widersetzen sich

Beunruhigt schien er in seinem Bericht lediglich in einer kleinen Passage über die äthiopische Kirche Mekane Yesus, die Partner des Evangelisch-lutherischen Missionswerks in Niedersachsen (früher Hermannsburger Mission) ist. Die 5,8 Millionen Mitglieder zählende Kirche hat sich wegen der Homosexuellen-Segnung von den Partnerkirchen in Schweden und den USA getrennt. Die äthiopischen Vertreter sagten sinngemäß: „Vor 150 Jahren habt ihr uns das Evangelium gebracht, und nun dies.“ Deshalb müsse die hannoversche Landeskirche, so Meister, ihr Verständnis der Bibel intensiv kommunizieren. Unerwähnt ließ er, ob seine weniger als halb so mitgliederstarke Landeskirche auch bereit ist, von den Äthiopiern zu lernen. Denn auch hierzulande denken viele Mitglieder theologisch ebenso wie sie. Aber ihr Einfluss ist gering. Vielleicht weil sie sich im Unterschied zu den Äthiopiern scheuen, das Kappen der Beziehung zur Landeskirche ernsthaft zu erwägen?

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