Krise in der Ukraine: Christliche Kirchen um Schulterschluss bemüht

29. Jänner 2014 in Interview


Die Ukraine befindet sich im Umbruch. Wohin werden die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Regierung führen? Berthold Pelster im Interview. Von Eva-Maria Vogel (Kirche in Not)


München (kath.net/KIN) Die Ukraine befindet sich im Umbruch. Niemand vermag momentan zu sagen, wohin die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Opposition und Regierung noch führen werden. Ein wichtiger mäßigender Einfluss kommt da den ukrainischen Kirchen zu. Berthold Pelster, Menschenrechtsexperte des internationalen katholischen Hilfswerks "Kirche in Not", erklärt die verschiedenen kirchlichen Strömungen und ihre Haltung zur gegenwärtigen Krise. Das Gespräch führte Eva-Maria Vogel.


Kirche in Not: Herr Pelster, wie stellt sich das Verhältnis zwischen griechisch-katholischer und orthodoxer Kirche während der derzeitigen politischen Unruhen dar?

Berthold Pelster: Im Unterschied zur "Orangenen Revolution" im Jahr 2004 sind die verschiedenen Kirchen in der Ukraine in der derzeitigen Krise bemüht, mit einer Stimme zu sprechen und für die legitimen Rechte des Volkes einzutreten. Und sie tun sich mit Vertretern der anderen Religionsgemeinschaften zusammen. So hat sich der "Allukrainische Rat der Kirchen und religiösen Organisationen in der Ukraine" Ende September 2013 in einem Appell an das ukrainische Volk für eine engere Anbindung der Ukraine an die europäischen Staaten ausgesprochen. Die Trennung zwischen katholisch und orthodox wie auch die Spaltungen innerhalb der ukrainischen orthodoxen Kirche waren also für diese politische Stellungnahme für einen Moment aufgehoben. Die Kirchen haben während der Demonstrationen in Kiew auf dem Maidan-Platz noch einmal ganz neu ihre gesellschaftliche Verantwortung in der Ukraine erkannt. Und im Einsatz für grundlegende Bürgerrechte haben die verschiedenen christlichen Konfessionen auch neu zueinander gefunden, eine neue Nähe gewonnen und Gemeinsamkeiten wahrgenommen.

Kirche in Not: Welche Probleme bereitete das Verhältnis zwischen griechisch-katholischer und orthodoxer Kirche in der Vergangenheit?

Pelster: Die kirchliche Situation in der Ukraine ist sehr kompliziert. Die orthodoxe Kirche dort ist gespalten. Die meisten orthodoxen Gläubigen gehören zur Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats (UOK-MP). Nach dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion wurde in der Ukraine 1991 zusätzlich eine eigenständige orthodoxe Kirche gegründet, die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche des Kiewer Patriarchats (UOK-KP). Daneben gibt es auch noch die Ukrainische Autokephale Orthodoxe Kirche (UAOK). Die UOK-KP und die UAOK werden aber von der orthodoxen Weltgemeinschaft nicht anerkannt, gelten somit als nicht-kanonisch. Damit konkurrieren diese orthodoxen Kirchen darum, welche von ihnen die orthodoxen Christen in der Ukraine rechtmäßig vertritt. Zum Teil gibt es auch Streitigkeiten darum, welcher Kirche bestimmte Immobilien rechtmäßig zustehen.

Eine weitere Spaltung ergibt sich durch die Existenz der mit Rom unierten Ukrainischen Griechisch-katholischen Kirche (UGKK), die der gleichen byzantinischen Tradition wie die orthodoxen Kirchen folgt, aber zugleich in Gemeinschaft mit dem Papst in Rom steht. Diese Kirche gibt es seit 1596, doch im Jahr 1946 wurde sie auf Betreiben der Sowjetunion aufgelöst und mit der Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats zwangsvereinigt. Ein großer Teil der Gläubigen verweigerte sich dieser Vereinigung und bildete eine Untergrundkirche. Im Zuge der politischen Wende in der Sowjetunion wurde die UGKK 1989 wieder zugelassen. Der Wiederaufbau der Strukturen der UGKK führte aber zu heftigen Auseinandersetzungen mit orthodoxen Gemeinden um Kirchengebäude und Immobilien, die nach der Auflösung der UGKK an orthodoxe Gemeinden gefallen waren. Diese Auseinandersetzungen halten bis heute an und stellen eine große Belastung der zwischenkirchlichen Beziehungen dar.

Kirche in Not: Macht denn die Rückgabe der seinerzeit vom Kommunistischen Regime konfiszierten Besitztümer Fortschritte?

Pelster: Die Rückgabe von Immobilien, die ehemals den Kirchen gehörten, in der Zeit der Sowjetunion aber vom Staat konfisziert wurden, geht nur langsam voran. Das hat auch damit zu tun, dass es hier oft um recht komplizierte Fragen geht. Zum Teil werden die Grundstücke und Gebäude heute für staatliche Zwecke genutzt oder es geht um Kulturgüter von allgemeinem Interesse, etwa Sehenswürdigkeiten. Zum Teil sind die Immobilien aber auch an Privatpersonen übertragen worden. Und es kommt immer wieder vor, dass ein bestimmtes Gebäude von unterschiedlichen Konfessionen beansprucht wird. Und selbst wenn der Besitz rechtlich zurückgegeben wurde, dauert es oft, bis der bisherige Nutzer das Gebäude übergeben kann, weil er ja selbst erst neue Räumlichkeiten finden und den Umzug finanzieren muss und die staatlichen finanziellen Hilfen dafür oft unzureichend sind.

Kirche in Not: Gibt es trotz dieser komplizierten Probleme auch Fortschritte in der Annäherung der Kirchen?

Pelster: Die starke Zersplitterung der Kirchen in der Ukraine ist ein Zustand, der so nicht bleiben darf. Die ökumenische Vision besteht darin, die heute getrennten Teile der alten Kiewer Kirche, die auf den Kiewer Großfürsten Wladimir zurückgeht, der sich 988 zusammen mit seinem Volk taufen ließ, wieder zusammenzuführen und zu vereinigen. Über den Weg, wie man dorthin gelangt, gibt es aber ganz unterschiedliche Auffassungen. Aus Sicht der UOK-MP müssten die beiden unkanonischen orthodoxen Kirchen sich wieder dem Moskauer Patriarchat anschließen. UOK-KP und UAOK streben dagegen eine eigenständige ukrainische Kirche an, ein von Moskau unabhängiges Kiewer Patriarchat. Sie berufen sich dabei auf die ersten Jahrhunderte der ukrainischen Kirche, als die Kirche von Kiew als eigenständige Kirche unter der Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel stand. Die Gründung der griechisch-katholischen Kirche 1596 war ein Versuch, die Spaltung mit Rom zu überwinden, führte aber zu einer neuen Spaltung innerhalb der Ukraine. Es gibt also eine ganze Reihe von Kirchenzentren, die betroffen sind, Kiew, Moskau, Konstantinopel, Rom, und eine Vielzahl von Interessen, die teils gegensätzlich sind. Das macht die Situation so außerordentlich kompliziert. Daher wird der Weg der Versöhnung noch sehr lang und mühsam sein. Man wird vermutlich nur in vielen kleinen Schritten und mit viel Geduld weiterkommen. Nach einem Bild, das Papst Johannes Paul II. sehr oft benutzte, müssen alle beteiligten Kirchen lernen, mit zwei Lungenflügeln zu atmen: mit den Flügeln der westkirchlichen (römischen) und ostkirchlichen (byzantinischen) Tradition. Durch eine intensive theologische Bildung auf hohem Niveau müssen katholische und orthodoxe Geistliche und Kirchenführer lernen, die beiden Traditionen nicht in erster Linie als gegensätzlich zu begreifen, sondern als einander ergänzend. Durch die Gründung oder den Ausbau theologischer Hochschulen sind hier erste Ansätze gemacht worden. Auch gibt es intensive ökumenische Gespräche. Trotzdem bleibt noch ein weiter Weg zu gehen.

Kirche in Not: Kommen wir zurück zur aktuellen Lage in der Ukraine. Wie reagiert der Staat auf die Aktivitäten der Kirchen auf dem Maidan-Platz?

Pelster: Einige Tage nach der Eskalation der staatlichen Gewalt gegen die Demonstranten in der Nacht vom 30. November auf den 1. Dezember 2013 erschienen Polizeibeamte in der Ukrainischen Katholischen Universität in Lviv (Lemberg) und verlangten eine Liste mit den Namen derjenigen Studenten, die sich an den Protesten auf dem Maidan-Platz in Kiew beteiligt hatten. Einige Studenten erhielten auch privat Telefonanrufe von der Polizei. Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, das Oberhaupt der griechisch-katholischen Kirche, protestierte gegenüber Präsident Janukowitsch gegen die Einschüchterungsversuche von Seiten des Staates und verlangte von der Regierung, solche Methoden zu unterlassen.

Kirche in Not: Blieb es bei dem einmaligen Zwischenfall?

Pelster: Nicht nur gegenüber katholischen Studenten gab es solche Einschüchterungsversuche, sondern auch gegenüber der Kirchenleitung, zum Beispiel in der Form eines Briefes, den das Kulturministerium der Ukraine Anfang Januar an die Leitung der Griechisch-katholischen Kirche verschickt hat. In diesem Brief wird der UGKK vorgeworfen, ihre seelsorgliche Tätigkeit auf dem Maidan-Platz für politische Zwecke missbraucht zu haben. Dies stelle einen Verstoß gegen das Religionsgesetz dar, so dass der Staat erwägen müsse, ob bestimmte Tätigkeiten der Kirche staatlich untersagt werden müssten. Großerzbischof Schewtschuk hat dagegen in einem direkten Gespräch mit dem Kulturminister das Vorgehen der Kirche verteidigt. Die Seelsorger wollten nahe bei den Menschen sein. Manche Geistliche beziehen sich dabei auf Papst Franziskus, der ja seine Priester dazu aufgerufen hat, zu den Menschen hinzugehen, weil der Hirte den Geruch seiner Schafe kennen sollte.

Kirche in Not: Wie beurteilen Sie das Verhalten der ukrainischen Regierung im Hinblick auf demokratische Grundrechte?

Pelster: Das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Versammlungsfreiheit sind grundlegende Bürgerrechte, die den Bürgern der Ukraine durch die Verfassung zugesichert werden. Gegen diese Grundrechte verstößt die Regierung von Präsident Viktor Janukowitsch, wenn sie friedliche Demonstrationen mit Gewalt niederknüppelt und auflöst. Vor wenigen Tagen wurden zudem neue Gesetze erlassen, die die Presse- und Versammlungsfreiheit deutlich einschränken und gegen demokratische Prinzipien verstoßen, wie sie etwa in der EU gelten.

Kirche in Not: Mit welchen Projekten hilft "Kirche in Not"?

Pelster: Die Ukraine zählt in der Arbeit von "Kirche in Not" schon seit langem zu den Ländern mit besonderer Priorität. Schon in der Zeit, als die Griechisch-katholische Kirche dort noch im Untergrund leben musste, haben wir Verbindungen geknüpft und geholfen, wo es ging, oft unter schwierigsten Bedingungen. Als die UGKK dann im November 1989 durch einen staatlichen Erlass wieder zugelassen wurde und sich nun frei entfalten durfte, hat „Kirche in Not“ mitgeholfen, die Strukturen der Kirche wieder aufzubauen. So haben wir den Bau des Priesterseminars der UGKK in Lemberg maßgeblich mitfinanziert. Es bietet Platz für mehr als 200 Priesteramtskandidaten und ist damit das größte Priesterseminar in der Ukraine. Bis heute ist für uns die Ausbildung von Priestern und Ordensleuten eine wichtige Aufgabe, die wir unter anderem durch Stipendien fördern. Der prominenteste Empfänger eines solchen Stipendiums ist Großerzbischof Swjatoslaw Schewtschuk, der dank einer solchen finanziellen Förderung in Rom promovieren konnte und als Doktor der Katholischen Theologie in seine Heimat zurückkehrte.


"Kirche in Not" bittet um Spenden für Hilfsprojekte in der Ukraine. Online unter www.spendenhut.de (Verwendungszweck: Ukraine) oder:

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Foto Berthold Pelster (c) KIRCHE IN NOT


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