Meisners Vermächtnis: Die Eucharistische Anbetung im Maternushaus

9. März 2014 in Spirituelles


In seiner Verabschiedung als Erzbischof von Köln betonte Meisner den tiefen Sinn der Anbetung Gottes – „Vor dem Kreuz befindet sich der Mensch an einer Wegkreuzung. Entweder nimmt er Gott und das Mysterium seiner Liebe an oder er verweigert sich ihm“


Köln (kath.net/pek/pl) „Vor dem Kreuz befindet sich der Mensch an einer Wegkreuzung. Entweder nimmt er Gott und das Mysterium seiner Liebe an oder er verweigert sich ihm.“ Dies sagte der Joachim Kardinal Meisner in der Predigt anlässlich seiner Verabschiedung als Erzbischof von Köln am Sonntagnachmittag im Hohen Dom zu Köln. Unzählige Gläubige aus dem Erzbistum sowie zahlreiche Würdenträger aus Kirche und Staat feierten mit dem scheidenden Erzbischof, darunter Stanisław Kardinal Dziwisz (Krakau), Karl Kardinal Lehmann (Mainz), Erzbischof Nikola Eterović (apostolischer Nuntius in Deutschland), DBK-Vorsitzender Robert Zollitsch. Erzbischof Georg Gänswein, der Sekretär des päpstlichen Hauses, wurde von den Anwesenden spontan mit herzlichem Beifall begrüßt.

„Wenn beim Menschen das Bewusstsein der Gegenwart Gottes schwindet, dann büßt er sein Bestes ein“, erinnerte der scheidende Erzbischof. „Ein Mensch auf den Knien vor Gott ist etwas ganz Großes. Wer anbetet, steht am richtigen Ort, hat Sinn für Proportion und Maß in der Wirklichkeit.“

„Vielleicht könntet ihr, liebe Freunde, die vor vier Monaten in der Kapelle des Maternushauses eingerichtete Eucharistische Anbetung Tag und Nacht als mein Vermächtnis an das geliebte Erzbistum Köln annehmen?“, fragte Meisner und fügte abschließend hinzu, dass er auch selbst plane, hier „in Zukunft auch ohne Jurisdiktion und amtlichen Auftrag mit euch weiterhin ein Beter und Bruder sein“.

Am Ende des Pontifikalamtes verlas Nuntius Eterović ein Dankesschreiben von Papst Franzikus: „Du bist im Gehorsam aufgebrochen, gleichsam als Vorbote der Wende in deinem Heimatland.“ Der DBK-Vorsitzende Zollitsch hob das eindeutige und unversteckte Zeugnis Meisners beispielsweise im Bereich des Lebensschutzes hervor.

kath.net dokumentiert die Predigt von Joachim Kardinal Meisner, emeritierter Erzbischof von Köln, zum 1. Fastensonntag 2014 im Hohen Dom zu Köln am 9. März 2014

Liebe Schwestern, liebe Brüder!
Zum Beginn der österlichen Bußzeit führt uns die Liturgie der Kirche mit Jesus in die Wüste, in der er dreimal vom Teufel versucht wird. Zunächst setzt der große Widersacher am leiblichen Hunger an, dem Jesus nach 40 Tagen Fastenzeit ausgeliefert ist. Die zweite Versuchung appelliert an sein Ehrgefühl. Nach 40-tägiger Verborgenheit in der Wüste wäre doch ein Sprung von der Tempelzinne in Jerusalem eine wirkliche Attraktion für ihn. Und bei der dritten Versuchung geht es wirklich um alles. Hier lässt der Versucher jede Maske fallen, indem er ihm alle Reiche der Welt zeigt und ihm versichert: „Das alles will ich dir geben, wenn du dich vor mir niederwirfst und mich anbetest“ (Mt 4,9).

Und da antwortet ihm Jesus mit aller Entschiedenheit: „Weg mit dir, Satan! Denn in der Schrift steht: Vor dem Herrn, deinem Gott, sollst du dich niederwerfen und ihm allein dienen“ (Mt 4,10). Das erinnert an den großen Bruch am Anfang im Paradies, als der Satan den ersten Menschen über den verbotenen Baum sagt: „Nein, ihr werdet nicht sterben. Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse“ (Gen 3,4) – „Ihr werdet wie Gott!“.

Darum geht es letztendlich im Dasein des Menschen. Gott hat den Menschen als sein Abbild geschaffen. Das hat ihn aber nicht gegen die Urversuchung immunisiert, selbst wie Gott sein zu wollen. Das ist das eigentliche Thema der Menschheitsgeschichte. Unser heutiger Evangelientext schließt mit dem Hinweis: „Darauf ließ der Teufel von ihm ab, und es kamen Engel und dienten ihm“ (Mt 4,11). Darin liegt auch unsere Berufung und Sendung.

1. Wir in Köln haben in unserer Hohen Domkirche als Vorbeter der Christenheit die Heiligen Drei Könige vor uns. Von ihnen heißt es im selben Matthäusevangelium: „Da fielen sie nieder und huldigten ihm“ (Mt 2,11). Die Heiligen Drei Könige als Vorbeter der Menschheit scheinen heute noch eine Faszination auszuüben, da der kostbare Dreikönigenschrein in unserer Hohen Domkirche von Touristen und Pilgern aller Regionen und Erdteile besucht wird. Sogar unser Weltjugendtag im Jahr 2005, das größte geistliche Ereignis während meiner Zeit als Erzbischof von Köln, stand unter dem Wort: „Wir sind gekommen, um ihn anzubeten“ (vgl. Mt 2,2).

Gott ist wirklich in Jesus Christus Mensch geworden. Dieses Ereignis fordert uns auf, vor diesem Geheimnis der Liebe Gottes, die alles Begreifen übersteigt, niederzuknien und anzubeten. Dass Gott uns liebt, das verstehen wir. Aber dass er uns bis zur Krippe und bis zum Kreuz geliebt hat, das bestürzt uns.

Eine Liebe, die solche Widerstände überwindet und Gegensätze verbindet, ist nicht mehr Liebe von dieser Welt. Vor ihr gibt es nur eine einzige würdige Haltung. Und das ist die Anbetung!

Dieser Abgrund an Liebe, der hier sichtbar wird, diese Torheit eines Gottes, der Fleisch wird, verwirrt den menschlichen Verstand. „Alles, nur das nicht!“, wird der Ungläubige sagen. Vor dem Kreuz befindet sich der Mensch an einer Wegkreuzung. Entweder nimmt er Gott und das Mysterium seiner Liebe an oder er verweigert sich ihm.

Wenn ein Mensch sich für Gott entscheidet, dann nimmt er auch sofort am Mysterium Gottes teil. Gott steht unendlich hoch über dem Menschen. Seine Wege sind nicht unsere Wege, und sein Wesen umhüllt ein tiefes Geheimnis. Würde der Mensch Gott verstehen, so würde Gott nicht mehr Gott sein oder der Mensch würde aufhören, Mensch zu sein. Denn „verstehen“ heißt „auf gleicher Stufe stehen“. Wenn der Mensch auf seinem Platz stehen will, muss er sich niederknien vor dem unendlich Größeren. Aber wenn er sich Gott verweigert, wählt er das Absurde.

2. Wenn beim Menschen das Bewusstsein der Gegenwart Gottes schwindet, dann büßt er sein Bestes ein. Er wird nicht mehr in Ehrfurcht und Vertrauen vom Heiligen an sich betroffen. Solche Leute mögen in zweit- oder drittrangigen Dingen, vor allem in der Technik und Zivilisation, ganz tüchtig sein, aber sie werden nicht mehr beunruhigt von den ewigen Fragen: Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich? Von dieser Unruhe hätten sie als Menschen vor den anderen Geschöpfen ihren Vorzug, ihre Spannkraft und ihr hohes Bewusstsein, sodass sie nicht eingeebnet werden könnten. So aber fällt bei ihnen die ganze obere Welt aus. Es wölbt sich kein Firmament mehr über sie.

Gottes Menschwerdung in Krippe und Kreuz ist in erster Linie Anlass zur Anbetung. Die erste Pflicht gegen Gott ist, ihn als den anzuerkennen, der er ist: als Gott, das heißt als unendlich, als ewig, unfassbar, als faszinierend, und ihn als überwältigend zu erkennen.

Ein Mensch auf den Knien vor Gott ist etwas ganz Großes. Wer anbetet, steht am richtigen Ort, hat Sinn für Proportion und Maß in der Wirklichkeit. Er bejaht, dass er Mensch und nicht Gott ist. Das ist lautere Wahrheit und Gerechtigkeit. Anbetung ist der Beginn eines jeden gesunden menschlichen Selbstbewusstseins.

3. Wo der Mensch nicht mehr in Anbetung niederkniet, dort gerät er außerhalb der Augenhöhe Gottes, und dann schwindet Gott vor seinem Angesicht, dann geht die Sonne unter, dann naht die große innere Kälte. „Du wirst niemals mehr beten, niemals mehr anbeten, niemals in endlosem Vertrauen ausruhen. Du hast keinen fortwährenden Wächter und Freund für deine sieben Einsamkeiten. Du liebst ohne Ausblick auf ein Gebirge, das Schnee auf dem Haupt und Glut in seinem Herzen trägt. Es gibt keine Vernunft in dem mehr, was geschieht, keine Liebe in dem, was dir geschehen wird“. Das hat nicht irgendein frommer Mystiker geschrieben, sondern der ehrlichste aller Gottlosen, Friedrich Nietzsche, in seinem Buch „Fröhliche Wissenschaft“.

Wo aber der Mensch in der Anbetung niederkniet, d.h. auf die Augenhöhe Gottes geht, dort wird er geheiligt, dort gewinnt er Niveau. Gottes Herrschaft bedrückt nicht, sondern erhöht die Niedrigen. Jeder, der zu ihm „Du“ sagen darf, muss bekennen: „Der Mächtige hat Großes an mir getan“ (Lk 1,49). Dass Gott mich liebt, macht mich mir wert. Der Wert und die Größe des Menschen machen aus, dass er Gottes ist, ja, dass Gott ihn liebt. Und wenn wir mit Gott „auf Du und Du“ stehen, uns gleichsam auf Augenhöhe mit ihm befinden, sind wir nie etwas, das man versklaven, ausbeuten oder wegwerfen darf. Dass Gott mich liebt, macht mich mir wert. Hier drängt sich das Zeugnis auf die Lippen: Gott trägt, Gott trägt wirklich.

Wenn ich einen Bericht über mein fast 40-jähriges Bischofsleben in Erfurt, Berlin und Köln schreiben sollte, dann wäre das ein einziges Zeugnis, dass die Kraft Gottes überaus stark ist in menschlicher Schwachheit. Darum danke ich, dass Sie mir heute Helfer in der Danksagung sind.

4. Man soll nicht allein anbeten! „Kommt!“, sagten damals die Hirten von Bethlehem zueinander. „Kommt, lasst uns den Herrn anbeten!“, wiederholt die Liturgie diese Einladung immer wieder. Anbetung ist nicht nur der Vorgang eines Einzelnen, sondern ganz besonders der Gemeinschaft.

Gemeinsam sollten wir vor dem Herrn niederknien: als Gemeinde, als Gemeinschaft, als Familie, um diese wunderbare Aufgabe zu erfüllen. Die Stimmen, die im Gebet ineinander verschmelzen, werden zu einem unüberhörbaren Gotteslob und machen die Betenden zu einer Urzelle der Kirche. Eine Gemeinschaft, eine Gemeinde, eine Familie, die miteinander betet, hält zusammen und bleibt zusammen.

Die Anbetung ist der Zement, der die Glieder einer Gemeinde zusammenfügt. Sie erzeugt Verbundenheit, Treue, aufmerksame Liebe füreinander. Sie ermöglicht erst richtige und echte Gemeinschaft.

Die Heiligen Drei Könige in unserem Hohen Dom sind für uns die großen Vorbeter geworden.

Und in ihrem Leben wird deutlich: Wenn Gott naht, ruft er in die Entscheidung. Sie brechen auf und folgen dem Stern und suchen Gott, bis sie ihn gefunden haben.

So gewaltig Gottes Nähe auch wirkt, Gott lähmt nicht. Im Gegenteil! Er macht wach, lebendig und frei. Gott lässt sein Geschöpf auf seiner Lebensbahn um nichts Geringeres laufen, als um sich selbst. Es geht um alles. Wer wirklich darum weiß, der holt weit aus. So wird der Mensch gerade vor Gott zu Entscheidungen ermächtigt, die ihn zum Aufbruch ermutigen, in die Zukunft Gottes hinein.

Gott will keine Geschobenen. Im Leben, zumal wo es um das wahre Leben geht, kommt es nach Gott auf den Einzelnen an, nicht auf die Trends, nicht auf das, was gerade „in“ ist. Nicht darauf, was alle sagen, denken und tun. Es kommt auf den Willen des Einzelnen an, der ihn niederknien lässt. Sein Wille ist dann sein Glück. Hier gilt im wahrsten Sinne des Wortes: „Des Menschen Wille ist sein Himmelreich“.

5. Die Anbetung lässt mich erkennen, dass Gott wirklich unter uns ist und der Mitmensch neben uns. Gott selbst schlug den Vorhang zurück, der die Welt von ihm trennte, und er tritt höchstpersönlich in unseren Raum und in unsere Zeit.

Und der Mensch ist darum nirgends Gottnaher, menschennaher und erdnaher als dort, wo er niederkniet und anbetet, weil Gott nicht nur den Menschen will, sondern auch die Erde.

Deshalb ist ja Gott ein Erdenbürger geworden. Sein Platz ist ganz unten bei den Menschen.

Unsere Kirche hierzulande ist ebenfalls eine Gemeinschaft ganz tief unten geworden. Was ist alles in den letzten Jahren über unsere liebe Kirche hereingebrochen von Innen und Außen. Sie liegt oft so tief am Boden.

Aber hier am Tiefpunkt ist ihr auch die Chance zur Umkehr, zum Wiederaufstieg gegeben. Denn an dieser Stelle gilt ihr auch das Wort des Herrn: Wenn das Weizenkorn nicht nach unten, in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein und bringt keine Frucht (vgl. Joh 12,24), wenn es aber fällt, bringt es reiche Frucht.

Nun ist das Weizenkorn, Christus, Karfreitag ganz tief in die Erde gefallen und gestorben und Ostern auferweckt und wurde uns in der heiligen Eucharistie als seine österliche Frucht zuteil. Er ist jetzt selbst in Person eucharistisch ganz und gar unten mitten unter uns und ganz und gar oben beim Vater über uns. Hier können wir ihm real begegnen, um ihm alle Menschen mit ihren Hoffnungen und Verzweiflungen ans Herz zu legen. Die Anbetung lässt mich den Menschen nicht als Wider-spruch gegen Gott erfahren, sondern als den, der Gottes Abbild ist, und dabei wächst die Hoffnung auf die Strahlkraft seiner Gottfähigkeit in Gegenwart und Zukunft.

Vielleicht könntet ihr, liebe Freunde, die vor vier Monaten in der Kapelle des Maternushauses eingerichtete Eucharistische Anbetung Tag und Nacht als mein Vermächtnis an das geliebte Erzbistum Köln annehmen? Hier darf ich und kann ich in Zukunft auch ohne Jurisdiktion und amtlichen Auftrag mit euch weiterhin ein Beter und Bruder sein. Das lässt uns nahe und dankbar bleiben. Amen.

+ Joachim Kardinal Meisner

Die Abschiedspredigt des Kardinal auf Video:



© 2014 www.kath.net