«Medien müssen über Missstände berichten»

28. März 2014 in Interview


Medienbischof Fürst plädiert für Wahrheit und Wahrhaftigkeit. Von Michael Jacquemain (KNA)


Stuttgart (kath.net/KNA) Am 2. April 1964, also am Mittwoch vor 50 Jahren, veröffentlichte Papst Paul VI. ein Schreiben, mit dem er die «Päpstliche Kommission für die Instrumente der soziale Kommunikation» in neuer Form ins Leben rief. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag in Stuttgart äußert sich der Medienbischof der Deutschen Bischofskonferenz, Gebhard Fürst (Foto), zu der Entstehung des Papiers und zum heutigen Verhältnis zwischen Kirche und Medien.

KNA: Herr Bischof Fürst, was war aus ihrer Sicht der Impuls des Papstes, vor 50 Jahren das Motu proprio «In fructibus» zu veröffentlichen?

Fürst: Für Papst Paul VI. war das Thema Medien offenkundig sehr wichtig. Ein paar Monate vorher, im Dezember 1963, gehörte das Medien-Dekret zu den beiden ersten Erklärungen, die das Zweite Vatikanische Konzil verabschiedet hatte. Zwar gab es seit 1948 eine römische Filmkommission, doch mit dem Konzil und dem Programm des Aggiornamento galt es, sich intensiver mit den Medien und dem Dialog zwischen Kirche und Welt zu beschäftigen: mit Zeitungen, Radio, Fernsehen. Entsprechend wurde die Arbeit der Kommission erweitert und aufgewertet.

KNA: «In fructibus» bezeichnet es als eine Hauptaufgabe, den Bischöfen beim Umgang mit den Medien zu helfen. Ist an diesem Punkt tatsächlich genug geschehen? Wer Bischof wird, steht plötzlich auch im medialen Rampenlicht - ist darauf oft aber nur schlecht vorbereitet.

Fürst: Es ging nicht darum, Bischöfe im medialen Rampenlicht zu unterstützen, sondern um Hilfen für die kirchliche Medienarbeit. Als Grundlagenpapier dafür entstand dann 1971 die Instruktion «Communio et progressio»: Angesprochen wird dabei nicht nur die Verantwortung von Bischöfen und Priestern, sondern auch die Verantwortung der Medienschaffenden und die der Konsumenten, also der Leser, der Hörer und der Zuschauer. Dies entspricht dem Geist des Konzils.

Was die Frage angeht, wie Bischöfe heute mit Medien umgehen, so gibt es schon lange entsprechende Angebote. Beispielsweise bietet die Katholische Fernseharbeit seit Jahren ein TV-Training für Bischöfe und andere leitende Personen im kirchlichen Umfeld an.

KNA: Wirklich entspannt ist das Verhältnis zwischen Kirche und Medien bis heute nicht. Kann dies mit einer falschen Vorstellung zu tun haben, Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen als Mittel der Glaubensverkündigung fehlzuinterpretieren?

Fürst: Ich kenne niemand in der Bischofskonferenz, der dem Missverständnis erliegt, säkulare Medien seien Mittel der Glaubensverkündigung. Aber sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Wertevermittlung. Das Anliegen der Kirche heißt grundsätzlich gelungene Kommunikation. Die zentralen Fragen sind: Wie menschendienlich sind die Medien? Ermöglichen sie authentische Kommunikation, bringen sie die Menschen einander tatsächlich näher? Das gilt für die Gemeinschaft der Christen untereinander ebenso wie für alle Menschen guten Willens.

KNA: Wer die Debatte um die Limburger Vorgänge sieht, hört ab und an, dass die Schuld bei den Medien liege. Zeigt nicht gerade dieses Beispiel, wie katastrophal sich fehlende, mangelhafte und falsche Kommunikation auswirkt?

Fürst: Entscheidende Vorgänge im Bistum Limburg haben ganz sicher nicht die Medien zu verantworten. Es ist eine andere Frage, wie manches kommuniziert wurde. Offenheit, Wahrheit und Wahrhaftigkeit sind bei Kirchen- und Medienvertretern notwendig. Es steht völlig außer Zweifel, dass Zeitungen, Radio und Fernsehen über Missstände und Krisen berichten müssen. Ich halte es aber für problematisch, wenn dabei eine Skandalisierungsstrategie betrieben wird. Dann geht es oft nicht mehr um die legitime Wahrheitsfindung, sondern um die Beschädigung von Personen und Institutionen.

Für schwierig halte ich auch die zunehmende Beschleunigung der Medienwelt - immer öfter sind schnelle Urteile gefragt. Abschließende Urteile können aber erst gefällt werden, wenn alle Fakten auf dem Tisch liegen. Und das kann auch schon mal dauern. Umso klarer ist dann das Ergebnis, wie der Abschlussbericht in Limburg zeigt.

KNA: Muss die Kirche ihr Verhältnis zu den Medien zu entspannen versuchen?

Fürst: Grundsätzlich ist das Verhältnis ja nicht von Spannungen geprägt. Im Fall Limburg und in Fragen der Kirchenfinanzierung steht die Kirche im Kreuzfeuer, und gleichzeitig wird Papst Franziskus bejubelt. Die Berichterstattung über kirchliche Großereignisse und Initiativen ist oft umfangreich und wohlwollend.

Aber wir müssen uns besser und grundsätzlich auf mögliche Krisensituationen vorbereiten. Zu oft werden wir von einer negativen Berichterstattung überrumpelt. Bei hektischen Abwehrreaktionen passieren dann Fehler. Wir müssen kritische Nachfragen als berechtigt ansehen, aber gleichzeitig deutlich machen, dass nicht immer und zu allem sofort eine verantwortbare Stellungnahme möglich ist.

KNA: So richtig klar ist öffentlich bis heute nicht, wie die katholische Kirche zu Facebook, Twitter und Co steht...

Fürst: ... obwohl sich gerade der Päpstliche Medienrat in den vergangenen Jahren intensiver denn je mit den neuen Social Media befasst. Rom sieht sie als Chance für eine menschenfreundliche und dialogische Kommunikation. Und Franziskus hat das Internet unlängst als «Geschenk Gottes» bezeichnet. Er sagt: «In dieser Welt können die Medien dazu verhelfen, dass wir uns einander näher fühlen, dass wir ein neues Gefühl für die Einheit der Menschenfamilie entwickeln, das uns zur Solidarität und zum ernsthaften Einsatz für ein würdigeres Leben drängt.» Das stimmt. Wir erleben aber auch als Folge der NSA-Affäre eine «Kränkung der Menschheit», wie es der Blogger Sascha Lobo formuliert. Was müssen wir also ändern, damit in geschützten Räumen eine humane Kommunikation möglich ist? Weil wir als Kirche der kritischen Zeitgenossenschaft verpflichtet sind, müssen wir umfassend die Medienkompetenz fördern und die Medienpädagogik stärken. Auch hier gilt: Der Glaube wird nicht durch Dekrete erzeugt, sondern durch die konkrete Tat.

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