Der Fußball nimmt immer religiösere Züge an

15. Juli 2014 in Aktuelles


WM-Finale: Wenn ein Kicker zum „Erlöser“ und „Fußball-Gott“ wird


Rio de Janeiro (kath.net/idea) Die Berichterstattung über das Endspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Deutschland und Argentinien (1:0) in Brasilien nahm immer wieder Anleihen aus der Welt der Religion. So fragte der ARD-Reporter Tom Bartels zu Bildern der 30 Meter hohen Jesus-Statue „Christus der Erlöser“ in der Abendsonne von Rio de Janeiro: „Wer wird heute der Erlöser von Deutschland?“ Auch die Berichte anderer Medien über den vierten Weltmeistertitel für Deutschland haben stark religiöse Bezüge. Die BILD-Zeitung titelte: „Deutschland im Paradies.“ Das Boulevardblatt verneigte sich zugleich vor dem Torschützen Mario Götze mit der Schlagzeile: „Götze, du Fußball-Gott.“ Ähnlich heißt es in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: „Erlöser Götze“. Für die Süddeutsche Zeitung bedeutet der Sieg ein „Glücksgefühl für die Ewigkeit“. Auch im Ausland gibt es ähnliche Schlagzeilen. Das italienische Blatt „Corriere della Sera“ sieht „Deutschland im Paradies“, für die tschechische „Pravo“ ist „Deutschland im Fußball-Himmel!“.

Die Medien in Argentinien sind dagegen untröstlich über die Niederlage ihrer Mannschaft. „Gott ist nicht erschienen“, schreibt etwa die Zeitung „Cronica“ unter einem Bild des argentinischen Stürmerstar Lionel Messi, auf den das Land vor allem seine Hoffnungen gesetzt hatte. Gott wurde auch von dem früheren brasilianischen Fußballstar Pelé bemüht, nachdem Deutschland Brasilien mit 7:1 geschlagen hatte: „Nur Gott kann dieses Desaster erklären.“

Wird das Stadion zur Gemeinde?

Wird Fußball zur neuen Religion der Deutschen? Der evangelische Stadionpfarrer in der Frankfurter Commerzbank-Arena, Eugen Eckert, will das nicht ausschließen. Zwischen dem „Spiel des Lebens“ und einem Fußballspiel gebe es viele Parallelen: „Wann spiele ich unfair? Wie komme ich aus dem Abseits wieder raus? Wie gehe ich mit Niederlagen um, wie mit Erfolgsmomenten? Alles, was das Leben ausmacht, findet man auch auf dem Feld wieder.“ Zusammen mit ihm hätten 50.000 Zuschauer in der Commerzbank-Arena die Übertragung des Endspiels angeschaut. Den Treffer für Deutschland hätten alle als „Erleichterung und Erlösung“ erlebt.

Eckert verwies auf eine Erkenntnis des Kirchenvaters Augustin (354–430): „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in dir, Gott.“ Diese Unruhe erlebe man sowohl im Fußball als auch im sonstigen Leben. Wie Eckert weiter sagte, gelingt es dem Fußball viel besser als der Kirche, Menschen mit ausländischen Wurzeln zu integrieren. Dies werde für eine Gesellschaft, die nur noch aus Individualisten bestehe, immer wichtiger. Er frage sich, warum es der Kirche nicht gelinge, diesen Menschen herzlich zu sagen: „Wir sind froh, dass ihr bei uns seid.“ Eckert rechnet damit, dass die Begeisterung über den Sieg der Fußballweltmeisterschaft 2014 junge Leute das ganze Leben lang begleiten werde: „Es macht einen glücklich, das erlebt zu haben.“

Im Stadion: Der Hartz-IV-Empfänger neben dem Chefarzt

Ähnlich wie Eckert sieht auch der Leiter der sportmissionarischen Organisation SRS (früher: Sportler ruft Sportler), Hans-Günter Schmidts (Altenkirchen/Westerwald), Gemeinsamkeiten zwischen Glauben und Fußball: „Im Stadion ist es so, wie es in der Gemeinde Jesus Christi sein sollte: Da gibt es keine gesellschaftlichen Klassen mehr. Da steht der Hartz-IV-Empfänger neben dem Chefarzt.“

Die Begeisterung für den Fußball in Deutschland habe mit der Sehnsucht nach Identität zu tun. Jeder könne sich mit dem Fußball identifizieren, „weil jeder schon mal auf dem Rasen gestanden und einen Ball gekickt hat“.

Schmidts wünscht sich ein bisschen mehr von der Begeisterung für den Fußball auch in den Gottesdiensten: „Im Stadion bist du eine Stunde vorher. In den Gottesdienst kommst du in der letzten Minute.“

Nicht zuletzt schreibe der Fußball selbst Geschichte: Begabte Sportler aus ärmsten Verhältnissen könnten es bis ganz oben schaffen. Solche Karrieren ließen Fans träumen. Schmidts rechnet damit, dass die Euphorie in Deutschland über den Weltmeistertitel „schon nach wenigen Tagen wieder abebbt“. Doch die Begeisterung für den Fußball werde weiter zunehmen: „Immer mehr Menschen gehen in die Stadien. Fußball ist bei uns die Sportart Nummer eins.“

Weltmeisterschaft: Rios ´Christus-Erlöser´-Figur wurde ganz selbstverständlich in das Fußballgeschehen integriert!



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