«Im Sommer ist es am härtesten»

17. Juli 2014 in Chronik


Roms Obdachlose fürchten die heiße Jahreszeit. Von Christoph Schmidt (KNA)


Rom (kath.net/KNA) Der Mond geht auf über dem Petersdom. Noch immer schlendern einige Touristen die Via della Conciliazione herunter. Vielleicht zieht es sie gleich noch in eine Samba-Bar in Trastevere oder in die Remmi-Demmi-Schuppen im Vergnügungsviertel Testaccio. Luciano ist müde. Er hockt auf einer Lage Pappkarton nahe den Kolonnaden Berninis. Viele Obdachlose zieht es abends in diese Gegend. «Hier ist es ruhig und hier ist es sicher», sagt Luciano. Seinen Schlafsack braucht der 49-Jährige nicht; es ist Sommer in Rom. Doch die schöne Jahreszeit in der schönsten Metropole Europas fürchtet ein «senzatetto», ein Wohnungsloser, mehr als die Winterkälte. Das Elend stellt alles auf den Kopf.

«Im Sommer ist es am härtesten. Da gibt es weniger Betten, weil viele Asyle nur in den kalten Monaten öffnen. Also gibt es auch weniger Waschräume und Duschen, ausgerechnet im Sommer», stöhnt Luciano. Außerdem treibt der Durst die Obdachlosen immer wieder an die öffentlichen Trinkwasserbrunnen. Davon gibt es in Rom zwar eine Menge. Aber Römer wissen, dass man sie oft gerade dann vergeblich sucht, wenn einem die Zunge am Gaumen klebt.

Die senzatetto sind die offene Wunde im Gesicht der italienischen Wirtschaftskrise. Seit 2008 hat sich ihre Zahl laut Statistik landesweit mehr als verdreifacht. In der Hauptstadt begegnet man ihnen inmitten der Barockpracht des Centro Storico inzwischen fast genauso häufig wie in den Schmuddelecken um den Bahnhof Termini. Schätzungen sprechen von bis zu 8.000 Straßennomaden, darunter viele illegale Migranten. Aber auch immer mehr Italiener rutschen ab; inzwischen erfasst die Welle Jugendliche, kleine Rentner, normale Arbeitslose. Grund sind neben fehlenden Jobs die hohen Mieten und Wohnungspreise und ein Sozialstaat, der sich traditionell auf die Solidarität der Familie verlassen hat - und auf die Kirche.

Als sein Arbeitgeber, eine Baufirma in der Provinz, vor vier Jahren dichtmachte, ging es für Luciano ganz schnell bergab. Die geerbte Wohnung fraßen die Altschulden, Arbeitslosengeld bekommt ein Italiener nur ein paar Monate. Wohngeld und Sozialhilfe nach deutschem Vorbild gibt es nicht. «Verwandte konnten mir nicht helfen, und plötzlich saß ich auf der Straße.» Ohne Aussicht auf eine Stelle ging er in die große Stadt. Die kommunale Arbeitsvermittlung besuche er oft, aber bislang vergeblich. In Rom gebe es eine bessere Versorgung für Leute wie ihn, auch dank der vielen aktiven Pfarrgemeinden und Privatinitiativen.

Zu den größten Helfern zählen die Caritas, die katholische Gemeinschaft Sant'Egidio mit 10.000 Mitgliedern allein in Rom – und ein Papst, der für die Armen predigt und zu seinem Geburtstag Obdachlose einlädt. «Seit der Wahl von Franziskus melden sich mehr Freiwillige bei uns für karitative Einsätze», berichtet Augusto D'Angelo von Sant'Egidio. «Wir erleben, dass er viele Menschen aufgewühlt hat, auch Leute, die gar nichts mit der Kirche zu tun haben.» Aber im Sommer verlassen Römer möglichst ihre überhitzte Stadt, und kaum einer bleibe freiwillig mit seiner Familie, um Essen für Obdachlose zu kochen und auszuteilen oder Unterkünfte in Schuss zu halten, so D'Angelo.

Einer aber ist immer da: Erzbischof Konrad Krajewski. «Ich gehe jeden Abend zu den Leuten, jeden Abend», sagt der Almosenverwalter des Papstes. So will es Franziskus. «Dein Konto steht am besten, wenn es leer ist», gab er dem Polen bei dessen Dienstantritt auf den Weg. «Dann füllen wir es wieder auf.» Sommers wie winters kurvt Krajewski seither im Kleinwagen durch die Straßen um den Vatikan, bringt Lebensmittel und heißen Tee in Thermoskannen. Die Schweizergarde am Sankt-Anna-Tor hat Anweisung, jeden Bedürftigen zum nahen Almosenbüro durchzulassen. Manchmal bitten Obdachlose hier um etwas Bargeld, manchmal läuft der Erzbischof schnell zur nahe gelegenen Vatikan-Apotheke und holt ein erbetenes Medikament.

Luciano ist dem guten Engel des Papstes schon öfter begegnet. Er bete für Franziskus und Krajewski, sagt er. Aber öfter noch um einen Job, der ihn zurückbringt ins Leben.

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