Wie weit reichen Margot Käßmanns Utopien?

12. August 2014 in Kommentar


Die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann will das Militär abschaffen. Das ist nicht mehr als ein Wunschtraum in einer „gefallenen Welt“, meint idea-Redaktionsleiter Wolfgang Polzer.


Wetzlar (kath.net/idea) Margot Käßmann hat recht: Der Tag wird kommen, an dem Deutschland und die übrige Welt keine Soldaten mehr braucht. Es ist der Tag, an dem Jesus Christus wiederkehrt und sein Friedensreich aufrichtet. Aber für die Zwischenzeit sagt die Bibel „Kriege und Kriegsgeschrei“ voraus. Diesem Realismus kann sich auch die frühere EKD-Ratsvorsitzende nicht entziehen – trotz ihrer im jüngsten Spiegel-Interview geäußerten „Utopie“ von einem Deutschland ohne Streitkräfte.

So naiv ist Frau Käßmann nicht

Denn so naiv ist sie nicht, dass sie nicht wüsste, wie stark „das Böse“ noch ist, wie es sich gerade in diesen Tagen mit der brutalen Vertreibung und dem Abschlachten von Hunderttausenden Christen, Jesiden und gemäßigten Muslimen im Nordirak durch die Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) breitmacht.

Die „Luther-Botschafterin“ ist auch nicht so naiv, dass sie nicht um die Bredouille wüsste, in die Politik und Militär immer wieder geraten. Sie werden so oder so schuldig – durch Anwendung militärischer Gewalt ebenso wie durch unterlassene Hilfeleistung bei Völkermord.

Deshalb schließen sowohl Bundespräsident Joachim Gauck wie auch die EKD-Friedensdenkschrift Militärgewalt als „letztes Mittel“ nicht aus. Mit ihrer rein pazifistischen Haltung lässt Käßmann Politiker und Soldaten im Gewissenskonflikt allein.

Wie wirksam sind Friedensdienste?

Selbstverständlich ist Krieg, wie sie sagt, immer Versagen – das tatenlose Zusehen beim Völkermord aber auch. Und natürlich sollten gerade Christen alles tun, um den Frieden zu wahren und Konflikten vorzubeugen. Aber wie wirksam sind die Friedensdienste, wenn man es mit skrupellosen Diktatoren und menschenverachtenden „Religionskriegern“ zu tun hat? Was haben sie gegen die mordenden Milizen von Boko Haram in Westafrika, El Shabab in Nordostafrika und „Islamischer Staat“ im Mittleren Osten ausgerichtet?

Kirchen haben zu lange geschwiegen

Es wird zu lange gewartet und geschwiegen. Einst war das Thema Christenverfolgung durch den Kommunismus im Westen tabu. Jetzt scheuen sich die westliche Politik und die evangelischen Kirchen, die Gefahr durch den islamischen Extremismus beim Namen zu nennen. Der Vormarsch der Dschihadisten im Nahen Osten und Teilen Afrikas ist dafür ein unrühmliches Beispiel. Erst jetzt erklärt die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE), dass sie schon vor zwei Jahren vor der Gefahr gewarnt war. Weiterhin scheuen sich die Kirchen, von „Religionskriegen“ zu reden, die sich wohlgemerkt nicht nur gegen Christen, sondern auch gegen Jesiden und Muslime richten, obwohl genau das passiert. Jetzt kann man – Gott sei’s geklagt – die US-Luftangriffe auf IS im Nordirak nur noch als ein „gebotenes Mittel der Nothilfe“ sehen, wie es der außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Philipp Mißfelder, ausdrückt.

Frau Käßmann sind ihre „Utopien“ unbenommen; schließlich sehnen sich die allermeisten Menschen nach Frieden. Aber „Visionen“ allein helfen nicht. Ein Stück biblischer Realismus tut not.

Foto Margot Käßmann © EKD


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