«Europa muss seine IS-Kämpfer stoppen»

30. August 2014 in Interview


„Um es mit den Worten von Papst Franziskus zu sagen: Es ist teilweise wie im dritten Weltkrieg. Der Nahe Osten brennt, mit Ausnahme von Jordanien.“ - Erzbischof aus Amman zur Christenverfolgung in Nahost. Von Andrea Krogmann (KNA)


Amman (kath.net/KNA) Als das dunkelste Kapitel in der Geschichte der Christen im Nahen Osten wertet der katholische Weihbischof in Amman, Erzbischof Maroun Elias Lahham (66), die gegenwärtige Verfolgung durch islamische Terroristen. Eine Abwanderung in den Westen dürfe dennoch nur in Ausnahmefällen eine Lösung darstellen, meint der gebürtige Jordanier, seit Januar 2012 Weihbischof und Patriarchalvikar für Jordanien, im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

KNA: Herr Erzbischof, wie würden Sie die gegenwärtige Situation im Nahen Osten beschreiben, speziell mit Blick auf die Lage der Christen im Irak?

Lahham Um es mit den Worten von Papst Franziskus zu sagen: Es ist teilweise wie im dritten Weltkrieg. Der Nahe Osten brennt, mit Ausnahme von Jordanien. In Gaza wurde jetzt eine Waffenruhe vereinbart, von der ich hoffe, dass sie hält, aber ansonsten herrschen überall Krieg und Blutvergießen. Die Christen leiden. Sie werden verfolgt und getötet, weil sie Christen sind und weil sie eine Minderheit sind, gleich den Jesiden und nicht-sunnitischen Muslimen. Sie müssen konvertieren oder fliehen. Das hat es in der Vergangenheit nie gegeben. Wir leben seit mehr als 14 Jahrhunderten mit den Muslimen zusammen, aber wir haben noch nie eine so dunkle und traurige Situation erlebt.

KNA: Wer oder was steckt hinter der Gewalt?

Lahham Das ist die Frage: Woher bekommt der «Islamische Staat» sein Geld und seine Waffen?

KNA: Und unabhängig von Waffen und Geld: Woher kommt plötzlich diese Ideologie, wenn Muslime und Christen 1.400 Jahre zusammengelebt haben?

Lahham Es ist nicht plötzlich. Seit der Revolution im Iran in den 1970er Jahren haben wir gewisse islamische Erweckungsbewegungen gesehen, aber nie so übertrieben. Es beginnt schon beim Kopftuch: Als wir Kinder waren, gab es das nicht. Das ist in den 1970er Jahren wiedergekommen. Diese Menschen wollen zurück zu etwas, von dem ich nicht denke, dass es die islamischen Wurzeln sind. Es ist ein politisches Anliegen in religiösem Gewand. Ein arabischer Philosoph hat gesagt: Wenn du in einem Land Probleme willst, sage, was du willst, und hülle es in ein religiöses Gewand - es wird brennen.

KNA: Was kann gegen den «Islamischen Staat» getan werden?

Lahham Wir müssen ihn stoppen, um jeden Preis. Wir müssen die Geldzuflüsse und die Waffenlieferungen stoppen und wir müssen ihn bekämpfen. Und: Europa muss seine Bürger stoppen, die für den IS kämpfen. Es gibt viele Europäer, die sich dem IS angeschlossen haben.

KNA: Gehört die Christenverfolgung in Nahost wesentlich zum Phänomen des «Islamischen Staates»?

Lahham Ja. Ansonsten gilt: Wenn Christen in Nahost leiden, dann deshalb, weil alle leiden. Der Krieg in Syrien ging über Jahre, bevor der IS kam. Christen litten, weil sie Syrer waren, nicht wegen der Religion. Mit dem IS sind Christen wegen ihrer Religion zum Ziel geworden.

KNA: Sie sagen, «der Nahe Osten brennt, mit Ausnahme von Jordanien». Wie ist die Lage hier?

Lahham Gott sei Dank und Dank der Klugheit unserer Regierung und dem Wohlwollen der Supermächte ist Jordanien weiterhin sicher und ruhig. So ist Jordanien in der Lage, Hunderttausende Brüder aus Syrien, dem Irak und Ägypten aufzunehmen. Das wäre nicht möglich, wenn es wie die anderen Länder brennen würde. Die große Frage der Jordanier ist, wohin sie gehen können, wenn dies auch in Jordanien passiert. Es gibt keinen Ort, an den wir gehen können - aber ich hoffe, dass es nicht soweit kommen wird.

KNA: Wird Jordanien weiter in der Lage sein, Flüchtlinge aufzunehmen?

Lahham Ja und nein. Ja, weil es muss. Es ist das einzige ruhige Land. Und Gastfreundschaft ist einer unserer Werte. Wir können nicht die Türen vor unseren Brüdern zumachen. Ja auch deshalb, weil wir für diese Flüchtlinge viel Hilfe erhalten aus der ganzen Welt. Auch die Kirche hilft sehr, durch Caritas, die eine wunderbare Arbeit leistet für die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak. Das ist die positive Seite. Die harte Seite ist, dass Jordanien ein armes Land ist. Es hat nicht die nötige Infrastruktur, mit diesen Notfällen umzugehen. Auch ist Jordanien arm an Wasser, es ist schon schwierig, alle Jordanier mit dem nötigen Wasser zu versorgen. Jetzt haben wir zusätzlich zu sechs Millionen Jordaniern rund drei Millionen Flüchtlinge. Das ist, als würde Deutschland 40 Millionen Flüchtlinge aufnehmen.

KNA: Also eine Lage fast so wie im Libanon.

Lahham Mit dem Unterschied, dass der Libanon fragiler ist. Im Libanon gibt es keine Regierung und keine Armee - also kann jeder ins Land hinein- oder herauskommen und dort machen, was er will. Jordanien ist wesentlich besser geschützt.

KNA: Berichten Sie von der Flüchtlingshilfe der Kirche.

Lahham Die Kirche in Jordanien arbeitet auf zwei Ebenen. Mehr als eine unserer Pfarreien hat ihre Türen für die syrischen und irakischen Flüchtlinge geöffnet, und auch unsere Schulen, damit die Kinder nicht zwei oder drei Jahre ihrer Schulzeit verlieren. Vor allem aber arbeiten wir mit Caritas International, die Hunderttausenden Menschen helfen kann. Ohne deren Hilfe wären wir nicht in der Lage, diese Arbeit zu leisten.

KNA: Helfen Sie speziell Christen?

Lahham Nein, wie könnten wir? Wir haben 1,5 Millionen syrische Flüchtlinge, davon sind nur 30.000 Christen. Die Mehrheit der Flüchtlinge kommt aus dem Süden Syriens, eine traditionell muslimische und eine der ärmsten Gegenden.

KNA: Irak ist aber eine ganz andere Geschichte.

Lahham Im Irak gibt es zwei Geschichten. Die erste ist vergleichsweise alt und geht zurück auf die US-Invasion 2003, nach der wir 300.000 irakische Flüchtlinge in Jordanien aufgenommen haben. Die gegenwärtige Geschichte ist die des «Islamischen Staates» in Syrien und im Irak. Christen im Irak, besonders im Norden, haben keinen Ort, an den sie gehen können, ebenso Jesiden und Schiiten. Also hat der jordanische König angeordnet, 1.000 irakische Christen nach Jordanien zu holen. Wir haben einige Aufnahmezentren für sie eingerichtet, in der Hoffnung, dass sie Visa für andere Länder erhalten.

KNA: Damit vertreten Sie eine andere Position als viele Ihrer Amtsbrüder in der Region, die Europa bitten, nicht mit der Aufnahme von Christen aus Nahost zu deren Abwanderung beizutragen.

Lahham Nein, ich sage das gleiche. Die Lösung für arabische Christen kann nicht lauten, in Frankreich oder Italien zu leben. Gott hat sie als Christen in den arabischen Ländern geschaffen, also müssen sie auch dort Zeugnis ablegen. Die Iraker aber, die jetzt aus Mossul gekommen sind, haben alles verloren außer ihrem Glauben. In diesen Extremfällen können wir nicht sagen: Ihr müsst bleiben. Eine gute Lösung für Christen im Nahen Osten muss lauten, ihnen hier gute Lebensbedingungen zu schaffen, sodass sie ein normales Leben dort führen können, wo sie herkommen.

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