Welch giftiger Quelle entströmt der Antisemitismus?

30. August 2014 in Kommentar


Nach jüdischer Einschätzung gibt es heute mehr Antisemitismus denn je seit 1945! Ein kath.net-Klartext von Bischof Andreas Laun


Salzburg (kath.net) Es ist kein moralisches Gütesiegel für einen Menschen, wenn man von ihm weiß und hört, dass er gegen Antisemitismus sei, genauso wenig, wie man einen Menschen nicht deswegen rühmt, weil er sich über Völkermord und Kindesmissbrauch „entsetzt“ zeigt. Das sind eigentlich moralische Selbstverständlichkeiten, die niemand öffentlich zu leugnen wagen darf, ohne dass er nicht von der moralischen öffentlichen Meinung der Welt der verurteilt würde. Was nicht heißt, dass es nicht bekennende Pädophile und Antisemiten gäbe, die da und dort gelegentlich ihre Deckung verlassen. Immer wird es Menschen geben, die Verbrechen gegen Juden oder welcher Art auch immer nicht nur begehen, sondern dies auch aus Überzeugung tun und sich dazu bekennen.

Die Erfahrung zeigt: Berichte, Denkmäler, Filme, die von Verbrechen berichten, an sie erinnern oder sie zeigen, verhindern nicht, dass Menschen auch heute das Böse zuerst denken, verteidigen, propagieren und dann auch tun, wenn sie können.

Wie ein scheinbar harmloses Fußballspiel erst kürzlich zeigte: Es gibt auch heute noch hasserfüllte und gewaltbereite Antisemiten. Nach jüdischer Einschätzung: Heute gibt es mehr Antisemitismus denn je seit 1945! Und dies nicht nur in der Gestalt einiger betrunkener links- oder rechts Radikaler, sondern auch von Menschen, die heute noch oder schon wieder überzeugt sind von all den bekannten Vorurteilen gegen Juden, die in der Geschichte gehegt und gepflegt wurden bis hin zum Pogrom aller Pogrome im Holocaust. Nun, die öffentliche Meinung ist heute in Europa und in internationalen Dokumenten klar gegen Antisemitismus. Aber die Frage ist: Kann man diesen Geist des Bösen in die „Flasche endgültiger Verwahrung“ zurück verbannen? Durch „politische Erziehung“, wie ein Politiker kürzlich meinte? So sicher nicht, aber wenn nicht, wie dann oder ist die Ausrottung des Antisemitismus so unmöglich wie die der Amophelesfliege?

Ja und Nein! Nein, weil sich die Neigung und Bereitschaft zum Bösen in jeder Form nicht definitiv und einmal für immer zum Verschwinden bringen lässt. Ja, durch die sittliche Entscheidung des einzelnen Menschen und ganzer Gruppen! Aber diese Entscheidung hängt wesentlich von der Bildung der Gewissen ab. Bezüglich Antisemitismus heißt das: Man muss ihn verstanden haben, wissen, woher das Gift kommt und worin es besteht, nur dann kann man sich dagegen wirklich schützen und es ausmerzen!

Ein erster, aber leider nicht entscheidender Schritt, besteht in der Widerlegung der bekannten Vorurteile: Juden streben nach Macht und Weltherrschaft? Vielleicht ja, aber das taten und tun viele, vielleicht sogar alle Völker auch! Juden töten Kinder? Das mag vorgekommen sein, aber das geschieht weltweit auch bei anderen Völkern mit und ohne religiöser Verbrämung. Heute, im Zeitalter der globalen Abtreibungslobby, ist das Argument geradezu zynisch! Juden sind geldgierig? Gegenfrage: Welche Menschen streben nicht nach Geld und ist dieses Streben nicht auch moralisch legitim? Juden verletzen die Menschenrechte zum Beispiel der Palästiner? Auch dies mag so sein, aber dem gegenüber stehen die Forderung gewisser arabischer Führer, die offen erklären, man sollte die Juden alle zusammen ins Meer treiben und Hitler hätte recht gehabt. Und davon abgesehen: Welches Volk der Welt könnte sich selbst sozusagen „heilig sprechen“, weil bei ihm alle Menschenrechte geachtet werden?

Eine auch nur ansatzweise vernünftige Erklärung für den Antisemitismus können alle diese Vorurteile und Beschuldigungen nicht bieten. Auch die Deutung des Antisemitismus als eine Spielart des Rassismus genügt nicht. Ja, Antisemitismus ist rassistisch, aber er ist zugleich mehr als Rassismus, er hat eine andere Qualität! Diese zeigt sich in seiner geheimnisvollen globalen Verbreitung, die ihrerseits die Frage nach dem „Woher der Hass?“ neu stellt.

Die Widerlegung all der genannten „Gründe“ ist gut, wird aber immer nur von begrenzter Wirkung sein. Nötig ist die bis zur Wurzel gehenden Antwort auf die Frage: Welch giftiger Quelle entströmt der scheinbar unausrottbare, immer wieder aufflammende Antisemitismus?

Papst Benedikt antwortete in Auschwitz:
„Die Machthaber des Dritten Reiches wollten das jüdische Volk als Ganzes zertreten, es von der Landkarte der Menschheit tilgen… Im tiefsten wollten jene Gewalttäter mit dem Austilgen dieses Volkes den Gott töten, der Abraham berufen, der am Sinai gesprochen und dort die bleibend gültigen Maße des Menschseins aufgerichtet hat. Wenn dieses Volk einfach durch sein Dasein Zeugnis von dem Gott ist, der zum Menschen gesprochen hat und ihn in Verantwortung nimmt, so sollte dieser Gott endlich tot sein und die Herrschaft nur noch dem Menschen gehören, ihnen selber, die sich für die Starken hielten, die es verstanden hatten, die Welt an sich zu reißen. Mit dem Zerstören Israels sollte im letzten auch die Wurzel ausgerissen werden, auf der der christliche Glaube beruht und endgültig durch den neuen, selbstgemachten Glauben an die Herrschaft des Menschen, des Starken, ersetzt werden.“ Das heißt kurz gefaßt: „Antisemitismus ist eine Form des Gotteshasses!“

Wenn der Papst damit das tiefste Wesen des Antisemitismus und zugleich des Hasses gegen Christen und die entsprechenden Verfolgungen benannt hat, versteht man auch den Buchtitel von Johannes Österreicher „Judenhass ist Christushass“ und das, was Joseph Roth zum Thema gesagt hat: „„Indem man die Juden vernichtet, verfolgt man Christus.“ Oder auch: „“Man prügelt den Moritz Finkelstein aus Breslau, und man meint in Wirklichkeit jenen Juden aus Nazareth.“ Oder: „Sie haben begonnen, die Klagemauer in Jerusalem zu bespucken; und sie meinten die Peterskirche!“ Dazu passt auch, was S. Freud gesagt hat: „Nicht die Kreuzigung Christi verzeihen die Völker den Juden nicht, damit würde sie sich abfinden, die Person Christi ist es, die sie zu Antisemiten macht.“

Paul Stöcklein kommt zu dem Ergebnis: Letztlich ist der Antisemitismus ebenso wie die Verfolgung der Christen das Resultat eines Hasses gegen jede „Pietas“, ein Hass, der keinen Unterschied macht zwischen Madonna und Thorarolle! Und er stellt die bange Frage, ob es unter dem Boden Zentraleuropas einen „riesigen, schlummernden, energiegeladenen Hass gegen jedwede Pietas“ gebe? Ein Zeichen dafür sieht Stöcklein in den in Europa intensiver werdenden Lästerungen und fügt hinzu: „Die Zeit, in der der Hass verkrochen leben musste, geht jetzt zu Ende.“ Denkt man diese Gedanken zu Ende, heißt dies: Die vielen öffentlichen Verhöhnungen des Glaubens in Presse, Film und Theater fördern trotz gegenteiliger Beteuerungen nicht nur Kirchenhass, sondern auch Antisemitismus.

Aus all dem Gesagten folgt auch: Atheisten können den Antisemitismus eigentlich nicht wirklich verstehen, er setzt offenbar ein zwar verdrängtes, aber doch wirkliches Wissen oder Ahnen über Gott voraus. Und die wirkliche Überwindung des Antisemitismus kann letztlich nur gelingen dort, wo sich Menschen eben nicht ablehnend, sondern bejahend oder wenigstens respektvoll dem lebendigen Gott Israels und der Christen, dem Gott des alten und des neuen Volkes Gottes, zuwenden und die Pietas der Religionen achten.

kath.net-Buchtipp
Klartext III
Dialog mit dem Zeitgeist
Von Andreas Laun
Taschenbuch, 104 Seiten
2014 Dip3 Bildungsservice Gmbh
ISBN 978-3-902686-59-6
Preis 8.90 EUR
Leicht bestellbar im kathShop, lieferbar auch durch jede Buchhandlung


© 2014 www.kath.net