Bohrende Fragen des 'Spiegel' zu EKD-Standpunkten

22. Oktober 2014 in Kommentar


Erstaunliche Fragen konnte man im Interview des Hamburger Nachrichtenmagazins „Spiegel“ mit dem EKD-Präses Nikolaus Schneider lesen. kath.net-Kommentar von Petra Lorleberg


Stuttgart (kath.net/pl) Erstaunliche Fragen an den scheidenden Präses der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider (Foto), konnte man im jüngsten Interview des Hamburger Nachrichtenmagazins „Spiegel“ lesen. Gleich in der Einstiegsfrage konstatierte der Spiegel: „Herr Schneider, wer in den vergangenen Jahren einen evangelischen Kirchentag besuchte, der konnte viel über das politische Engagement der Protestanten in Deutschland erfahren. Es ging um den Ausstieg aus der Kernenergie, um die Grenzen des Wachstums und die Frauenquote. Hatten Sie nicht manchmal den Eindruck, Sie wären auf einem Parteitag der Grünen gelandet?“ Schneider reagiert zunächst mit dem Hinweis: „Kirchentage sind keine Parteitage, das erkennen Sie schon daran, dass es jeden Morgen mit einer Bibelarbeit losgeht.“ Nach einigen Nachfragen seitens des Spiegels erläuterte Schneider dann doch grundsätzlicher: „Es wäre sicher falsch, wenn uns nur noch der politische Diskurs interessieren würde. Andererseits dürfen wir uns nicht allein in den frommen Winkel zurückziehen, wo es überhaupt nicht mehr interessiert, was in der Welt passiert.“

Listen wir einige der „Spiegel“-Fragen im O-Ton auf: „Wir dachten eigentlich, dass es das Alleinstellungsmerkmal der Kirche sei, eine Vorstellung vom Jenseits zu besitzen. Glauben Sie eigentlich noch an Himmel und Hölle?“ „In der Offenbarung des Johannes heißt es auch, dass die Sünder in einen ‚feurigen Pfuhl‘ geworfen werden. Sie machen aus dem jüngsten Gericht eine moderne Strafkammer mit freundlichen Staatsanwälten. Weicht das nicht etwas zu sehr vom Text der Bibel ab?“ Dann wollte der „Spiegel“ ganz grundsätzlich wissen: „Wozu braucht es noch eine Kirche, wenn jeder Gläubige ohnehin das in die Bibel hineininterpretieren darf, was ihm passt?“

Auch das heftig umstrittene Familienpapier der EKD wurde von den „Spiegel“-Redakteuren nicht vergessen: „Kaum etwas hat die Evangelische Kirche in Deutschland so umgetrieben wie die familienpolitische Orientierungshilfe, die in ihrer Amtszeit veröffentlich worden ist. Viele ihrer Kirchenmitglieder haben das Papier so verstanden, als gebe die EKD die Institution Ehe auf. Wie konnte es soweit kommen?“ In der nächsten Frage wies der „Spiegel“ sogar darauf hin: „Vielleicht lag ein Fehler auch darin, in die Kommission, die das Familienbild der EKD prägen soll, eine Soziologin zu berufen, die die Ehe schon als 'Erblast im Geschlechterverhältnis' bezeichnet hat. Besondere Euphorie für die klassische Familie ist da kaum zu erwarten.“

Der „Spiegel“ zieht nun den Vergleich zur katholischen Kirche: „Die katholische Kirche sagt einfach: ‚Sex ist Sünde, es sei denn, er dient zur Fortpflanzung in einer Ehe‘“ [Anm.: Der Spiegel verkürzt hier das katholische Eheverständnis]. Dennoch habe „die katholische Kirche in den vergangenen Jahrzehnten im Schnitt weniger Austritte in Deutschland zu beklagen als die evangelische.“

Außerdem ging das Interview dann das Thema Sterbehilfe an. Schneider war ja wegen seiner Äußerungen im Hinblick auf seine schwer erkrankte Frau in starke Diskussion geraten. Gegen seine eigene Überzeugung, so hatte Schneider gesagt, sei er bereit, seine Frau zu begleiten, falls sie sich für aktive Sterbehilfe entscheiden würde. Nun fragte der Spiegel: „Müssten Sie Ihrer Frau nicht sagen: Was du vorhast, ist Sünde?“ Die Antwort Schneiders, der auf den Respekt vor der individuellen Gewissensentscheidung verwies, hinterfragte der Spiegel dann noch grundsätzlicher: „Wundert es Sie bei einem solchen Hin und Her eigentlich noch, wenn man der EKD den Vorwurf macht, sie passe sich dem Zeitgeist zu sehr an?“ In der nächsten Frage wollte es der Spiegel ganz genau wissen: „Wenn sich alle Glaubensinhalte ständig einem Dialogprozess stellen müssen, dann löst sich der Glaube irgendwann auf. Gibt es für Sie biblische Wahrheiten, die nicht zur Disposition stehen?“

Beim Lesen der Antworten des EKD-Präses mag dem einen oder anderen Leser die Frage gekommen sein, ob Herr Schneider in seinen Antworten zu wenig profiliert ist. Hätte er vielleicht deutlicher herausarbeiten können, dass evangelische Christen „UNTER dem Wort“ und nicht über dem Wort stehen? Dass sie sich von unbequemen Anfragen der Bibel auch mal aus der Mainstream-Sattheit aufscheuchen lassen sollten und dies bitte nicht ausschließlich in Themenkomplexen wie Umweltschutz und „Schwerter-zu-Pflugscharen“? Und auch Katholiken mag es traurig stimmen, dass Schneider kernevangelische Themen wie die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu kein einziges Mal erwähnt.

Doch noch ein weiterer Punkt betrübt eventuell den einen oder anderen Leser des Interviews: Die Antworten des EKD-Präses neigen zur Vorsicht und berücksichtigen explizit stark den „Respekt vor individuellen Gewissensentscheidungen“ (Zitat Schneider), ebenso gelingt ihm nur eine „differenzierte“ Antwort auf die „Spiegel“-Frage „Was in der Bibel steht, ist die Wahrheit?“. Doch bei einem Thema erhalten wir vom EKD-Präses plötzlich schneidend-klare Antworten: „Als Protestanten haben wir allerdings keine Lehre von verschiedenen Klassen höllischer Strafen. Es war ein Verdienst der Reformation, das Geschäft mit dem Fegefeuer und der Angst vor dem Jenseits zu beenden“ [Anm.: in der katholischen Lehre ist das Fegefeuer nicht der Hölle zugeordnet]. Und gern verweist er auch darauf, dass es in der EKD kein Lehramt gibt. Wörtlich sagte er nach dem Hinweis, dass der Geist Gottes gemäß der Pfingstpredigt des Petrus über alle ausgegossen ist: „Das widerspricht dem Anspruch, nur Kleriker könnten die Bibel richtig verstehen.“

Notabene: Auch als Katholikin brauche ich kein „Geschäft mit dem Fegefeuer“. Innerkirchliche Missstände gibt es übrigens in jedem Jahrhundert zu kritisieren, auf jeden Fall bei uns Katholiken und wohl ebenso bei den Protestanten. Dabei würde ich mir allerdings wünschen, dass wir uns aktuelleren Themen zuwenden könnten als ausgerechnet einem, das fünfhundert Jahre alt und längst überholt ist. Und darf eigentlich auch ich als katholische Christin meine Gewissensfreiheit in Anspruch nehmen und mich dafür entscheiden, dass ich die Bibel in Übereinstimmung mit dem Lehramt meiner Kirche verstehen möchte?

Ein aufschlussreiches Interview. Wenn ich als Katholikin dieses Interview lese, entsteht der leise Verdacht, dass sich hier jemand auf Kosten von Katholiken zu profilieren versucht. Meine ökumenische Frage lautet daher: Wollen sich evangelische Christen nicht lieber profiliert evangelisch als nur profiliert antikatholisch äußern?

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Papst Benedikt und EKD-Präses Nikolaus Schneider bei der brüderlichen Umarmung in Erfurt 2011






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