Harte Nüsse für die Neuevangelisierung

27. November 2014 in Kommentar


Im Zusammenhang mit der Bischofssynode zur Familie kommen aus dem kirchlichen Bereich des deutschen Sprachraums immer wieder fragwürdige Aussagen Neuevangelisierung ist notwendig - auch in der Kirche. Ein kath.net-Kommentar von Johannes Graf


Bonn/Linz (kath.net/jg)
Zwei Aussagen aus jüngster Zeit zeigen die Situation der katholischen Kirche im deutschen Sprachraum in ihrer ganzen Dramatik. Beide sind im Umfeld der Bischofssynode zur Familie gefallen und beziehen sich auf die kirchliche Lehre im Bereich Ehe, Familie und Sexualität. Die erste lautet: „Im Kern geht es aber um eine umfassende, die ganze kirchliche Tradition erfassende theologische Reflexion der Lehre der Kirche zur Ehe, um die Einstellung der Kirche zur Bedeutung der Sexualität für den Menschen. Wir müssen sie ganzheitlich betrachten, nicht nur im Hinblick auf die Fortpflanzung.“ Die zweite: „Das katholische Sexualregime ist zusammengebrochen.“

Die erste Aussage stammt von Alois Glück und ist seiner Rede vor der Herbstvollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) entnommen. Die zweite kommt aus dem Mund des Grazer Pastoraltheologen Rainer Bucher, der sein Referat beim diesjährigen „dies academicus“ an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz mit dieser provokanten Aussage eingeleitet hat.

Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchen Thesen sich führende Vertreter der katholischen Kirche des deutschsprachigen Raumes zu Wort melden. Die Sätze von ZdK-Präsident Glück stehen im Zusammenhang seiner Stellungnahme zur Familiensynode. Bestehen die „pastoralen Herausforderungen für die Familie im Rahmen der Evangelisierung“ wirklich darin, dass die Kirche Sexualität nur im Hinblick auf die Fortpflanzung betrachtet? Ein kurzer Blick in den Katechismus der Katholischen Kirche hätte geholfen: „Durch die Vereinigung der Gatten verwirklicht sich der doppelte Zweck der Ehe: das Wohl der Gatten selbst und die Weitergabe des Lebens“, heißt es dort (KKK 2363). In den Absätzen davor zitiert der Katechismus gleichartige Aussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils, Papst Johannes Pauls II. und Papst Pius’ XII. Die Kirche ist in dieser Frage schon lange dort, wo Glück es erwartet.

Die Frage ist umgekehrt zu stellen: Ist nicht eine der wesentlichen pastoralen Herausforderungen für die Familie gerade in den westlichen Ländern darin zu sehen, dass die Geschlechtlichkeit weitgehend von der Fruchtbarkeit getrennt worden ist? In den aktuellen Aufklärungsprogrammen lautet die Empfehlung an die Jugendlichen kurz zusammengefasst: Tut was ihr wollt, aber passt auf, dass ihr euch keine Krankheiten holt und keine Kinder kriegt. Gleiches wird in vielen Medien vermittelt. Sexualität wird zu einem Zeitvertreib und auf ein Konsumgut reduziert. Aus den auf diese Weise „aufgeklärten“ Jugendlichen werden Erwachsene, die in großer Zahl immer noch und auch kirchlich heiraten. Unter diesen Voraussetzungen müssen Priester und Pastoralassistenten heute Seelsorge betreiben.

Die von Papst Johannes Paul II. entfaltete Theologie des Leibes bietet in dieser Situation eine umfassende, dem gesunden Menschenverstand einleuchtende Begründung für die Haltung der Kirche zur Sexualität, welche die Leiblichkeit und Geschlechtlichkeit des Menschen zutiefst bejaht. Doch diese ist im deutschen Sprachraum bis jetzt nur wenig rezipiert worden, wie der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke vor kurzem in einem Interview bestätigt hat. Gott ist die Liebe. Der Mensch ist nach Gottes Abbild geschaffen ebenfalls zur Liebe berufen. Das bezieht sich auch auf die körperliche Dimension, denn der Mensch ist als leiblich-seelische Einheit von Gott gewollt und geschaffen. Aus der Liebe der Eltern entsteht das Kind. Der Mensch wirkt in der Zeugung an der Schöpfung Gottes mit. Seine Geschlechtlichkeit ist ein hohes, von Gott gegebenes Gut. Künstliche Verhütung manipuliert den geschlechtlichen Akt, der von Gott als vorbehaltslose Hingabe von Mann und Frau gedacht ist. Sexualität betrifft die ganze Person und ist daher in das Leben des Menschen bewusst zu integrieren. Die Liebe der Ehepartner soll die göttliche Liebe wiederspiegeln. Aus dieser Perspektive bekommen sowohl die Sexualität als auch die Ehe eine Tiefendimension, die sie ohne Offenbarung nicht erreichen können.

Häufig wird man in Gesprächen mit Menschen, die der Kirche fern stehen, auf die angeblich rigide und lebensferne Sexualmoral angesprochen. Wie die beiden eingangs zitierten Bemerkungen zeigen, ist diese Ansicht weit in die Kirche eingedrungen. Die „kasuistischen Denkweisen und Regelwerke sind ein Irrweg“, ergänzt Alois Glück seine Aussage zur kirchlichen Ehelehre bei der Vollversammlung des ZdK. Da scheint ihm einiges entgangen zu sein.

Ein ähnlicher Zugang scheint hinter der Aussage von Rainer Bucher, Professor für Pastoraltheologie an der katholischen Fakultät der Universität Graz, zu stehen. Das „katholische Sexualregime“ scheint nach Buchers Ansicht offenbar der Versuch der katholischen Kirche zu sein, mit mehr oder weniger willkürlichen, idealistischen und jedenfalls weltfremden Regeln das Sexualleben der Menschen zu kontrollieren. Auch bei ihm steht der legalistische Aspekt im Vordergrund. Dieses „Sexualregime“ der Kirche sei nun – wie seine kommunistischen „Gegenstücke“ vor 25 Jahren, der Begriff ist sicher nicht zufällig gewählt – zusammengebrochen, weil sich die Lebenswirklichkeit der Menschen von den, wie Bucher zitiert wird, „überhöhten rechtlichen Normen der Kirche“ entfernt habe. In seinem Referat stellt Bucher die Frage, „ob die Katholische Kirche auf dem Spielfeld der Lebensformen überhaupt noch mitspielt.“

Die Frage ist berechtigt. Aber was sind die Ursachen für diese kritische Bilanz? Die Aussagen von Glück und Bucher weisen auf ein dramatisches Defizit hin. Die wahre Lehre der Kirche ist offenbar selbst wichtigen Vertretern der Kirche nicht bekannt und wird kaum verkündet. Die Theologie des Leibes kann hier ein wertvoller Ansatzpunkt sein. Von hier können Schönheit und Tiefe von Ehe und Geschlechtlichkeit, wie sie von Gott offenbart sind, wunderbar dargestellt werden. Dann werden viele Aspekte der kirchlichen Lehre, mit denen die Menschen heute Schwierigkeiten haben, in ihrer wahren Bedeutung sichtbar.

Neuevangelisierung ist notwendig. Wie man sieht, ist sie das auch und gerade im ZdK und an vielen katholischen Fakultäten. Doch das sind harte Nüsse für die Mission, weil sie selber zu wissen glauben, was der Papst und die Kirche tun sollten.

Johannes Graf ist der Chef-Kommentator der kath.net-Redaktion


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