Schönborn: EU 'von allen schlechten Lösungen noch die beste'

5. Dezember 2014 in Österreich


Kardinal diskutierte mit Physiker Zeiliger über Zukunft Europas, über Wissenschaft und Glaube und das Fortpflanzungsmedizingesetz


Wien (kath.net/KAP) Ein Bekenntnis zu Europa und zur Europäischen Union hat der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn (Foto) abgelegt. "Europa ist für mich Zuhause", so der in Böhmen geborene und in Österreich aufgewachsene Kardinal, der seine Studienjahre in Deutschland und Frankreich verbrachte, am Mittwochabend im Rahmen eines Gesprächs unter dem Titel "Europa und Christentum - welche Zukunft?". Zu dieser Ethik-Gesprächsreihe hatte die Alumni-Vereinigung der Altschüler des Kollegium Kalksburg auch den Wiener Physiker Prof. Anton Zeilinger, Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, eingeladen. Die Europäische Union sei trotz des derzeit von Problemen geprägten europäischen Einigungsprozesses "von allen schlechten Lösungen bei weitem noch die beste", so Schönborn.

Obwohl das Christentum nicht in Europa entstanden sei, habe es den Kontinent doch maßgeblich geprägt. Es dürfe ruhig gesagt werden, dass Europa christliche Wurzeln hat, so der Kardinal. Das Christentum habe anfangs einen "Stachel des Widerspruchs" in die damalige Weltmacht Rom eingebracht, es sei gleichsam "antikulturell" in das römische Reich eingedrungen. Derzeit gebe es wie am Ende der Antike eine Völkerwanderung, die wegen des Wohlstandsgefälles auf der Welt wohl lange nicht aufzuhalten sei, sagte Schönborn. Die Immigration aus Asien und Afrika werde anhalten, "solange es uns in Europa so gut geht". Was das für Europa in den kommenden Jahrzehnten bedeuten werde, könne noch nicht abgeschätzt werden.

Wie sein Gesprächspartner Zeilinger ist auch Kardinal Schönborn immer wieder mit Fragen befasst, die sich um das Verhältnis von Wissenschaft und Religion ranken. Dass viele Gläubige meinten, dieses Verhältnis sei durch ein Nebeneinander von Kausalitäten gekennzeichnet, und der liebe Gott müsse dort eingreifen, wo die Forschung mit ihrer Logik zu Ende sei, habe mit Charles Darwin zu tun: Darwin habe zwar - wie Schönborn hinwies - auch Theologie studiert, aber dennoch einen "sehr schlechten theologischen Background" gehabt. Der englische Evolutionstheoriker habe einen aufklärerischen, deistischen Ansatz vertreten, der Gott unmittelbar in die Kausalkette eingefügt habe. Der Kardinal: "Dass das nicht gehalten hat, da kann man nur sagen: Gott sei Dank!"

Anhänger des so genannten "Intelligent Design", die glauben, dass die hohe Komplexität in Naturphänomenen nur durch einen göttlichen "Designer" erklärt werden könne, haben laut Schönborn ebenfalls "eine schlechte Theologie wie Darwin seinerzeit". Es sei theologisch nicht haltbar, Gott als eine Ursache neben anderen zu sehen; er sei vielmehr "Ursache aller Ursachen".

Zum derzeit vieldiskutierten Fortpflanzungsmedizingesetz, das die Bischöfe in der vorliegenden Form ablehnen, merkte Schönborn an, die Kritik habe nicht nur einen religiösen, sondern auch rationalen Anspruch. Bei Fragen rund um Fertilität müsse es Regulatorien geben, die erst zu entwickeln seien. Es müsse z.B. breit diskutiert werden, welche Folgen es für Kinder habe, die "zwei Mütter" haben - eine Eizellspenderin und eine, die das Kind austrägt, betonte der Erzbischof. Die Christen seien Teil der Gesellschaft und hätten das Recht, am öffentlichen Diskurs zu diesen Themen teilzunehmen.

"Als Wissenschaftler natürlich Agnostiker"

Er sei einmal von einem Journalisten gefragt worden, ob er Agnostiker oder Atheist sei, erzählte Quantenphysiker Anton Zeilinger. Seine Antwort: In seiner Funktion als Wissenschaftler sei er "natürlich Agnostiker", denn in diesem Lebensbereich seien keine religiösen Aussagen zu machen. Als Mensch jedoch sei er weder Atheist noch Agnostiker. Wenn manche Naturwissenschaftler behaupteten, Religion an sich sei mit Wissenschaft unvereinbar, dann sei das ebenso falsch wie eine theologische Aussage, die die Erde zum Mittelpunkt des Universums mache: "Das ist genauso ein Übertreten der eigenen Grenzen."

Das Ziel der Naturwissenschaften lässt sich laut Zeilinger in zwei Worten zusammenfassen: "Causarum investigatio" - Erforschung der Ursachen. Das setze implizit voraus, dass es für alles, was wir beobachten, eine Ursache gebe. Die Quantenmechanik anerkenne diesbezüglich aber Begrenzungen. Wann z.B. ein radioaktives Atom zerfällt, sei jeder Kausalität entzogen und "der reine Zufall".

Zum Hauptthema des Abends erklärte der Wiener Spitzenforscher: "Je älter ich werde, desto mehr sehe ich Europa als meine Heimat." Die Akademie der Wissenschaften habe überall in der Welt Kontakte, vor allem zu den heute immer noch "nahen" Nachfolgestaaten der Monarchie und zur Sowjetunion. Es gebe hier viel mehr Verbindendes als Trennendes. Warum man sich in Europa so lange bekriegte, verstehe er nicht, so Zeilinger. Mittlerweile habe Europa besser gelernt, mit hoher Komplexität umzugehen. Dass es auf dem Kontinent auch Kirchen mit verschiedenen Sichtweisen gibt, betrachtet Zeilinger als Reichtum, auf dem man aufbauen könne.

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Foto Kardinal Schönborn (c) Erzdiözese Wien



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