Schönborn: Kirche soll Überzeugungen vertreten, ohne zu richten

16. Dezember 2014 in Österreich


Wiener Erzbischof nennt in Interview Abtreibung als Beispiel - Auch bei Thema Familie erst Lebensrealität wahrnehmen, "bevor man über etwas urteilt"


Innsbruck-Feldkirch (kath.net/KAP) Die Kirche hat in der heutigen Gesellschaft die Aufgabe, "Überzeugungen zu vertreten und zu leben, ohne sich in die Richterposition zu begeben". Das hat der Wiener Erzbischof, Christoph Kardinal Schönborn (Foto), in einem Interview für die Montagausgaben der "Tiroler Tageszeitung" und die "Vorarlberger Nachrichten" betont. In einer pluralistischen Gesellschaft vertrete die Kirche zunehmend auch Überzeugungen, die nicht leicht mehrheitsfähig sind. "Wir werden immer sagen, dass jedes Kind das Recht hat zu leben, davon können wir nicht abrücken", konkretisierte Schönborn. "Wir haben aber nie das Recht, einen Menschen zu verurteilen, zum Beispiel jemanden, der an einer Abtreibung schuld ist."

Auf die Frage, ob seiner Einschätzung nach irgendwann der Punkt kommen werde, an dem die Kirche Opposition wird, verwies der Kardinal auf das derzeit vieldiskutierte Reproduktionsmedizingesetz. Gegen den Regierungsentwurf hätten alle katholischen Organisationen Einwände erhoben, darunter die von Schönborn angeführte Österreichische Bischofskonferenz. Das Gesetz werde trotzdem im Parlament durchgehen, "die Koalition will das durchziehen", so die Einschätzung des Kardinals. Auch in diesem Fall gelte: "Es ist nicht unser Auftrag, die Mehrheit zu sein. Es ist unser Auftrag, gut argumentiert zu sagen, was unsere Überzeugung ist."

Zum Thema Familie - durch eine bereits absolvierte und eine im kommenden Herbst geplante Bischofssynode im Fokus der Weltkirche - bekannte sich Kardinal Schönborn zur von Papst Franziskus "vorgegeben Stoßrichtung": "Bevor man über etwas urteilt, muss man die Lebensrealität wahrnehmen." Und diese sei nun einmal so, dass Beziehungen gelingen oder scheitern, so der Erzbischof. Patchworkfamilien seien "nicht aus Jux und Tollerei entstanden", sondern, weil es Schwierigkeiten gegeben habe in Bezug auf fehlende Beziehungsfähigkeit, wirtschaftliche oder seelische Konflikte. Eine intakte Ehe Familie sei nicht selbstverständlich, weiß Schönborn, der "selber aus einer Patchworkfamilie" kommt. Und er habe in Patchworkfamilien "sehr viel Glauben und viel Großherzigkeit erlebt". Nachsatz: "Und natürlich auch viele Wunden. Aber es gibt für Gott keine hoffnungslosen Fälle."

Gerade in Krisenzeiten trägt Familie

Zugleich sieht Schönborn "eine unglaubliche Erfolgsgeschichte der Institution Ehe". Sie sei die Urzelle der Gesellschaft und in Krisensituationen nachweislich "das schnellste, beste und sicherste Netzwerk". Ohne die in Familien erbrachten Sozialleistungen wäre der Staat "total überfordert", erklärte der Kardinal. Je enger es für den Sozialstaat z.B. in der Pensionsfrage und Gesundheitsvorsorge werde, desto offensichtlicher werde, "dass die Familie das Überlebensnetzwerk ist".

Zur zuletzt diskutierten "gesunden Watschen" äußerte Schönborn Erleichterung darüber, dass dieses Erziehungsmittel, "die ich in Volksschule und Gymnasium als Selbstverständlichkeit erlebt habe, Gott sei Dank vorbei ist". Er selbst sei zwar verschont geblieben, "aber unsere Lehrer haben zum Teil unbeschreiblich geprügelt". Dass es das nicht mehr gebe, "ist ein echter Fortschritt".

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Foto Kardinal Schönborn (c) Erzdiözese Wien


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