'Islamisierung', Religion und Gewalt

12. Jänner 2015 in Kommentar


Anmerkungen zu den Diskussionen aus Anlass der Demos in Dresden, Köln, Berlin und wo auch immer. Gastkommentar des evangelischen Oberkirchenrates i.R. Klaus Baschang


Karlsruhe (kath.net) 1.0 Religionen können entarten. Das zeigt ein Blick in die Geschichte. Der Blick wird allerdings oft bestimmt von Voreinstellungen und Hoffnungen, mit denen die Geschichte betrachtet wird.

1.1 Der friedliche Islam Andalusiens war der Friede einer Unterdrückung der dort lebenden Christen und Juden durch die muslimischen Eroberer. Diese haben sich die Duldung mit hohen Strafzöllen vergelten lassen und also Gewinn aus der Duldung erzielt.

1.2 Die unentschuldbaren Gräuel der Kreuzzüge hatten einen zunächst verstehbaren Anlass: Die Wallfahrten zu den sog. Heiligen Stätten der Christenheit waren nach der islamischen Eroberung unmöglich geworden. Man stelle sich vor, irgendwelche Nichtmuslime hinderten den Islam an der Hadsch nach Mekka. Der Vorgang lehrt: Wenn Religion sich mit Materiellem identifiziert (Denkmalen, Ländereien, greibaren Objekten usw.), kann sie verwildern.


2.0 Wenn Religionen ihre Entartungen korrigieren wollen, ist es zunächst nötig, die Abweichungen vom Ursprung ins Auge zu fassen.

2.1 Am Anfang des Christentums steht ein armer wohnsitzloser und eheloser Wanderprediger, der sich für seine Botschaft hinrichten lässt.

2.2 Am Anfang des Islam steht ein mehrfach verheirateter Kaufmann und Heerführer, derdie Gegner seiner Botschaft bekämpfen und töten lässt und sich selbst daran beteiligt.

2.3 Die Benennung der Unterschiede dient allein der historischen Aufklärung. Sie enthält keine moralischen Urteile über die einzelnen Religionsangehörigen. Wer das behauptet, ist an der nötigen Aufklärung nicht interessiert.

2.4 Keine Frage: Auch das Christentum kennt und verfolgt politische Optionen als Konsequenz seines Glaubens. Sie sind öffentlich zu diskutieren und zu verantworten.

2.5 Wegen seiner Herkunftsgeschichte ist der Islam aber darauf zu befragen, ob er überhaupt eine Religion ist oder eher eine politische Bewegung mit religiösen Elementen.

2.6 In dieser Perspektive ist klar: Der gewalttätige Islamismus ist nicht die Entartung des Islam, sondern dessen Herkunftsprofil. Eine „Entartung“ sind dagegen die Versuche, islamische Theologie und islamische Frömmigkeit von den inhärenten Gewaltelementen zu befreien. Vgl dazu unten Ziffer 4.5

2.7 Zwischenergebnis: Wer die Unterschiede von Christentum und Islam klein redet und verwischt, ist theologisch dumm und politisch gefährlich. Es stimmt keineswegs, dass die historischen Religionen Judentum, Christentum und Islam eine gemeinsame Mitte im Monotheismus haben. Der Monotheismus ist ein philosophisches Konstrukt, das keinem dieser drei Religionen gerecht wird, auch wenn man sie als „abrahamitisch“ bezeichnet. Das Gerede vom Monotheismus dient vor allem dazu, diesen Religionen unterschiedslos (!) Gewaltneigungen zu unterstellen und ihre Verweisung aus dem öffentlichen Raum in den abgeschlossenen Privatbereich zu fordern. Solche Forderungen fallen in den anonymen IT-Netzwerken auf besonders fruchtbaren Boden. Darum bedürfen die Argumente gegen Pegida besonderer Aufmerksamkeit.


3.0 Es zeigt sich, dass in religiöser Perspektive noch eine weitere Differenzierung angebracht ist: Religion hat eine „Innenseite“ (Gewissen, Gefühle, persönliche Entscheidungen) und eine „Außenseite“ (Organisation, öffentliche Spielregeln, Riten, Gebäude).

3.1 Diese Unterscheidung ist nötig, um ein friedliches Zusammenleben von Religionen gewährleisten zu können. Das Zusammenleben vollzieht sich äußerlich, nicht in den Herzen.

3.2 Darum liegt es im Interesse des öffentlichen Friedens und der gemeinschaftlichen Ordnung, wenn Religion nicht in das private Leben abgedrängt wird. Das wird zwar häufig von Atheisten verlangt. Sie übersehen jedoch, dass auch der Atheismus eine weltanschauliche Position ist. Wenn ein Staat die Religionen verbietet, macht er sich genau diese atheistische Weltanschauung zu eigen und ist nicht mehr religiös neutral.. Die inhumanen Folgen sind bekannt (vgl NS-Deutschland, UdSSR, DDR, Nordkorea).


4.0 Der beste Schutz gegen religiöse Entartungen ist die Teilnahme organisierter Religion am Leben der Gemeinschaft nach gemeinsam verabredeten Regeln. In der BRD sind diese vom GG und den Religionsartikeln der WRV vorgegeben, die das GG bestätigt hat. Deren Gebrauch dient dem wichtigen Gut öffentlicher Vertrauensbildung.

4.1 Nach diesen Regeln kann es selbstverständlich auch RU für Muslime, Buddhisten,
Atheisten usw. geben. Sie müssen sich nur selbst so organisieren, dass sie für den Staat verhandlungsfähig werden. Die Forderung nach solchen Teilnahmerechten sät Misstrauen, wenn die Bringschuld der Selbstorganisation nicht wahrgenommen wird, wie das im Islam der Fall ist.

4..2 Entsprechendes gilt für das Sozialwesen, den Einzug von Mitgliedsbeiträgen analog zur Kirchensteuer, die Vertretung in Beiräten öffentlicher Körperschaften, Steuerprivilegien usw.

4.3 Die Öffentlichkeit des Gemeinwesens ist das Forum, auf dem sich Vertrauen ausbilden kann und muss. Vertrauen ist der beste Schutz verführbarer Menschen gegen abartiges religiöses Verhalten. Hier kommt den Medien eine besondere Verantwortung zu. In dieser Hinsicht muss gefragt werden, ob die Körpervollverhüllung (Burka) die Achtung vor dem Islam fördert oder eher das Misstrauen gegen ihn als unkontrollierbare Geheimreligion begünstigt.

4.4 Vor der Weltöffentlichkeit weckt der Islam Misstrauen, weil er seine eigene Erklärung der Menschenrechte der Konferenz islamischer Staaten von 1990 (Kairo) über die UNO-Menschenrechtserklärung von 1948 gestellt hat. Er hat damit Scharia-Recht über die allgemeinen Menschenrechte gestellt. Hinzu kommt: Die mörderischen Großattentate werden zwar unterschiedlich laut von einzelnen Gruppierungen kritisiert. Es fehlt aber eine Fatwa (bindender Rechtsspruch), die solche Attentäter mit dem Ausschluss aus der islamischen Gemeinschaft bedroht.

4.5 In der muslimischen Gesellschaft in Europa gibt es Männer und Frauen, die an einer Änderung des Islam im Sinne einer inneren Reform interessiert sind und sich dafür einsetzen. Oft geht es „nur“ um Frauenrechte, dann aber auch um das Recht der freien Religions(ab)wahl, um die Meinungsfreiheit und schließlich zuletzt immer um die sehr grundsätzliche Frage, ob das dominant religiös bestimmte islamische Staatsverständnis mit den Demokratievorstellungen des GG übereinstimmt. Für die nunmehr fällige öffentliche Diskussion über den Islam sind diese Vertreter des Islam die wichtigsten Gesprächspartner. Von den islamischen Verbandsvertretern werden sie unterdrückt, von den deutschen Islamverstehern missachtet. Dabei sind sie diejenigen Vertreterinnen und Vertreter des Islam, die diese Religion aus ihren Gewaltbezügen herauszulösen versuchen.


5.0 In unserer komplex gewordenen Gesellschaft gibt es zumeist keine einfachen Lösungen. So kommt häufig ein Gefühl der Überforderung zustande, selbst wenn objektive Tatsachen dieses nicht begründen können. Aber die Beschimpfung der Menschen führt nicht weiter. Differenzierungen sind nötig. Zumeist können sie sogar einsichtig gemacht werden.

5.1 Es ist unerträglich, wenn auf deutschen Straßen gegen Fremde gehetzt wird. Es ist aber ebenso unerträglich, wenn Menschen als Fremdenhasser diffamiert werden, die ihre Ängste und Besorgnisse zum Ausdruck bringen wollen, weil sie das Vertrauen in die Regelungsfähigkeit des deutschen Staates verloren haben.

5.2 Es ist unerträglich, wenn sich in Reaktion auf islamische Gewalttaten Rechtsradikale und polizeibekannte Verbrecher profilieren können und Anhänger zu gewinnen versuchen. Es ist aber ebenso unerträglich, wenn Islamversteher zwischen einem (friedlichen) Islam und einem (unfriedlichen) Islamismus unterscheiden und die Tiefendimension des islamischen Religionsproblems verschleiern, das sich in seiner Herkunft zeigt.

5.3 Es ist unerträglich, wenn Menschen ihre persönliche Verantwortung nicht wahrnehmen, sondern sie mit Demos auf den Staat abschieben wollen. Es ist aber ebenso unerträglich, wenn staatliches Handeln und politische Verantwortungsträger durch ätzende Satire der Lächerlichkeit preisgegeben werden und so das Vertrauen in die Funktionsfähigkeit des Staates beschädigt wird.

5.4 Es ist mühsam, aber unvermeidbar zu unterscheiden zwischen Menschen, die infolge von Krieg und Bürgerkrieg ihr Leben nur durch Flucht nach Europa retten können, und solchen, die aus schlimmen Armutsverhältnissen kommen und die Besserung ihrer Lebensumstände bei uns suchen. Die für Armutsflüchtlinge genutzten Kapazitäten fehlen den vom Tod bedrohten Menschen. Diese Abwägung ist gewiss schmerzhaft, aber letztlich menschenfreundlich.

5.5 Es ist mühsam, aber unvermeidbar zwischen der mentalen Aufnahmebereitschaft und den faktischen Aufnahmemöglichkeiten zu unterscheiden. Die mentale Aufnahmebereitschaft ist überraschend groß. Sie zu rühmen ist nötig. Das löst aber nicht die faktischen Probleme der Unterbringung der Menschen. Wenn bei uns so unterschieden würde, könnte und müsste auch nach den Beiträgen reicher muslimischer Ölstaaten zur Bewältigung der weltweiten Flüchtlingsströme gefragt werden. Das Vertrauen der Menschen in die Politik und in die Medien wird nicht gesteigert, wenn diese Frage weiterhin unterdrückt wird.

5.6 Es ist richtig, in der Einwanderungsfrage den hohen Bedarf des deutschen Arbeitsmarkts an gut ausgebildeten Fachkräften zu beachten. In der Anwerbung ausländischer Fachkräfte allein kann aber nicht die Problemlösung liegen. Gerade benachbarte europäische Staaten und sog. Schwellenländer bedürfen für ihre eigene Entwicklung ebenfalls dieser Menschen. Der Frage kann auch nicht länger ausgewichen werden, welche konkreten politischen Entscheidungen die Kinderfreudigkeit gehemmt haben und welche sie fördern könnten. Die Dimension dieses Problems ist so groß, dass es nicht dem Parteienstreit ausgeliefert werden darf.

5.7 Es ist richtig, aufkommenden Ängsten mit Tatsachen zu begegnen. Zu diesen Tatsachen gehören aber auch die Unterkünfte, die menschenunwürdig und direkt sichtbar sind und von den Medien breit dargestellt werden. In der Erstreaktion auf den Ansturm waren bessere Lösungen nicht möglich. Diese Tatsache mindert aber nicht die Ängste, sondern verstärkt sie sogar: Wie soll es denn langfristig weitergehen? Hat die Politik Lösungen, die über Barmherzigkeitsappelle hinausgehen?

Klaus Baschang wurde 1976 zum Oberkirchenrat der Evangelischen Landeskirche in Baden berufen, von 1991 bis 1998 war Baschang zudem ständiger Stellvertreter des Landesbischofs.


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