Religion und Politik: Ein spannungsreiches Verhältnis

20. Jänner 2015 in Kommentar


Die säkulare Welt wird durch den Islam in einer Weise herausgefordert, die ihre eigene Orientierungslosigkeit und Überzeugungsschwäche offenbart. Gastkommentar von Robert Deinhammer SJ


London (kath.net) Die gegenwärtigen Entwicklungen in Europa und auch in vielen anderen Teilen der Welt geben dringenden Anlass, etwas allgemeiner über das Verhältnis von Religion und staatlicher Politik nachzudenken. Historisch betrachtet lässt sich ein breites Spektrum beobachten: Auf der einen Seite der Skala steht die Vermischung von Religion bzw. Kirche(n) und Politik, auf der anderen eine gegenseitige Todfeindschaft und absolute Trennung. Beide Extremformen sind als totalitär zu qualifizieren. Die möglichen Mischformen scheinen auch nicht wesentlich besser zu sein.

Was wäre eine angemessene Verhältnisbestimmung von Religion und Politik? Ich stelle die These zur Diskussion, dass es statt Vermischung oder Trennung um eine unterscheidende In-Beziehung-Setzung gehen sollte. Religionen und staatliche Politik sind klar voneinander zu unterscheiden. Die Religionsgemeinschaften entfalten für das Gemeinwesen eine völlig andere Funktion als der Staat. Andererseits stehen Religion und Politik unvermeidlich in verschiedensten Beziehungen zueinander. Die Werthaltungen von Bürgern und Politikern sind häufig religiös bestimmt, was sich in Demokratien notwendig politisch auswirkt. Die christlichen Kirchen wollen etwa einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten, indem sie das Evangelium verkünden, eine Botschaft, die aus der Macht der Angst um sich selbst zu wahrer Menschlichkeit und (auch politischer) Vernunft befreien möchte.

Im Falle eines Konfliktes zwischen Religion und Politik ist aus christlicher Sicht zu sagen, dass etwa der Glaube niemals im Widerspruch zu einer ihre Autonomie wahrenden Vernunft stehen kann. Dies ist tatsächlich Lehre der katholischen Kirche, auch wenn diese Lehre durch eine vielfach unzureichende Glaubensverkündigung und Moralbegründung konterkariert wurde und wird. Jedenfalls gilt: Wirklicher Glaube fordert und fördert eine möglichst kritische Vernunft, damit er sich vom Aberglauben unterscheiden kann.

Der säkulare Staat sollte gegenüber allen Religionen in dem Sinne ein unparteiliches Verhältnis an den Tag legen, als es nicht Aufgabe des Staates sein kann, über die Wahrheit der Religionen zu entscheiden. Es ist jedoch die Aufgabe des säkularen Staates, wirksam für Religionsfrieden und die Einhaltung der Rechts- und Verfassungsordnung zu sorgen, notfalls mit rechtlich geregelter Gewalt. Das Gewaltmonopol muss beim Staat liegen, dadurch ist er geradezu definiert.

Die gegenwärtigen Debatten rund um das Verhältnis von Religion und Politik leiden unter Begriffsverwirrung und Undifferenziertheit. Zwei Problemkreise scheinen von besonderer Relevanz zu sein: Wie können die moralischen Grundlagen unserer westlichen Gesellschaften überzeugend begründet werden? Die säkulare Welt wird durch den Islam in einer Weise herausgefordert, die ihre eigene Orientierungslosigkeit und Überzeugungsschwäche offenbart. Mit einem moralischen Relativismus lässt sich jedenfalls keine verantwortliche Politik machen.

Auf der anderen Seite wäre es dringend notwendig, in einen Dialog der Religionen und Weltanschauungen einzutreten, der auch die Wahrheitsfrage nicht ausklammert. Mit welchem Recht behaupten eigentlich Christen oder Muslime, dass zum Beispiel die Bibel oder der Koran Ausdruck einer göttlichen Offenbarung sei? In welchem genauen Verhältnis steht der Wahrheitsanspruch des Christentums zum Wahrheitsanspruch des Islams oder zum Wahrheitsanspruch des Atheismus?

Ein Dialog ohne die Wahrheitsfrage scheint eine müßige Veranstaltung zu sein. Und sachliche Kritik dient, von wem auch immer sie vorgetragen wird, der Wahrheitssuche.

Es ist an der Zeit, die wirklich wesentlichen Fragen anzugehen, sachlich, ernsthaft und in der Haltung gegenseitigen Respekts.

Fr. DDr. Robert Deinhammer SJ, geb. 21. 2. 1977 in Salzburg, Mitglied der "Gesellschaft Jesu" seit 2008, Philosoph und Jurist, Lehr- und Forschungstätigkeit an der Universität Salzburg und der Universität Innsbruck, Tätigkeiten im Rahmen der Priesterausbildung (Canisianum), derzeit Studium am Heythrop College, University of London


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