Sollten Gemeinden Kirchenasyl anbieten?

18. Februar 2015 in Kommentar


Pro und Kontra: Mehr als 350 Flüchtlinge genießen in Deutschland Kirchenasyl. Das ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zu viel.


Berlin (kath.net/idea) Mehr als 350 Flüchtlinge genießen in Deutschland Kirchenasyl. Das ist Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) zu viel. Er kritisierte, dass sich Kirchen damit eigenmächtig über bestehende Gesetze hinwegsetzten. Beim Kirchenasyl nehmen Gemeinden Asylbewerber auf, um ihre Abschiebung zu verhindern und eine Wiederaufnahme ihres Verfahrens zu erreichen.

PRO
Kirchenasyl ist in unserem Land vielfach erfolgreich. In mehr als 80 Prozent der Fälle, die aufgrund dieses Asyls neu verhandelt wurden, wurde im zweiten Anlauf zugunsten der Flüchtlinge entschieden. Das Kirchenasyl dient dazu, eine falsche Gerichtsentscheidung zu korrigieren und Menschen zu retten. Darauf hoffen auch wir im Weigle-Haus in Essen.

Seit Juli 2014 lebt ein iranisches Ehepaar bei uns, das mit anderen Christen zu einer geheimen Hauskirche in Teheran gehörte und auch politisch in der Opposition aktiv war. Nachdem der Mann inhaftiert und später freigekauft worden war, flohen die beiden. Sie landeten zunächst in Schweden und freuten sich, ihren Glauben endlich offen bekennen zu können. Schweden aber lehnte ihr Asylbegehren ab. Um der lebensgefährlichen Abschiebung in den Iran zu entgehen, flohen sie weiter nach Deutschland. Aber auch hier will man sie abschieben, zunächst nach Schweden (entsprechend der europäischen Dublin-III-Verordnung), dann in den Iran. Als religiös und politisch Verfolgte droht ihnen dort Gefahr für Leib und Leben. Deshalb sind sie jetzt im Weigle-Haus.

Kirchengemeinden gewähren Kirchenasyl, weil sie durch Gottes Wort berufen sind, Flüchtlingen zu helfen (3. Mose 19,33 + 34 u.a.). In diesem Sinne helfen wir dem Rechtsstaat, Gerechtigkeit zu üben. Wenn das Recht aber erlaubt, Flüchtlinge unmenschlich zu behandeln, indem man sie dorthin zurückschickt, wo sie verfolgt werden, müssen Christen „Gott mehr gehorchen als den Menschen” (Apostelgeschichte 5,29).

In vielen Ländern weltweit erleben Christen derzeit, was Verfolgung bedeutet. Das Engagement dagegen kann auch bedeuten, Verfolgte vor der Abschiebung zu schützen, selbst wenn das nur mit zivilem Ungehorsam möglich ist.

Der Autor, Pfarrer Rolf Zwick, ist Vorsitzender der Micha-Initiative Deutschland und Leiter des evangelischen Jugendzentrums Weigle-Haus in Essen.

KONTRA
In der früheren DDR war die Evangelische Kirche die einzig relevante Opposition. Nirgendwo sonst konnte ohne Hierarchie offen und frei von Angst kritisch über gesellschaftliche Probleme, den Staat und die Regierenden gesprochen werden. Im östlichen Teil Deutschland gab es weder Demokratie noch Rechtsstaatlichkeit. Hier herrschte nach dem Selbstverständnis des Marxismus/Leninismus eine „Diktatur des Proletariats“; ausgeführt von der kommunistischen Partei SED, die sich nach mehreren Umbenennungen heute „Die Linke“ nennt.

Manchmal müssen sich Christen die Freiheit nehmen, Dinge zu sagen und zu tun, die sich sonst keiner traut. Das kann sogar in einem freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat wie der Bundesrepublik Deutschland einmal nötig sein.

Aber das sind absolute Ausnahmen. Da, wo in ganz besonderen Fällen Kindern, Frauen und Männern aus fremden Ländern bei uns großes Unrecht droht. Das hat mit gesetzlichen Regelungen zu tun, die nie ganz und voll befriedigend jeden Einzelfall erfassen können.

Wenn allerdings Kirchenvertreter meinen, Widerstand gegen geltendes Recht leisten zu müssen, und deshalb Kirchenasyl gewähren, dann sind sie im Unrecht! Ihnen steht wie jedem anderen im vereinigten Deutschland der Weg in die Parlamente offen. Dort müssen die demokratischen Mehrheiten organisiert werden, die den eigenen Vorstellungen entsprechen. Schnell stellt sich heraus: Mit moralischer Intension kann Einzelnen geholfen werden, gute Politik aber braucht weitsichtige Vernunft! Der Gesetzgeber nimmt globale Verantwortung wahr und darf nicht nur den Einzelnen sehen. Wer genug Geld hatte, um nach Deutschland zu kommen, oder wer am lautesten schreien kann, ist selten der Bedürftigste.

Der Autor, Günter Nooke (CDU/Berlin), ist Persönlicher Beauftragter der Bundeskanzlerin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ).


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