«Ich bin entsetzt, wie sich das Land verändert hat»

4. März 2015 in Interview


ARD-Korrespondentin Ina Ruck zur aktuellen Lage in Russland. Von Christoph Arens (KNA)


Köln (kath.net/KNA) Beim diesjährigen Grimme-Preis erhält die WDR-Korrespondentin Ina Ruck eine «Besondere Ehrung» für ihre unabhängige und hochwertige Auslands- und Krisenberichterstattung aus Russland und der Ukraine. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) äußert sich die langjährige Russland-Korrespondentin und frühere Leiterin des ARD-Studios Moskau zur Stimmung in Russland und zu den Bedingungen ihrer Arbeit.

KNA: Frau Ruck, wie empfinden Sie die Stimmung in Russland derzeit?

Ruck: Ich bin entsetzt, wie sich das Land verändert hat. Russland ist schließlich auch so etwas wie meine Heimat, ich habe fast 15 Jahre dort verbracht. Eigentlich bin ich auch eine Russlandversteherin und fühle mich verletzt, wenn jemand das Land pauschal angreift. Aber derzeit entwickelt sich Russland in eine Richtung, die wohl keiner vorhergesehen hat.

KNA: Was meinen Sie konkret?

Ruck: Man kann ja vielleicht darüber streiten, was die Politik Russlands in der Ost-Ukraine oder auf der Krim angeht. Aber der Hass, der derzeit geschürt wird, vergiftet die ganze Gesellschaft. Ich selber habe Freunde verloren, die sich plötzlich misstrauisch von mir abwandten. Aus deren Sicht sind wir westlichen Journalisten mittlerweile alle Spione, werden instrumentalisiert von den USA und wollen mit unseren Lügen Russland schaden.

KNA: Mit welchen Mitteln schafft die russische Regierung ein solches Klima?

Ruck: Da läuft eine unglaubliche Propagandamaschinerie ab. Putin hat offenbar sehr fähige Kommunikationsberater und Propagandisten, die das Internet und die sozialen Medien geschickt nutzen, um Feindbilder aufzubauen. Die Geheimdienste streuen verwirrende und falsche Informationen. Die Russen informieren sich vor allem durch das Fernsehen. Alle TV-Sender aber gehören dem Staat; kritische Töne gibt es nicht. Nehmen Sie beispielsweise die über der Ost-Ukraine abgeschossene Passagiermaschine MH 17: Es gibt zwar keine hundertprozentigen Beweise, aber eine klare, plausible Theorie über die Schuldigen an dem Abschuss. Die aber wird in keinem russischen Medium genannt. Stattdessen werden so viele Theorien gestreut, dass man am Ende nichts mehr glaubt. Auch bei uns im Westen ist Russland sehr aktiv. Etwa durch den im Internet empfangbaren und sehr cool gemachten Sender Russia Today, der insbesondere junge Russlanddeutsche beeinflusst.

KNA: Werden Sie bedroht?

Ruck: Es gibt immer wieder Drohmails gegen die westlichen Korrespondenten. Viele sind offenbar zentral gesteuert, ähneln sich im Inhalt, manche sind in schlechtem Deutsch geschrieben. Es gibt auch Programmbeschwerden. Berichterstattung unter Kriegsbedingungen ist immer sehr schwierig, da kann auch mal ein Fehler passieren. Das wird dann in der russischen Presse aufgebauscht und als Beweis dafür genommen, dass die westlichen Sender lügen.

KNA: Was bedeutet die Ermordung des Oppositionspolitikers Boris Nemzow für das Klima in Russland?

Ruck: Das ist ein fatales Signal; eine Schleuse wurde geöffnet. Jetzt ist die Jagd auf die Opposition in Russland freigegeben. Schon vor dem Mord gab es in Moskau fingierte Demonstrationen gegen führende Köpfe der Opposition. Auf Plakaten wurden sie als Verräter bezeichnet; ihre Bestrafung wurde gefordert. Auf der Trauerfeier für Nemzow wurde eine der führenden Oppositionellen von einem Unbekannten handfest bedroht: Sie sind die Nächste.

KNA: Würden Sie sagen, dass Putin dahinter steckt?

Ruck: Ob der Staat Morde in Auftrag gibt, kann ich nicht sagen. Ich bin auch gegen eine Dämonisierung von Putin. Er ist sicher eine wichtige Figur, aber auch nur Teil eines Systems von Leuten, die das Land zu ihrem eigenen Vorteil ausplündern und versuchen, ihr Überleben zu sichern. Nur schwer vorstellbar ist aber, dass die Geheimdienste nichts vom geplanten Mord an Nemzow gewusst haben. Die Stelle, an der er erschossen wurde, ist eine der am besten überwachten Orte Moskaus. Wenn man als Journalist dort seine Kamera aufbaut oder als Tourist irgendetwas ungewöhnliches tut, sind innerhalb von 30 Sekunden Sicherheitskräfte vor Ort. Wie kann es da sein, dass es nach dem Mord an Nemzow 12 Minuten gedauert hat, bis die Polizei da war. Oppositionelle wie Nemzow werden zudem dauerhaft beschattet und überwacht.

KNA: Das alles klingt sehr düster. Sehen Sie keinen Hoffnungsschimmer für die Entwicklung Russlands?

Ruck: Ich fürchte, dass der Hass, der derzeit geweckt wird, erst ganz langsam wieder verschwindet. Meine größte Hoffnung sind die Menschen, die jetzt an der Trauerfeier teilgenommen haben. Man geht ja davon aus, dass etwa 20 Prozent der russischen Bevölkerung anders denken. Der Mord an Nemzow hat darüber hinaus viele entsetzt und kann vielleicht bei manchen zu einem Umdenken führen.

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