Hat Gott seine Haltung zur Gewalt geändert?

26. März 2015 in Kommentar


Zwei evangelische Theologen diskutieren Pro & Kontra zu der Frage, ob auch die Bibel zu Gewalt aufrufe


Wetzlar (kath.net/idea) In der Diskussionsrunde „Menschen bei Maischberger“ in der ARD (10. März) meinte die Grünen-Politikerin Renate Künast, auch die Bibel rufe zur Gewalt auf. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Spahn hielt ihr entgegen, dass Entsprechendes im Alten Testament stünde, das Neue Testament aber einen anderen Schwerpunkt habe. Hat Gott sich demnach geändert?

PRO
Man könnte schnell als Ketzer erscheinen, wenn man diese Frage bejaht. Hat nicht die Kirche durch Generationen hinaus immer wieder die Unveränderlichkeit Gottes betont? Sicher, aber gerade die Lehre von der Unveränderlichkeit Gottes hat die Kirche Jesu geradezu erstarren lassen. Der reformierte Theologe Emil Brunner (1889–1966) resümiert: „Wer die Geschichte der Lehre von den Eigenschaften Gottes überblickt, kann nicht genug staunen über die völlige Ahnungslosigkeit, mit der sich die Theologen die Postulate der philosophischen Absolutheitsspekulationen zu eigen gemacht haben und über das Maß der Verwüstung, das dadurch im Bereich der christlichen Gotteslehre angerichtet worden ist.“

In seinem Wesen ändert Gott sich nicht. Er bleibt sich treu, auch wenn wir untreu sind (2. Timotheus 2,13).

Aber in seinen Wegen und seinen Absichten, da zeigt sich Gott erstaunlich beweglich. Er schafft nicht nur einen Bund mit Adam, Noah, Abraham oder Mose, sondern eben auch einen neuen Bund.

Ruft er im Alten Testament auch zu Kriegen auf, fordert er im Neuen vor allem Feindesliebe.

Er zeigt sich gänzlich in Christus, der das Ebenbild seines Wesens ist (Hebräer 1,3). Er lässt sich durch Gebete bewegen und „ändert seinen Sinn“ (Genesis 32,14).

Wir haben es mit einem Gott zu tun, der Neues wirken kann und will (Jesaja 43,18–19). Wäre Gott nicht nur seinem Wesen treu, sprich unveränderlich, sondern auch in seinen Wegen und Absichten, so stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit unserer Bittgebete. Es ist Gottes Treue, die neue Wege und Horizonte erschließt, auch für die Gemeinde Christi. So dürfen wir eine radikale Erneuerung seiner Gemeinde erbitten und erwarten.

Wer mit diesem Gott zu tun hat, muss sich auf Veränderungen einstellen. Glauben wir doch nicht, dass wir des Herrn „letzter Hit“ sind! Er ist in seiner Treue vielfach veränderlicher als wir.

Der Autor, Heinrich Christian Rust, ist Pastor der mit über 1.000 Mitgliedern größten Baptistengemeinde Deutschlands, der Friedenskirche in Braunschweig.

KONTRA
1. Christen können sich nicht auf Jesus berufen und sich gleichzeitig vom Alten Testament distanzieren. Altes und Neues Testament sind die eine christliche Bibel.

2. „Ich, der Herr, wandle mich nicht“ (Maleachi 3,6). Das schließt nicht aus, dass Gottes Wille in der Geschichte seiner Offenbarung eine Verdeutlichung erfährt (Hebräer 1,2).

3. „Ich will Frieden geben in eurem Land“ (3. Mose 26,6) ist Gottes Verheißung von Anfang an. Die ganze Bibel bezeugt den Friedenswillen Gottes. Zunehmend deutlich wird der Ruf zur Überwindung aller Gewalt, wie Jesus ihn verkündigt (Matthäus 5,39) und vorgelebt hat (Matthäus 26,52).

4. Zugleich gilt, dass der Schutz der Schwachen im äußersten Notfall nur durch Gewalt gewährleistet werden kann. Legitime Staatsmacht „trägt ihr Schwert nicht umsonst“ (Römer 13,4). Als Richter ist Gott Retter der Unterdrückten.

5. „Gott hat Ross und Mann ins Meer gestürzt“ (Exodus 15,21). Der Daseinserhalt des Volkes Israel ist teilweise mit massiver Gewalt (Gottes oder im Namen Gottes) verbunden. In einer gewalttätigen und unversöhnlichen Welt kann Gottes Wille nicht unabhängig von den Lebensbedingungen der jeweiligen Zeit offenbar werden.

6. In der Christentumsgeschichte galt Gewaltlosigkeit oft nur für den Einzelnen als anstrebenswert. Unter Berufung auf die Idee des gerechten Krieges haben christliche Staatsführer ihre Waffengänge religiös begründet. Erst in jüngerer Zeit wurde durch Vorbilder wie Martin Luther King Überwindung der Gewalt als Leitlinie des politischen Handeln entdeckt.

7. Christen glauben an die Einzigartigkeit Jesu Christi. Die Geschichte des Christentums gibt keinen Anlass, sich unter Berufung auf Christus über Angehörige anderer Weltreligionen zu erheben.

Der Autor, Thorsten Dietz, ist Professor für Systematische Theologie an der Evangelischen Hochschule Tabor (Marburg).


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