Die Rückkehr des katholischen Antimodernismus

22. Juni 2015 in Weltkirche


R.R. Reno, der Herausgeber des Magazins First Things interpretiert die Enzyklika „Laudato Si“ als fundamentale Kritik von Papst Franziskus an der Moderne.


New York City (kath.net/jg)
Die Enzyklika „Laudato Si“ von Papst Franziskus sei vielleicht das päpstliche Rundschreiben, das die Moderne am schärfsten kritisiere, seit Papst Pius IX. 1864 seinen „Syllabus errorum“ (dt. „Sammlung von Irrtümern) veröffentlicht habe. Der Papst bringe eine antiwissenschaftliche, antitechnische und antifortschrittliche Gesinnung zum Ausdruck, schreibt R.R. Reno, der Herausgeber des Magazins First Things.

Die Wurzel des Problems liege darin Gott nicht als Schöpfer zu achten. Weil wir uns nicht an ihm orientieren würden wir die Welt in erster Linie als technologisches Projekt wahrnehmen. Wir würden versuchen, die Welt zu unterwerfen und zu beherrschen, damit sie unsere Bedürfnissen und Wünsche erfülle. Würden wir hingegen Gott als Schöpfer anerkennen, könnten wir die Schöpfung als Geschenk sehen und erkennen, dass das letzte Ziel der anderen Geschöpfe nicht in uns liege. Ohne die theozentrische Orientierung würden wir der anthropozentrischen Annahme verfallen, dass wir Menschen der Mittelpunkt der Wirklichkeit wären.

Die wissenschaftlich-technische Kultur sei ein wesentliches Merkmal der Moderne. Papst Franziskus sehe sie als Teil des Problems. Die moderne Wissenschaft sei „eine Technik des Besitzens, des Beherrschens und des Umgestaltens“ (LS 106). Unter Fortschritt habe man in den letzten zweihundert Jahren in erster Linie technischen Fortschritt verstanden. Dieser habe zwar nützliche Innovationen hervorgebracht habe, doch neige „die Technik dazu, zu versuchen, dass nichts außerhalb ihrer harten Logik bleibt“. (LS 108) Der Technik gehe es nicht um Wohlfahrt, sondern um „Herrschaft im äußersten Sinn des Wortes“. (LS 108)

Neben Wissenschaft und Technik kritisiere Franziskus weitere Aspekte der modernen Kultur. Wiederholt missbillige er die ökonomische Globalisierung und das Finanzwesen, ebenso die Zerstörung der Natur. Das post-industrielle Zeitalter werde „vielleicht als eine der verantwortungslosesten der Geschichte in Erinnerung bleiben“ (LS 165) zitiert Reno die Enzyklika.

Ein weiterer Zug der Moderne sei das politische Engagement für „Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit“. Der Papst gehe auch damit ins Gericht. Der Westen sei habgierig und konsumiere einen Großteil der weltweiten Ressourcen. Die gegenwärtige Welt, die ein Produkt der europäischen und amerikanischen Moderne sei, zerstöre die Umwelt, unterdrücke die Mehrheit und mache uns blind für die Schönheit der Schöpfung.

Seit dem II. Vatikanischen Konzil habe die Kirche eine versöhnliche Haltung zur westlichen Moderne eingenommen. Papst Franziskus hingegen sehe keine Auswege aus der Krise mit Hilfe moderner Ansätze. Die Enzyklika sei ein „Schrei des Herzens, eine pessimistische Reflexion der systemischen Übel der Moderne“, schreibt Reno wörtlich. Die einzig mögliche Antwort sehe Franziskus in der Reue, einer „tiefgreifenden inneren Umkehr“ (LS 217), einer „mutigen kulturellen Revolution“ (LS 114).

Doch auch die Moderne habe sich geändert. Die heutigen Progressiven stünden der westlichen Kultur oft kritisch gegenüber. Der Fortschrittsoptimismus früherer Jahre sei vorbei, weshalb die Enzyklika im Westen durchaus freundlich aufgenommen werde, und zwar ohne die Parallelen zu Pius IX. zu bemerken, schreibt Reno.


Russell Ronald „R.R.“ Reno war Mitglied der Episkopalkirche der USA und unterrichtete bis 2010 an der römisch-katholischen Creighton University in Omaha (Nebraska), die vom Jesuitenorden betrieben wird. 2004 wurde er in die römisch-katholische Kirche aufgenommen.



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