'Bildwerdung' des Glaubens – Über Kirche und Kunst

24. Juni 2015 in Kommentar


Welchen „Schönheitsbegriff“ hat die Kirche, welche Schönheit in Kunst und Kultur fördert sie heute? Veranstaltung in Bonn ging u.a. auch auf die geplante Erneuerung der Hedwigskathedrale in Berlin ein. Von Georg Dietlein


Bonn (kath.net/gd) Wird Deutschland immer hässlicher? – Unter dieser provokanten Überschrift luden das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg und die Initiative „Pontifex“ zu einer Soiree nach Bonn ein. Dabei warfen die Veranstalter zahlreiche Fragen über das Verhältnis von Kirche und Kunst der Gegenwart auf: Welchen „Schönheitsbegriff“ hat die Kirche, welche Schönheit in Kunst und Kultur fördert sie heute? Darf Liturgie noch feierlich gestaltet werden, darf sie noch „schön“ sein – ohne gleich pauschal unter den Verdacht von Ästhetizismus zu fallen? Will Kunst heute überhaupt noch schön sein oder eher durch schrille oder elitäre Exzentrik auffallen? Hat Kunst noch eine Botschaft? Ist Kunst noch verständlich? Was ist das eigentlich: „Kunst“, „Schönheit“? Wie viel Schönheit können und wollen wir uns als Gesellschaft und in der Kirche noch leisten? Und: Gibt es nicht auch eine „Häresie der Formlosigkeit“ (Martin Mosebach) bzw. der Kunstlosigkeit?

P. Winfried Schwab, Kulturbeauftragter im Museum für Gegenwartskunst des Benediktinerstifts Admont, sprach über die Sinnrichtung von Kunst in der Kirche: Die Aufgabe kirchlicher Kunst war es immer, eine tieferliegende Botschaft mitzuteilen. Kunst sei gleichsam Bildwerdung dessen, was wir glauben. Sie illustriert und veranschaulicht den Glauben der Kirche. Dabei betonte er die Problematik, die sich im Verständnis einer barocken Bildersprache für den heutigen Betrachter stellt. Auch wenn es für ältere Generationen noch relativ gängig ist, die marianischen Farben oder die Symbolik der Heiligen zu erkennen, ist dies für die immer kleiner werdende Gruppe von christlich sozialisierten Menschen immer weniger der Fall. Und auch kirchlich und kunsthistorisch gebildete Menschen können heute etwa die Darstellung des Leidens oder der Marter vergangener Zeiten nicht mehr in gleicher Weise nachvollziehen wie die Zeitgenossen selbst, da sich das Empfinden und die alltägliche Bildsprache der Gegenwart davon weitgehend unterscheidet. Es scheint daher eine missionarische Aufgabe zu sein, die heutige Ausdrucksweise, die sich in der zeitgenössischen Kunst wiederfindet, auch für die Kirche und die Verkündigung zu nutzen. Dabei geht es nicht einfach darum, Sakralräume mit moderner Kunst anzufüllen. Vielmehr soll die Kirche ihre jahrhundertealte Tradition der Kunstförderung wieder aufnehmen, um durch die Kunst der Gegenwart die Menschen dazu anzuregen, sich wieder grundsätzliche Fragen des Lebens neu zu stellen.

Johannes Deutsch, Medienkünstler in Wien, stellte die Unschärfe der Terminologie von Schönheit und Hässlichkeit heraus. Als nichtchristlicher Künstler betrachtet er die Welt und vor allem die Schönheit aus einer vollkommen anderen Perspektive. In der aktuellen künstlerischen Debatte spielt die Schönheit als Kategorie nur eine untergeordnete Rolle. Auch sei Schönheit in unserer Gesellschaft heute nicht unbedingt in der Kunst zu suchen. In unserer Demokratie, in der von allen gemeinsam entschieden wird, worin investiert wird, spielen der ästhetische und nützliche Wert von Gegenständen wie Autos, Handtaschen oder Smartphones eine wesentlich wichtigere Rolle und verlagern so die Relevanz von Schönheit aus der Kunst in andere Lebensbereiche. Die Möglichkeit der Mitsprache von vielen sei zwar nicht immer zum Vorteil der Kunst oder der Künstler – wie er selbst bei einem öffentlichen Bauprojekt schon erfahren musste –, das demokratische Prinzip sei jedoch ein so wertvoller Teil unserer Gesellschaft, dass dies verkraftet werde müsse, so Johannes Deutsch.

Prof. Dr. Peter Stephan, Professor für Architekturtheorie an der FH Potsdam, sprach unter dem Titel „Die Suche nach der verlorenen Schönheit“ über die geplante Erneuerung der Hedwigskathedrale in Berlin. Sowohl der jetzige als auch der geplante Bau habe seine Vor- und Nachteile. Wichtig sei es, sich an gewissen Leitlinien einer sakralen Architektur zu orientieren. Solche Leitlinien könnten etwa sein: Die Liturgie passt sich nicht der Architektur an. Vielmehr dient die Architektur der Liturgie. Ein Kirchengebäude dürfe daher auch nicht zu einem modernen Profanraum verkommen. Vielmehr müsse eine Kirche als Sakralraum erkennbar sein, der mit sakraler Semiotik ausgekleidet ist. Die Architektur müsse (in verständlicher Zeichensprache) das abbilden und ausdrücken, was die Kirche in der Liturgie feiert, nämlich nicht die Liturgie der Welt, sondern die Liturgie des Himmels. Anhand eines von ihm mitgeplanten Entwurfs der Hedwigskathedrale machte er deutlich, wie moderne Architektur, aufbauend auf der ursprünglichen architektonischen Grundidee, aus einem Sakralbau nicht einfach durch eine Rekonstruktion, sondern durch die Einbeziehung der in der Geschichte des Baus veränderten Elemente und neuer, innovativer Ideen einen Kirchenbau als Kunstwerk und Ort der Liturgie bereichern kann.

Kunst und Schönheit berühren das Herz des Menschen und können so auch einen Zugang zum Glauben schaffen, so der Potsdamer Architekturprofessor, während kalte Architektur den Menschen kalt lasse. Sakrale Architektur darf sich nicht einfach einem „modernen Kunststil“ oder einer neuen Anthropozentrik anbiedern, bei der letztlich der Mensch im Mittelpunkt stehe. Vielmehr müsse es darum gehen, Glaube, Tugend und Kunst wieder in Einklang zu bringen. Das Schöne, Wahre und Gute – also letztlich Gott selbst – bilden keinen inneren Widerspruch, sondern eine Einheit.

Die anschließende Diskussion zeigte, welche Differenzen zwischen dem klar definierten christlichen Schönheitsbegriff auf der einen Seite und dem recht undefinierten, eher „demokratischen“ Verständnis von Schönheit auf der Seite der zeitgenössischen Kunst liegen. Im Laufe der regen Debatte zeigte sich, dass sich doch in der Intention beider Perspektiven Parallelen ergeben, die vor allem darin liegen, die Menschen aufzurütteln, sie zu aktivieren, wieder Fragen zu stellen nach dem Warum, dem Woher und dem Wohin. Diese Parallele als Möglichkeit für die Kirche und die Gesellschaft zu ergreifen und daraus einen neuen, subtilen und ehrlichen Weg der Evangelisierung zu schaffen, könnte Aufgabe der Kirche in den nächsten Jahren sein.

Kathedrale Saint-Étienne, Metz/Frankreich, Blick vom Chorraum nach Westen in das Kirchenschiff


Foto (c) kath.net/Petra Lorleberg


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