Griechen-Referendum: Bischof beklagt Verunsicherung, Verzweiflung

4. Juli 2015 in Aktuelles


Athener Erzbischof Hieronymos und Metropolit Anthimos von Thessaloniki für Pro-Europa-Kurs - Aufruf zu nationaler Einheit.


Athen (kath.net/ KAP)
Von einer "tiefen Verunsicherung" und Verzweiflung unter Griechenlands Bevölkerung angesichts des bevorstehenden Referendums am Sonntag hat der katholische Erzbischof von Athen am Freitag in Radio Vatikan berichtet: "Die Leute verstehen nicht genug, sie wissen nicht, was sie wählen sollen", so Erzbischof Sevastianos Rossolatos. Das schlimmste sei, dass derzeit niemand wisse, was ab Montag geschehe. Regierungschef Alexis Tsipras habe zwar angekündigt, am Tag des Referendums über die Annahme der Gläubiger-Vorschläge in Brüssel eine Vereinbarung zu unterzeichnen. Welche das sei, sei aber unbekannt.

Die derzeitigen Aufrufe in Griechenland seien höchst widersprüchlich: "Das Staatsfernsehen versucht uns zu überzeugen, Nein zu wählen, so wie die Regierung das will. Alle anderen Fernsehstationen aber geben zu verstehen, dass ein Austritt aus dem Euro wirklich die Zerstörung der Wirtschaft bedeuten würde", berichtete Rossolatos.

Die Unternehmer würden einen "Aufstand" machen, da eine Wirtschaftserholung außerhalb des Euros nur mit großer Mühe und über Jahre zu erwarten sei. Selbst die Bürgermeister Athens und Thessalonikis würden offen im Fernsehen für ein "Ja" - und somit für den Verbleib in der Eurozone - werben.

Derzeit spielten sich dramatische Szenen in Griechenland ab, so der Erzbischof: "Pensionisten stehen lange Schlangen vor dem Banken, um die erlaubten 60 Euro pro Tag abzuheben, manche kollabieren aufgrund der Hitze oder stehen nachts auf, um um drei Uhr morgens die ersten in der Schlange zu sein." Selbst Diözesen und Pfarren könnten ihre Angestellten ohne den Zugriff auf die Bankengelder nicht bezahlen. Angesichts der "vollkommenen Unsicherheit" sei dies "eine verzweifelte Lage".

Metropoliten für Verbleib bei Europa

Indes steigen die Zweifel an der Sinnhaftigkeit des von Ministerpräsident Alexis Tsipras kurzfristig aus dem Hut gezauberten Referendums, über dessen Rechtmäßigkeit der griechische Staatsrat am Freitag entscheiden wollte. Kritik gab es auch in der orthodoxen Landeskirche, etwa durch den Thesssalonikischen Metropolit Anthimos (Roussas): "Stimmt ab, wie immer ihr wollt, aber diesmal habe auch ich das Recht, ein Bekenntnis abzulegen: Ich werde für Europa votieren", so seine Erklärung bei einem Gottesdienst. Laut "Orthodox News" hätten einige Gläubige geklatscht, andere "nein, nein" gerufen.

Große Aufmerksamkeit erhielt zudem ein spontanes 45-Minuten-Gespräch zwischen Staatspräsident Prokopios Pavlopoulos und dem Oberhaupt der Kirche von Griechenland, Erzbischof Hieronymos (Liapis) auf dem Athener Areopag nach der abendlichen Liturgie zu den Peter und Paul-Feiern. Im Mittelpunkt des Gesprächs war der umfangreiche humanitäre Einsatz der orthodoxen Kirche von Griechenland gestanden, die seit Beginn der Finanzkrise versucht, in vielfältiger Weise die Not der an den Rand gedrängten Bevölkerungsschichten zu lindern.

Erzbischof Hieronymos rief dabei die Griechen zur nationalen Einheit und zum Verbleib bei der "gemeinsamen europäischen Familie" auf. Er warnte vor dem "Gift der Spaltung", das die Seelen des Landes infiltrieren würde und ein "Verbrechen an den künftigen Generationen" sei.

Der Heilige Synod der Kirche von Griechenland hatte zuletzt vor wenigen Tagen an die "führenden Persönlichkeiten" der Europäischen Union appelliert, einen Kompromiss mit der griechischen Regierung zu finden.

Wörtlich hieß es in dem offenen Brief des Heiligen Synods: "Mit vertiefter Verantwortung angesichts des Leidens des griechischen Volkes und in Sorge über die Zukunft des Landes bittet der Heilige Synod die führenden Persönlichkeiten der Europäischen Union, einmal mehr Verständnis und Solidarität zu zeigen, damit eine gegenseitig akzeptable Lösung für Griechenlands ökonomische Probleme gefunden werden kann". Die Bischöfe seien überzeugt, dass im Vertrauen auf Christus eine solche Lösung möglich sei.

Unterschiedliche Tendenzen in der Kirche

In einem Kommentar der "Orthodox News" vom Mittwoch wird darauf verwiesen, dass die orthodoxe Kirche von Griechenland in der jüngsten Geschichte bereits mehrmals die schwierige Aufgabe der nationalen Versöhnung wahrgenommen habe. Im Zweiten Weltkrieg - während der deutschen und italienischen Besatzung - und unmittelbar danach während des bis 1949 dauernden Bürgerkriegs war Erzbischof Damaskinos von Athen der einzige Repräsentant der Legitimität. Nach 1949 war es ein wesentliches Verdienst der Kirche, dass es in den Dörfern und Städten trotz der schweren Wunden des Bürgerkriegs schrittweise zu einer Aussöhnung zwischen "Linken" und "Rechten" kam.

Heute sei die Situation dadurch belastet, dass Griechenland einen unverhältnismäßig hohen Anteil von Flüchtlingen und Migranten aufnehmen musste, so "Orthodox News". Innerhalb der Kirche gebe es zwei Tendenzen: Eine ausländerfeindliche Richtung und eine Strömung, die sich gegen jeden Chauvinismus wende und den hart mit der Krise ringenden Griechen nahe bringe, dass auch die Migranten Respekt und Mitleid verdienen.

So habe bei der abendlichen Liturgie auf dem Areopag der Jugendseelsorger der Erzeparchie Athen, P. Symeon Venezianos, den Rassismus angeklagt und ihn ein "extrem verstörendes Phänomen der Gegenwart" genannt. Die christliche Antwort darauf sei in den Worten des Heiligen Paulus an die Athener zu finden, dass Gott alle Nationen "aus einem Blut" geschaffen habe.

Papst betet für Griechen

In einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung von Vatikansprecher P. Federico Lombardi hieß es, Papst Franziskus habe den Wunsch, "seine Nähe zum ganzen hellenischen Volk spüren zu lassen - mit einem besonderen Gedanken an die vielen Familien, die von einer so komplexen und leidvollen menschlichen und sozialen Krise schwer betroffen sind. Die Würde der menschlichen Person müsse im Zentrum aller politischen und technischen Debatten bleiben, wie auch bei der Übernahme verantwortlicher Entscheidungen. Papst Franziskus lädt alle Gläubigen ein, sich im Gebet für das Wohl des geliebten griechischen Volkes zu vereinen".

Bei der mit der Griechenland-Krise vergleichbaren Argentinien-Krise 1998-2000 hatte Jorge Bergoglio, damals als Erzbischof betont: "Jeder in unserem Volk hat ein Recht darauf, dass seine Würde respektiert und nicht mit Füßen getreten wird. Die Würde einer Frau, eines Mannes, eines Kindes, eines alten Menschen mit Füßen zu treten, ist eine schwerwiegende Sünde, die zum Himmel schreit."

Kurz nach Amtsantritt der Regierung Tsipras in Athen hatte der Papst im Vatikan die Bischöfe Griechenlands empfangen. An dem Redetext, den er ihnen überreichte, fiel auf, dass scharfen Töne fehlten. Stattdessen stellte er fest, dass Griechenland "in diesem Augenblick mehr denn je den Dialog zwischen seinen verschiedenen politischen und kulturellen Komponenten braucht, um das Gemeinwohl zu schützen und zu fördern". Franziskus bat die Besucher aus Griechenland, nicht müde zu werden, "angesichts der anhaltenden Wirtschafts- und Finanzkrise, die euer Land besonders hart getroffen hat, alle zum Vertrauen in die Zukunft zu ermahnen und der sogenannten 'Kultur des Pessimismus' entgegenzuwirken".

Italiens Kirche: Nicht nur Sorge um griechische Banken

Die Europäer sollten sich nach Ansicht der Italienischen Bischofskonferenz (CEI) in der Griechenlandkrise nicht nur um Zahlen und Banken, sondern vor allem um die Menschen kümmern. Man müsse das Bewusstsein dafür zurückgewinnen, dass der Mensch stets im Mittelpunkt alles gesellschaftlichen Handeln stehe, sagte der CEI-Generalsekretär Erzbischof Nunzio Galantino am Freitag gegenüber dem katholischen Fernsehsender TV2000. Daher sei ein Perspektivwechsel nötig. - Italien ist nach Deutschland und Frankreich der drittgrößte Gläubigerstaat Griechenlands.

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