Nahrungsentzug bei Wachkoma-Patient Lambert ist 'direkte Tötung'

10. Juli 2015 in Chronik


Kirchliches Institut IMABE kritisiert Abweisung einer Urteilsüberprüfung im Fall des französischen Koma-Patienten Vincent Lambert durch den EGMR: "Wachkoma-Patienten sind keine Sterbenden"


Wien-Paris (kath.net/KAP) Der Fall des französischen Wachkoma-Patienten Vincent Lambert bewegt auch nach dem jüngsten Entscheid des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) weiterhin die Gemüter: So hat sich nun das kirchliche Institut für Medizinische Anthropologie und Bioethik (IMABE) mit einer medizinethischen Kritik am EGMR zu Wort gemeldet und unterstrichen, dass ein bewusster Nahrungsentzug bei Wachkoma-Patienten nichts mit einer Krankheitsbekämpfung zu tun habe, sondern sich "gegen das Leben" richtet. Damit komme dies einer "direkten Tötung durch Verhungern bzw. Verdursten" gleich und sei "ethisch nicht vertretbar", so der Intensivmediziner und IMABE-Direktor Johannes Bonelli in einer Stellungnahme gegenüber "Kathpress".

Aus medizinethischer Sicht gebe es laut Bonelli zwar "keine Verpflichtung zu einer ärztlichen Sterbens- und Leidensverlängerung durch künstliche Ernährung" - entscheidend sei für die Beurteilung jedoch, ob der Sterbeprozess bereits eingesetzt habe. Dies sei im Fall Lambert allerdings nicht der Fall. "Wachkoma-Patienten sind keine Sterbenden", so Bonelli.

Zum Hintergrund: Der EGMR hatte am 6. Juli eine Überprüfung des Urteils im Fall des französischen Koma-Patienten Vincent Lambert abgelehnt. Die Eltern Lamberts hatten die Straßburger Richter unter Berufung auf neue Entwicklungen aufgefordert, ihre Entscheidung über die Beendigung der lebenserhaltenden Maßnahmen zu überprüfen. Nach Angaben ihrer Anwälte hat sich der Gesundheitszustand Lamberts verbessert; er habe in den vergangenen Tagen Nahrung und Wasser über den Mund aufgenommen. Das Urteil erfolgte nicht einstimmig: Fünf Richter hatten in einem Sondervotum darauf hingewiesen, dass der Patient weder hirntot noch sterbend sei, eigenständig atme, eine funktionierende Verdauung habe und schmerzfrei sei. Es sei beklagenswert, so die fünf Richter in ihrem Sondervotum, dass der Staat sich hier seiner Schutzpflicht entledige. "Spielen ökonomische Gründe eine Rolle?" so die Frage der Richter.

Anfang Juni hatte der EGMR den Abbruch der künstlichen Ernährung für Lambert für rechtens befunden. Er bestätigte damit das in Frankreich geltende Leonetti-Gesetz von 2005. Demnach dürfen Ärzte die Ernährung eines Patienten einstellen, wenn dieser sich nicht mehr selbst mitteilen kann. Die Ehefrau Lamberts, ein Großteil seiner Geschwister und seine Ärzte hatten sich im Unterschied zu den Eltern für ein Ende der lebenserhaltenden Maßnahmen ausgesprochen.

Lambert liegt seit einem Motorradunfall 2008 im Koma. Laut Bericht seiner Ärzte seien kaum noch Anzeichen von Bewusstsein auszumachen, er befinde sich in einem "vegetativen Zustand" - allerdings war bereits 2013 ein Versuch gescheitert, Lambert durch den Abbruch der künstlichen Ernährung sterben zu lassen. Lambert überlebte - bis zum Einschreiten des Gerichts - 31 Tage ohne Nahrung mit nur sehr wenig Wasser.

Wie schwierig die Diagnose von Wachkoma ist, zeigen laut IMABE etwa Untersuchungen der "Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und funktionelle Bildgebung" (DGKN). Demnach habe eine Studie gezeigt, dass die Rate der Fehldiagnosen von Wachkoma mit 40 Prozent erschreckend hoch liege. Dabei werde die im klinischen Alltag wichtige Abgrenzung zwischen Wachkoma und dem Syndrom des minimalen Bewusstseins (SMB) häufig mangelhaft diagnostiziert, kritisiert der deutsche Neurologe Andreas Bender. Patienten mit minimalem Bewusstsein würden auf Therapien ansprechen. Da weder Ärzte noch Angehörige dies erkennen, werden sie jedoch nicht angewendet, so der Mediziner.

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