Falsche Einstellung: Sei still, fall nicht lästig, mach keinen Wirbel!

10. Juli 2015 in Spirituelles


Papst bei Klerikern und Ordensleuten: Das „ist die Haltung, wie sie jene dem Volk Gottes gegenüber einnehmen, die es immer zurechtweisen, die immer knurren, die es immer zum Schweigen bringen wollen.“


Santa Cruz (kath.net) „Sei still, fall nicht lästig, mach keinen Wirbel!“ Das „ist die Haltung, wie sie jene dem Volk Gottes gegenüber einnehmen, die es immer zurechtweisen, die immer knurren, die es immer zum Schweigen bringen wollen.“ Dies erläuterte Papst Franziskus bei der Begegnung mit Priestern, Männern und Frauen des geweihten Lebens und Seminaristen in Santa Cruz de la Sierra. Der Papst warnte vor einer Spiritualität des „Zapping“: „Es gibt kein Mitleid, das nicht innehält, zuhört und sich mit dem Anderen solidarisiert. Das Mitleid ist kein zapping, es besteht nicht im Verschweigen des Leids. Es ist im Gegenteil die Logik der Liebe. Es ist die Logik, die sich nicht von der Angst bestimmen lässt, sondern von der Freiheit, die daher kommt, dass man liebt und das Wohl des Anderen über alle Dinge stellt.“

kath.net dokumentiert die Ansprache des Papstes in voller Länge:

Liebe Brüder und Schwestern,

ich freue mich über diese Begegnung mit euch, um die Freude zu teilen, die das Herz und das ganz Leben der Jünger und Missionare Jesu erfüllt. Die Grußworte von Weihbischof Roberto Bordi haben das zum Ausdruck gebracht und ebenso die Zeugnisse von Padre Miguel, von Schwester Gabriela und des Seminaristen Damián. Vielen Dank dafür, dass ihr uns an eurer eigenen Berufungserfahrung habt Anteil nehmen lassen.

Im Bericht des Markus haben wir auch von der Erfahrung des Bartimäus gehört, der sich der Gruppe derer anschloss, die Jesus nachfolgten. Er war ein Jünger der letzten Stunde. Es war die letzte Reise des Herrn von Jericho nach Jerusalem, wo er ausgeliefert werden sollte. Blind und ein Bettler. So stand Bartimäus am Rand des Weges. Ausgegrenzt. Und als er erfuhr, dass Jesus vorüberging, begann er zu schreien.

Jesus war von den Aposteln umgeben, den Jüngern, den Frauen, die ihm gewöhnlich folgten, mit denen er sein Leben lang die Wege Palästinas durchwanderte, um das Reich Gottes zu verkünden. Und eine große Menschenmenge.

Zwei Fakten zeigen sich deutlich, drängen sich uns auf. Einerseits das Geschrei des Bettlers und andererseits die verschiedenen Reaktionen der Jünger. Es ist, als wollte der Evangelist uns die Art des Echos zeigen, die das Geschrei des Bartimäus im Leben der Menschen und in Gefolgsleuten Jesu auslöst. Wie sie angesichts der Leiden dessen reagieren, der am Rand des Weges steht, allein mit seinem Leid.

Drei Antworten hören wir auf die Schreie des Blinden. Wir könnten sie mit den Worten des Evangeliums selbst benennen:

1. Vorübergehen.

2. Sei still!

3. Hab Mut! Steh auf!

1. Vorübergehen. Einige gehen vielleicht vorüber, weil sie ihn nicht gehört haben. Vorübergehen ist das Echo der Gleichgültigkeit, das Vorübergehen an den Problemen, so dass sie uns nicht berühren. Wir hören sie nicht, wir nehmen sie nicht zur Kenntnis. Es ist die Versuchung, das Leid zu bagatellisieren, sich an das Unrecht zu gewöhnen. Wir sagen uns: Das ist normal, es war immer so. Es ist das Echo, das aus einem gepanzerten, verschlossenen Herzen kommt, das die Fähigkeit zu staunen verloren hat und damit die Möglichkeit, sich zu ändern. Es ist ein Herz, das sich daran gewöhnt hat vorüberzugehen, ohne sich anrühren zu lassen; eine Existenz, die sich dahin und dorthin wendet, aber im Leben ihres Volkes nicht Fuß fasst.

Wir könnten das die Spiritualität des zapping nennen. Immer etwas anderes, aber nichts bleibt. Es sind die Menschen, die der letzten Neuigkeit nachlaufen, dem letzten “best seller”, die aber dann nicht imstande sind, Kontakt aufzunehmen, sich in Verbindung zu setzen, sich einzubringen.

Ihr werdet mir sagen: “Vater, sie haben aber auf die Worte des Meisters geachtet. Sie haben ihm zugehört”. Ich glaube, das ist die größte Herausforderung der christlichen Spiritualität. Der Evangelist Johannes erinnert uns daran: Wie kann jemand Gott lieben, den er nicht sieht, wenn er seinen Bruder, den er sieht, nicht liebt? (1 Joh 4, 20b). Diese Einheit zu zerteilen, ist eine der größten Versuchungen, die uns auf dem ganzen Weg begleiten. Und wir müssen uns dessen bewusst sein. So wie wir auf unseren Vater hören, hören wir auch auf das gläubige Volk Gottes.

Vorüberzugehen, ohne auf das Leid unserer Leute zu hören, ohne Wurzel zu schlagen in ihrem Leben, in ihrem Land, ist so viel wie das Wort Gottes zu hören und nicht zuzulassen, dass es in unserem Inneren Wurzel schlägt und fruchtbar wird. Eine Pflanze, eine Geschichte ohne Wurzel, ist ein vertrocknetes Leben.

2. Sei still! Das ist die zweite Haltung gegenüber dem Geschrei des Bartimäus. Sei still, fall nicht lästig, mach keinen Wirbel. Im Gegensatz zur vorherigen Haltung hört diese hin, nimmt Kenntnis, tritt in Kontakt mit dem Schrei des Anderen. Sie weiß, dass er da ist, und reagiert sehr elementar, indem sie zurechtweist. Es ist die Haltung, wie sie jene dem Volk Gottes gegenüber einnehmen, die es immer zurechtweisen, die immer knurren, die es immer zum Schweigen bringen wollen.

Es ist das Drama des isolierten Gewissens derer, die denken, das Leben Jesu sei nur für jene, die sich für geeignet halten. Es sollte nur Platz geben für die “Berechtigten”, für eine “Kaste der Anderen”, die sich nach und nach von ihrem Volk absondert. Sie haben aus der Identität eine Frage der Superiorität gemacht.

Sie hören, aber sie hören nicht zu, sie sehen, aber sie schauen nicht hin. Die Notwendigkeit, anders zu sein, hat ihr Herz blockiert. Die Notwendigkeit, sich zu sagen: Ich bin nicht wie er, wie sie, hat sie nicht nur vom Schrei der Leute und von ihren Tränen entfernt, sondern besonders von den Motiven ihrer Freude. Lachen mit denen, die lachen, weinen mit denen, die weinen – das ist ein Teil des priesterlichen Herzens.

3. Hab Mut! Steh auf! Da haben wir zuletzt das dritte Echo. Es geht nicht direkt auf das Geschrei des Bartimäus zurück, sondern kommt daher, dass man auf Jesus schaut, wie er auf den Ruf des Bettler reagiert. Es ist ein Schrei, der zum Wort wird, zur Einladung, zur Veränderung, zum Angebot einer neuen Weise, auf das heilige Volk Gottes einzugehen.

Das Evangelium sagt uns, dass Jesus nicht wie die anderen vorüberging, sondern dass er stehen blieb und fragte, was denn los sei. Er hält inne vor dem Ruf einer Person. Er tritt heraus aus der Anonymität der Masse, um zu wissen, wer das ist, und so nimmt er sich seiner an. Er schlägt Wurzel in seinem Leben. Und statt ihm Schweigen zu gebieten, fragt er: Was kann ich für dich tun? Er hat es nicht nötig, anders zu sein, sich abzusondern, er überprüft nicht, ob der Betreffende Redebefugnis hat oder nicht. Er fragt ihn nur, er will wissen, wer er ist, um am Leben dieses Menschen Anteil zu nehmen, um sein Los zu teilen. So gibt er ihm nach und nach die Würde wieder, die er verloren hatte, er bezieht ihn ein. Statt ihn nur von außen zu sehen, macht er sich auf, um sich mit den Problemen zu identifizieren und so die verwandelnde Kraft der Barmherzigkeit zu offenbaren. Es gibt kein Mitleid, das nicht innehält, zuhört und sich mit dem Anderen solidarisiert. Das Mitleid ist kein zapping, es besteht nicht im Verschweigen des Leids. Es ist im Gegenteil die Logik der Liebe. Es ist die Logik, die sich nicht von der Angst bestimmen lässt, sondern von der Freiheit, die daher kommt, dass man liebt und das Wohl des Anderen über alle Dinge stellt. Es ist die Logik, die daher kommt, dass man keine Angst hat, dem Leid unserer Leute nahezukommen. Auch wenn es oftmals nicht mehr ist, als an ihrer Seite zu sein und aus diesem Augenblick eine Gelegenheit zum Gebet zu machen.

Das ist die Logik der Jüngerschaft, das ist es, was der Heilige Geist mit uns und in uns tut. Dafür sind wir Zeugen. Eines Tages sah uns Jesus am Rand des Weges, auf unseren Leiden sitzend, auf unserem Elend. Er hat uns nicht zu schweigen befohlen, sondern ist im Gegenteil stehen geblieben, hat sich uns genähert und gefragt, was er für uns tun könne. Und dank einer großen Zahl von Zeugen, die uns sagten: Hab Mut! Steh auf!, haben wir nach und nach diese barmherzige Liebe begriffen, die verwandelnde Liebe, die es uns befähigt hat, das Licht zu sehen. Wir sind nicht Zeugen einer Ideologie, eines Rezepts, einer Art und Weise, Theologie zu betreiben. Wir sind Zeugen der heilenden und barmherzigen Liebe Jesu. Wir sind Zeugen seines Wirkens im Leben unserer Gemeinden.

Das ist die Pädagogik des Meisters, das ist die Pädagogik des Volkes Gottes. Von der Gleichgültigkeit des zapping zum “Hab Mut! Steh auf! Der Meister ruft dich” (Mk 10, 49). Nicht weil wir etwas Besonderes sind, nicht weil wir besser sind, nicht weil wir Funktionäre Gottes sind, sondern nur, weil wir dankbare Zeugen der Barmherzigkeit sind, die uns umgestaltet.

Wir sind nicht allein auf diesem Weg. Wir helfen einander durch das Beispiel und das Gebet. Eine Wolke von Zeugen (vgl. Hebr 12,1) steht uns zur Seite. Denken wir an die selige Nazaria Ignacia de Santa Teresa de Jesús, die ihr Leben der Verkündigung des Reiches Gottes gewidmet hat. Sie betreute die Alten, mit der »Schüssel des Armen« für jene, die nichts zu essen hatten, sie eröffnete Heime für verwaiste Kinder und Krankenhäuser für Kriegsversehrte, sie gründete sogar eine weibliche Gewerkschaft zur Förderung der Frau. Denken wir auch an die ehrwürdige Virginia Blanco Tardío, die sich ganz der Evangelisierung und Pflege der Armen und Kranken gewidmet hat. Sie und viele andere sind ein Ansporn auf unserem Weg. Gehen wir voran mit der Hilfe Gottes und der Mitarbeit aller. Der Herr bedient sich unser, damit sein Licht in alle Winkel der Erde dringt.

Ich bitte euch, dass ihr für mich betet, und ich segne euch von Herzen.

Papst Franziskus begegnet Klerikern, Ordensleuten und Seminaristen in Santa Cruz/Bolivia (in voller Länge ohne Überrsetzung)



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