Die nackten Frauen 'gingen nicht effekthascherisch durch Kirche'

9. September 2015 in Interview


Pastorin Hanna Kreisel-Liebermann äußert sich zum Kunstprojekt, bei dem drei junge Frauen praktisch nackt durch die Marktkirche Hannover gingen: „Online-Berichterstattung der HAZ war sehr plakativ“. kath.net-Interview von Petra Lorleberg


Hannover (kath.net/pl) „Die Berichterstattung auf kath.net wird bedauerlicherweise der Vernissage nicht gerecht. Während die online-berichterstattung sehr plakativ war und von jemandem, der nicht dabei war - ist der Beitrag des Kunstkritikers sehr differenziert. Die HAZ hat auch nur noch letzteren Beitrag auf ihrer homepage.“ Dies sagte Hanna Kreisel-Liebermann, Pastorin der Marktkirchengemeinde Hannover, gegenüber kath.net im Interview. Unter dem Titel „Drei nackte Frauen in evangelischer Kirche? Das ist Kunst!“ hatte kath.net über eine Performance in der Marktkirche Hannover berichtet, bei der drei nahezu völlig nackte junge Frauen durch die Kirche gingen. Die genannte online-Berichterstattung findet sich mitsamt Fotostrecke online auf der Page der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ (HAZ): „Nackte Frauen provozieren in der Marktkirche“. Gemäß der alten Weisheit „auditur et altera pars“ (Man höre auch die andere Seite) fragte kath.net nach der Einstellung der Marktkirchengemeinde. kath.net übernimmt die Originalorthographie der Pfarrerin.

kath.net: Die Marktkirchengemeinde hat sich vermutlich bereits im Vorfeld mit der Performance auseinandergesetzt und hatte offenbar Gründe, sie zu erlauben. Es wäre von Interesse, diese Gründe kennenzulernen.

Pastorin Kreisel-Liebermann: Ja, wir haben sowohl mit den KuratorInnen als auch mit der Künstlerin zuvor intensiv gesprochen und das für und wider abgewogen. da die ernsthaftigkeit und das anliegen, die Deformation durch medizinische eingriffe - wie orteten - die die künstlerin selbst erlitten hat, unter dem thema „leiden“ (Arbeitstitel der Ausstellung) zu zeigen, uns überzeugt hat. die Nacktheit war und ist Natürlichkeit, denn die orthesen werden auf dem bloßen Körper getragen. es war anrührend, die barfuss gehenden jungen Frauen, die sehr konzentriert und keinesfalls effekthascherisch durch die Kirche gegangen sind, zu erleben. nicht jeder und jede hat dieses lange ausgehalten.

Warum wurde die Performance nicht einfach in einem Gemeindesaal gemacht, wo die Nacktheit nicht so direkt mit einem sakralen Raum kollidiert wäre?

Kreisel-Liebermann: weil die Ausstellung in einer Kirche eröffnet wurde und in unserer Kirche fünf nackte menschen (holz geschnitzt) zu sehen sind, nämlich im altar. Nacktheit ist nichts, was nicht in einem sakralen raum sein darf. Gott hat uns nackt geschaffen. es war keine Provokation, sondern Natürlichkeit.

kath.net: Haben sich Intentionen der Marktkirchengemeinde erfüllt oder bekam die Veranstaltung eine andere Dynamik als erwartet? Wird die Performance wiederholt werden?

Kreisel-Liebermann: die performance wird nicht wiederholt, sie gehörte zur Vernissage und nun sind die orthesen arbeiten in der Ausstellung. es hat keine andere Dynamik gegeben. wir haben anschließend angeregt mit der Künstlerin und über die performance gesprochen, aber weder abschätzig noch schockiert, wohl aber berührt von dem ernsthaften anliegen und dem mut der künstlerin.

kath.net: Soweit ich informiert bin, müsste auch bei Ihnen bereits Protest darüber angekommen sein, dass drei junge hübsche Frauen praktisch im Evaskostüm ausgerechnet durch eine Kirche gehen. Auch war nach Schilderung der HAZ das Publikum durchaus konsterniert (ich meine dies auch auf einem Foto erkennen zu können). Wie stehen Sie zu solcher Kritik?

Kreisel-Liebermann: das Publikum war nicht konsterniert, sondern emotional ergriffen. 50% waren lt Abstimmung dafür, 50% dagegen. das Foto zeigt ein Gemeindemitglied, der nachdenklich ist. da die performance musikalisch untermalt war (Komposition der Künstlerin) lauschten einige auch sehr konzentriert.

was halten sie davon, mit der Künstlerin zu sprechen? sie ist eine sehr sensible und ernsthafte, sowie kreative junge Frau, die sich und ihre Verletzlichkeit in dieser performance gezeigt hat. es gibt übrigens biblische geschichten, in denen menschen auch ihre Verletzlichkeit zeigen und damit andere menschen emotional anrühren, weil sie spüren, dass ihre moral verhindert, das leid anderer wahrzunehmen.

kath.net: Danke für Ihre Bereitschaft zur Auskunft.


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