Wo Schweigen gefährlich ist

24. September 2015 in Kommentar


Zum Zustand der evangelischen Volkskirche. idea-Kommentar von Burghard Affeld


Osnabrück (kath.net/idea) Kraniche fliegen über Ostfriesland. Einer nach dem anderen klappt einen seiner Flügel über die Augen. Warum? Sie können das Elend dort nicht mehr mit ansehen. Sicherlich kennen Sie diesen Ostfriesenwitz. Wenn ich versuche, 50 Jahre Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland zu überfliegen, dann geht es mir wie den Kranichen. Nicht mehr hinsehen und weiterfliegen. Aber wohin?

Alarm schlagen ist heute nötiger denn je

In den sechziger Jahren wurde Alarm geschlagen. „Alarm um die Bibel“ oder „Alarm um Jesus“ – so lauteten Buch- und Vortragstitel. Ist Christus wirklich Sohn Gottes, oder wurde er von den Christen dazu gemacht? Ist er für unsere Sünden gestorben, oder ist das ein Irrtum? Werden wir wie Jesus auferstehen, oder ist das ein Mythos (eine Sage also)? Die Bekenntnisbewegung „Kein anderes Evangelium“ gründete sich und stritt gegen die liberale Theologie. Die gläubige Gemeinde demonstrierte Geschlossenheit am 6. März 1966 und füllte mit 25.000 Menschen die Westfalenhalle in Dortmund. Das ist heute kaum mehr vorstellbar. Der Alarm ist verklungen. Aber er wäre heute nötiger denn je! Die Bibel ist durch die historisch-kritische Methode zerrupft. Die Basis der Kirche ist porös. Geht die Autorität der Bibel verloren, geht die Wahrheit verloren. An ihre Stelle tritt die Meinung der Mehrheit über den Glauben. Wer dem folgt, wird tolerant genannt. So wird Toleranz zum Deckmantel für Intoleranz.

Kritiker werden diskriminiert

Testfall Zusammenleben von homosexuellen Paaren im Pfarrhaus. Wer dem nicht zustimmt, dem wird ein Verstoß gegen die Menschenrechte vorgeworfen. So kann es auch Kritikern an unverheiratet zusammenlebenden Paaren ergehen, besonders wenn sie Kirchenfunktionäre sind.

Besonders grotesk erscheint, dass dem, der sich in seiner Verkündigung an der Bibel orientiert, einzelne Kanzeln und Kirchen verboten werden können. Selbst manche evangelikale Persönlichkeiten warnen mittlerweile vor Kirchenkritik, weil sie für die Kirche schädlich sei. Ist Schweigen weniger schädlich?

Tanzen wir um das falsche Kalb?

Ist es ein Wunder, dass sich ein seltsames Schweigen aus Furcht vor Schwierigkeiten bei evangelikalen Pfarrern, Kirchenvorständen und Ehrenamtlichen ausbreitet? Geistliche Zivilcourage ist Mangelware. Ist die Kirche eine heilige Kuh geworden? Dann tanzen wir um das falsche Kalb.

Dran bleiben! Es lohnt sich!

Ich möchte vor dem Segen und den Nöten in der Kirche die Augen nicht verschließen wie die Kraniche über Ostfriesland. Schweigen kann ich nicht. Austreten will ich nicht. Ich bleibe bei den Menschen in der Volkskirche, den Gläubigen und den Zweiflern. An der Basis sind die Chancen groß. Dafür lohnt es sich, gerade auch die Verirrungen aufzuzeigen. Hat Jesus das anders gemacht? Ihm will ich nachfolgen in dieser Kirche, in die mich Gott gestellt hat. Tun Sie das auch! Es lohnt sich für die Menschen und für Ihre Ewigkeit!

Der Autor, Pastor Burghard Affeld (Osnabrück), leitet die Ahldener Bruderschaft, der etwa 100 Pastoren und Mitarbeiter – überwiegend aus der Landeskirche – angehören und aus der das Geistliche Rüstzentrum Krelingen (Walsrode) hervorgegangen ist. Über 30 Jahre lang war Affeld führend in Bekennenden Gemeinschaften innerhalb der EKD tätig.


© 2015 www.kath.net