'Beteiligung Dritter am tödlichen Geschehen verändert die Rechtslage'

25. September 2015 in Kommentar


Sterbehilfe: Gesetzentwurf Sensburg/Dörflinger ist vorzugswürdig. Es überzeugt nicht, Suizidhilfe nur unter bestimmten Voraussetzungen zu verbieten (Gesetzentwürfe Brand/Griese und Künast/Dr. Sitte). Von Prof. Christian Hillgruber


Berlin-Bonn (kath.net/pl)
1. Mit dem Wunsch nach Hilfeleistung bei einer geplanten Selbsttötung verlässt der Suizidwillige die Sphäre reiner Privatheit und macht seinen Sterbenswunsch auch zu einem Anliegen Dritter. Bei einem solchen in die gesellschaftliche Sphäre hineinwirkenden Geschehen hat die staatliche Gemeinschaft alles Recht, regelnd einzugreifen und gegebenenfalls auch das Erbetene zu untersagen. Keinesfalls ist es geboten, Entscheidungen im Hinblick auf das Lebensende ausschließlich in die Hände der Patienten und Ärzte zu legen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Entscheidungen im Lichte der konkreten medizinischen und psychischen Situation des Patienten in ausschließlicher Eigenverantwortung zu treffen, auch und gerade nicht in den Fällen einer unheilbaren, mit hohem Leidensdruck verbundenen Erkrankung, bei denen die Klarheit und Unabhängigkeit der Entscheidung des Suizidenten besonders zweifelhaft ist.

Suizidhilfe ist daher schon im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich anders zu verorten als der Suizid selbst: Die Beteiligung Dritter am tödlichen Geschehen verändert die Rechtslage. Nun geht es nicht mehr nur um den Schutz individuellen menschlichen Lebens vor zerstörerischen Einwirkungen des Rechtsgutträgers selbst, sondern auch um dessen Schutz vor Handlungen Dritter. Das gilt aus verfassungsrechtlicher Perspektive nicht nur für den Fall einer Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB), sondern auch bei der gegenwärtig straflosen Anstiftung oder Beihilfe zur Selbsttötung. Auch der Gehilfe wirkt an der Zerstörung des Lebens eines – aus seiner Sicht – anderen mit, auch wenn sein Tatbeitrag geringeres Gewicht hat als die auf Wunsch des Getöteten erfolgte täterschaftliche Fremdtötung. Dass auch die „bloße“ Teilnahme an der Selbsttötung einem täterschaftlichen Angriff auf das für den Teilnehmer fremde Leben in seiner Bedeutung gleichkommen kann, macht der Fall der Anstiftung deutlich: Wer einen anderen, noch nicht, jedenfalls nicht endgültig zur Selbsttötung entschlossenen Menschen zu diesem Schritt verleitet, den tödlichen Entschluss in ihm erst hervorruft, ist für den anschließenden Tod dieses Menschen nicht weniger verantwortlich, als derjenige, der auf Verlangen tötet.

Wer einem Suizidwilligen Suizidhilfe leisten will, kann sich dafür zwar prima facie auf seine allgemeine grundrechtlich geschützte Verhaltensfreiheit berufen; aber diese Freiheit kann eingeschränkt oder durch ein Verbot ganz aufgehoben werden. Legitimierender Grund dafür ist insbesondere der Schutz der freien Willensbestimmung, akzessorisch dazu auch der Schutz des Lebensrechts des potentiellen Suizidenten. Die Entscheidung für den Suizid ist nur dann staatlicherseits als Akt individueller Selbstbestimmung unbedingt zu respektieren, wenn sie nicht auf einer krankhaften Störung wie einer Depression beruht und wenn sie nicht durch fremde äußere Einflüsse maßgeblich bestimmt worden ist. Ein Sterbender darf, ja muss staatlicherseits vor dem (wirklichen oder auch nur gefühlten) Druck seiner Umgebung in Richtung Suizid wirksam geschützt werden. Die Gefahr einer Verfälschung des wirklichen Willens des Sterbenden ist als hoch einzuschätzen. Ob Missbrauch, d.h. verkappte Fremdbestimmung, auch auf andere Weise als durch ein Verbot, nämlich durch kontrollierbare (!) inhaltliche und prozedurale Vorkehrungen, gleich effektiv abgewehrt bzw. ausgeschlossen werden könnte, ist sehr zweifelhaft. Verneint der Gesetzgeber, dem insoweit eine Einschätzungsprärogative zukommt, diese Frage und ordnet er ein (umfassendes) Verbot an, bewegt er sich im Rahmen dessen, was verfassungsrechtlich und auch konventionsrechtlich, also nach der EMRK, vertretbar ist.

Eine Einschränkung oder ein Verbot der Suizidhilfe lässt sich auch mit der staatlicherseits zu gewährleistenden allgemeinen Achtung vor dem Leben begründen, die durch die Suizidhilfe einer abstrakten Gefährdung ausgesetzt wird. Zudem liegt in der Suizidbeihilfe eine Missachtung des in der Menschenwürde gründenden Eigenwerts jedes menschlichen Lebens ungeachtet der Selbsteinschätzung dieses Lebens durch den Rechtsgutsträger selbst.

Aus allen diesen Gründen ist der Gesetzgeber berechtigt, die Suizidbeihilfe (auch umfassend) zu verbieten, und ein Verbot kann ungeachtet des ultima-ratio-Prinzips auch strafbewehrt sein.

2. Suizidhilfe nur unter bestimmten qualifizierenden Voraussetzungen – Geschäftsmäßigkeit/Gewerbsmäßigkeit – strafbewehrt zu verbieten (so die Gesetzentwürfe Brand/Griese und Künast/Dr. Sitte), überzeugt nicht. Die Strafwürdigkeit der Suizidassistenz gründet letztlich in der Sache selbst, nicht in besonderen Begleitumständen dieser makabren „Dienstleistung“. Auch in der Gewerbsmäßigkeit als solcher liegt nicht eigentlich das Anstößige. Wieso sollte eine solche Dienstleistung, wenn sie denn an sich erlaubt wäre und professionell – etwa von einem Arzt – erbracht wird, nicht auch angemessen honoriert werden dürfen? Geschäfts- oder Gewerbsmäßigkeit können daher sachgerecht nicht strafbarkeitsbegründend, sondern nur – wegen der damit verbundenen Verstetigung und Kommerzialisierung der Förderung der bereits als solche zu verbietenden Suizidhilfe – strafverschärfend wirken.

Auch die typisierende Gleichsetzung von Geschäftsmäßigkeit und Eigennützigkeit einerseits, Einzelfall und Selbstlosigkeit andererseits, geht fehl. Es bestehen auch im engeren familiären Umfeld des Sterbenskranken nicht selten Abhängigkeiten und Erwartungshaltungen, die die stets prekäre freiverantwortliche Entscheidung am Lebensende strukturell gefährden. Gerade auch gegenüber Angehörigen kann – durch deren explizites oder konkludentes Verhalten ausgelöst – bei Sterbenskranken das Gefühl beherrschend werden, anderen nicht länger zur Last fallen zu wollen. Suizidbeihilfe durch Ehegatten oder Familienangehörige kann nicht nur Ausdruck von Mitleid mit dem vermeintlich Suizidwilligen sein, sondern auch von (zwar verständlichem, aber eben rechtlich nicht tragfähigem) Selbstmitleid aufgrund der mit dem Umgang und/oder mit der Pflege des Sterbenden verbundenen eigenen physischen wie psychischen Belastungen des Suizidhelfers.

3. Daher erscheint ein ausnahmsloses strafbewehrtes Verbot der Teilnahme an einer Selbsttötung sowie des Versuchs der Teilnahme, wie es der Gesetzentwurf Dr. Sensburg/Dörflinger vorsieht, vorzugswürdig.

Damit hält die Rechtsordnung gegen die Selbsteinschätzung des Lebensmüden um der Menschenwürde willen daran fest, dass das Leben unter allen Umständen ein erhaltenswertes Gut darstellt. Ein solches Verbot ist verfassungskonform, insbesondere auch nicht unangemessen. Es ergänzt vielmehr sinnvoll den strafrechtlichen Schutz durch § 216 StGB, der unzureichend ist, weil die Abgrenzung zwischen Fremdtötung (auf Verlangen) und bloßer Mitwirkung am Suizid prekär ist, die Grenzen in der Praxis verschwimmen und der kategoriale Unterschied, den insoweit das geltende Strafrecht macht, verfassungsrechtlich betrachtet nur ein gradueller ist.

In der nicht typisierbaren, sondern nur im Einzelfall feststellbaren Grenzsituation, in denen eine Unterstützungshandlung in einer dem Suizidenten und dem Gehilfen gleichermaßen ausweglos erscheinenden Lage getätigt wird und die Verhängung einer Kriminalstrafe ausnahmsweise keine adäquate Sanktion darstellt, bieten das allgemeine Straf- und Strafprozessrecht hinreichende Möglichkeiten, von Strafverfolgung und Strafe abzusehen.

4. Die Gesetzentwürfe Hintze/Dr. Reimann und Künast/Dr. Sitte sind schon formell verfassungswidrig, weil es hinsichtlich der in ihnen getroffenen und für sie zentralen berufsausübungsrechtlichen Regelungen zur ärztlichen Suizidassistenz, mit denen die in zehn von 17 Ärztekammerbezirken bestehenden ausnahmslosen standesrechtlichen Verbote der ärztlichen Suizidbeihilfe außer Kraft gesetzt werden sollen, offensichtlich an der erforderlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes fehlt. Der Bundesgesetzgeber kann, wie das BVerfG in seiner Entscheidung zum Betreuungsgeld jüngst noch einmal klargestellt hat, nicht einfach nach Gutdünken „Gesamtschutz- oder -förderkonzepte“ entwickeln und mit der Begründung, diese ließen sich anders nicht sinnvoll realisieren, Länderkompetenzen teilweise an sich ziehen. Damit verstößt er vielmehr gegen die verfassungsfeste bundesstaatliche Kompetenzordnung. Ein Ausgreifen des Bundesgesetzgebers auf Gegenstände der Landesgesetzgebung lässt sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn es dafür zwingende verfassungsrechtliche Gründe gibt, wie sie das BVerfG in seiner Entscheidung zum Bayerischen Schwangerenhilfeergänzungsgesetz angenommen hat. Davon kann jedenfalls hier keine Rede sein. Insbesondere lässt sich aus den Grundrechten keine staatliche Förderpflicht ableiten, Suizidwilligen Ärzte als „qualifizierte Suizidhelfer“ in ausreichender Zahl zur Verfügung zu stellen. Und selbst wenn es eine solche Förderpflicht gäbe, wäre sie eben von den Ländern als den Trägern der Gesetzgebungskompetenz für das ärztliche Berufsrecht zu erfüllen.

5. Wer professionelle, insbesondere ärztliche Suizidassistenz unter bestimmten Bedingungen gestatten will, muss die sich dann aufdrängenden betäubungsmittel- und sozialrechtlichen Folgefragen beantworten und darf diese nicht, wie in den Gesetzentwürfen Hintze/Dr. Reimann und Künast/Dr. Sitte geschehen, einfach ausblenden. Welche todbringenden Medikamente soll der Arzt denn künftig verschreiben dürfen? Wird es Suizidhilfe auf Krankenschein geben? Schon diese Fragen machen deutlich, dass hier ein verhängnisvoller Irrweg beschritten würde.

Prof. Dr. Christian Hillgruber (Foto) ist Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der Universität Bonn. Das Statement wurde von Prof. Hillgruber als geladenem Sachverständigen bei der Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am Mittwoch in Berlin vorgetragen und für die Veröffentlichung bei kath.net geringfügig erweitert. kath.net dankt Prof. Hillgruber für die freundliche Erlaubnis, dieses Statement veröffentlichen zu dürfen.

EWTN Reporter - Patrick Sensburg (CDU) zur Sterbehilfe-Debatte im Bundestag (Juli 2015)


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Foto Prof. Hillgruber © Universität Bonn/ Philipp Warflinger



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