Offener Brief an Reinhard Kardinal Marx

28. September 2015 in Deutschland


„Eminenz, die Aussagen, die Sie zum Abschluss der DBK-Vollversammlung über Internetseiten und besonders über Blogger machten, lassen die von einem Bischof geforderte Weisheit und Güte vermissen.“ Offener Brief der Bloggerin Claudia Sperlich


München (kath.net/Blog: „Mein Leben als Rezitatorin und Dichterin“) Eminenz, die Aussagen, die Sie zum Abschluss der Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz am 24. September 2015 in Fulda über Internetseiten und besonders über Blogger machten, lassen die von einem Bischof geforderte Weisheit und Güte durchaus vermissen.

Eine katholische Nachrichtenseite hat daraufhin eine Umfrage unter katholischen Bloggern gestartet, an der ich mich mit diesem Brief beteilige.

Eminenz, Ihre Aufgabe war, diese Frage eines Journalisten zu beantworten:

Werden Sie auf der Deutschen Bischofskonferenz entschiedener gegen innerkirchliche Fundamentalisten vorgehen, wie sie zum Beispiel bei solchen Seiten wie katholisches-info oder anderen Bereichen sich austoben? Es wird ja immer so getan, als wenn es nur im Islam Fundamentalismus gibt, beide christlichen Kirchen kennen den ja nun auch in allen möglichen Formen.

Man mag über die genannte Seite geteilter Meinung sein; ich halte den Vorwurf des Fundamentalismus für berechtigt. Dennoch ist der Vergleich von dieser und anderen übereifrigen, selbst von fanatischen Seiten christlicher Provenienz mit dem islamistischen Terror unserer Tage unzulässig. Kein Mitarbeiter von katholisches-info ruft zur Tötung oder Versklavung Andersgläubiger auf, weder öffentlich noch privat (ich erlaube mir diese Aussage, obwohl ich sie empirisch nicht nachweisen kann). Ich bin mir auch sicher, dass nicht einmal von der (Dank sei Gott) eingegangenen, scheinkatholisch-fundamentalistischen Seite kreuz.net jemals die Enthauptung irgendeines Menschen propagiert wurde.

Statt dies vorab klarzustellen, sagten Sie:

Also, vom letzten kann ich gar nichts sagen, das alles waren für mich neue Begriffe, die Sie da – ich kenn das nicht, diese… diese Blogs oder was, ich – vielleicht ist das nicht richtig, aber ich lasse mich… das lass ich gar nicht an mich heran. Es ist vielleicht ein Fehler, ich weiß nicht, aber ich tu das nicht.

So weit, so gut. Sie sagten öffentlich, dass Sie weder über Internetseiten noch über Weblogs mehr wissen, als dass es sie gibt. Das mag für einen Hirten, zu dessen Schäfchen zahlreiche Betreiber von Internetseiten und Blogs mit religiösen Inhalten gehören, bedauerlich sein, aber angesichts Ihrer vielfältigen Aufgaben und Ihres fortgeschrittenen Alters kann man sagen: Gut, ein Bischof kann nicht alles wissen. Hätten Sie es dabei belassen, zu sagen, dass Sie für eine sachliche Antwort nicht genug zum Thema wissen, könnte jeder Mensch guten Willens das respektieren.

Dann aber fuhren Sie fort:

Das ist eine – ich würde mal dazu eben sagen, eine generelle Gefährdung. Ich hab ja früher gedacht – ich hab das auch schon mal gesagt – wenn alle mit allen über alles reden, dass wir den Diskurs verlebendigen und intensivieren, aber ich muss sagen, das Gegenteil ist eingetreten. Diese Verbloggung führt auch zur Verblödung, manchmal. Und dass sich Szenen untereinander treffen, sich gegenseitig bestätigen und hochjubeln, aber nicht in einen Diskurs eintreten mit Andersdenkenden, argumentativ, das ist es, was ich wahrnehme, und deswegen ist es für mich relativ uninteressant.

Dass innerkirchlicher Fundamentalismus der Kirche schadet, ist klar. Ebenso kann ich nachvollziehen, dass Dialog nicht immer und überall möglich ist – nicht jedoch, dass Bloggen (auch nur manchmal) verblödet.

Ihre Bemerkung, Verbloggung führe zur Verblödung, haben Sie zwar abgeschwächt durch ein murmelnd nachgeschobenes manchmal. Leider nehmen Sie diese Einschränkung gleich wieder zurück, indem Sie schildern, wie Sie katholische Internetauftritte wahrnehmen: Selbstreferenziell, diskussionsverweigernd und daher für Sie uninteressant.

In der Blogoezese wird die (tatsächlich bestehende) Gefahr, selbstreferentiell zu werden, gerade durch die wachsende Vielfalt katholischer Weblogs stetig gemindert. Zahlreiche katholische Blogger kommunizieren miteinander, auch kontrovers; sie lassen oft der katholischen Lehre und der eigenen Ansicht widersprechende Kommentatoren zu. Die meisten Blogoezesanen und zahlreiche katholische Internetseiten und Foren sind an respektvoller Diskussion mit Andersdenkenden interessiert.

Dort, wo man auf dumme, diskussionsfeindliche Weblogs trifft (die möglicherweise außerhalb der christlichen Blogosphäre prozentual häufiger sind als in ihr), ist die Verblödung wohl kaum Folge, sondern Ursache speziell dieser Auftritte.

Sie fahren fort:

Ich bin eher diskussionsfreudig, ich möchte Austausch mit einer lebendigen Begegnung und nicht einfach nur Beschwörungen oder Verschwörungen oder… oder Verschwörungsbedrohungen oder ich weiß nicht was alles. Das ist immer das… das geht durch die Jahrhunderte hindurch und findet durch diese Internetkultur ein richtiges Schwungrad, wo das losgeht. Wenn man sich da… man kann sich den ganzen Tag damit beschäftigen, glaube ich. Ja, und das tun auch einige und meinen, das sei die Welt. Das sei die Welt! Gott sei Dank ist es noch nicht die Welt. Also insofern weiß ich nicht, ob wir als Bischofskonferenz uns mit diesen Portalen und Blogs überhaupt beschäftigen sollen. Gut, äh, vielleicht – ich beauftrage das Sekretariat… [Gelächter] … das im Auge zu behalten oder die Szene zu beobachten, und Herr Kopp macht das auch.

Ihre Diskussionsfreude bleibt mir in diesem Zusammenhang leider verborgen. Ob Sie den an Sekretariat und Pressesprecher gegebenen Auftrag ernst meinen, ist mir aufgrund des Tonfalls nicht deutlich; ich wäre für eine Bestätigung dankbar. Dass Sie nicht wissen, ob sich die Bischofskonferenz mit einem wachsenden Phänomen in der katholischen Kirche beschäftigen soll oder nicht, beunruhigt mich; ich gehe davon aus, dass ein Bischof sich für die Umtriebe der Katholiken in seinem Bistum interessieren sollte. Es ist in diesem Zusammenhang ein wenig unfair Herrn Kopp gegenüber, ihm diese Aufgabe ohne vorherige Absprache zuzuschieben.

Also, es gibt diese Gefährdung, aber das Christentum hat in seinem Gründer ein so starkes Korrektiv! Unüberbietbar! Also, wer kann sich denn auf Jesus von Nazareth berufen und einen anderen Menschen erniedrigen? Wer kann das tun? Niemand kann das tun! Da muss doch jeder seinen klaren Kopf behalten und sagen: Du kannst zwar vielleicht ein intelligenter Mensch sein, aber Christ bist du nicht. So ist das halt. Wir haben klare Linien, wo die Grenze ist.

Ich stimme Ihnen zu, dass die Gefährdung durch Fundamentalismus innerhalb der Kirche besteht, und dass Jesus als Guter Hirt Seine Kirche dennoch leitet und auch zurechtrückt, wo nötig. Es ist auch vollkommen wahr, dass die Erniedrigung anderer Menschen (die sie in christlich-fundamentalistischen Kreisen, leider wohl nicht zu Unrecht, annehmen) mit dem Heiland nicht vereinbar ist. Dennoch ist es falsch, einem sündigen Christen (andere gibt es nun einmal nicht!) das Christsein abzusprechen.

Ich habe als wissbegierige Katholikin durch andere Blogger viel über den katholischen Glauben gelernt und stehe mit Bloggern anderer Konfessionen (wie dem trefflichen Jörg Wilkesmann-Brandtner, seines Zeichens evangelischer Pfarrer) durchaus nicht auf Kriegsfuß. Vieles von dem, was ich über Kirche, Glauben, christliche Kultur und Philosophie weiß, verdanke ich Bloggern wie dem Augustinerchorherrn und Priester Alipius Müller, dem Philosophen Josef Bordat, sodann Johannes Roger Hanses, einem Liebhaber und Erklärer des Aquinaten, dem Journalisten und Historiker Maximilian Röll und anderen. Viele Blogger kenne ich inzwischen persönlich. Beistand in Rat und Tat ist in der Blogoezese üblich – so wie es unter Christen generell sein soll.

Eminenz, ich bitte Sie, Ihr Urteil über christlichen Fundamentalismus sowie über Blogs und andere Internetauftritte zu revidieren, indem Sie sich sachkundig machen. Ich möchte katholischen Würdenträgern mit Ehrfurcht und Liebe gegenübertreten und bitte Sie, es mir dabei nicht allzu schwer zu machen.

Mit freundlichen Grüßen
Claudia Sperlich

Claudia Sperlich ist Übersetzerin und Rezitatorin sowie Autorin zweier Bücher. Ihr jüngstes Werk ist der Gedichtband "Lass mich bekennen Deine Mandelblüte".

DBK-Vorsitzender Kardinal Marx übt undifferenzierte Kritik an katholischen Bloggern und ihren Lesern: ´Verbloggung führt manchmal zur Verblödung´



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