Flüchtlinge: Kapellari für 'realistischen Idealismus'

23. November 2015 in Aktuelles


Emeritierter Grazer Bischof: Denk- und Redeverbote "betreffend die Gesamtkomplexität der Situation im Namen einer, wenn auch gut gemeinten, 'political correctness' würden "lediglich in Sackgassen führen".


Klagenfurt-Wien (kath.net/KAP) Zu einem "nicht blauäugigen, sondern realistischen Idealismus" im Umgang mit Flüchtlingen hat der emeritierte Grazer Diözesanbischof Egon Kapellari aufgefordert. In der aktuellen Situation bestehe sonst die Gefahr, dass die "höchst erfreuliche Welle von Solidarität und Empathie in der Zivilgesellschaft und besonders auch in den Kirchen" in Aggression und Depression umschlage, warnte Kapellari am Wochenende im Kärntner Maria Saal. Der emeritierte Bischof sprach dort am Freitagabend beim traditionellen Modestusfest. Am Sonntag feierte er im "Maria Saaler Dom" einen Festgottesdienst.

Die lange voraussehbare große Welle von Migration sei im öffentlichen Diskurs weitgehend verdrängt worden, sagte Kapellari in seinem Vortrag zum Thema "Christ sein in einer Zeit großer Umbrüche". "Nun wird diese offene Rechnung dramatisch präsentiert." Die meisten in Politik, Medien, aber auch in Religionsgemeinschaften davon Betroffenen würden dieser komplexen Gesamtsituation aber nur mit einer selektiven Wahrnehmung, "also mit einem nicht ausreichenden Blick auf das Ganze", begegnen, stellte der Bischof fest. Die diesbezüglichen Wortmeldungen ergäben "viel Nebeneinander, Gegeneinander und Durcheinander".

Angesichts der Migrationsbewegung lebten alte Stereotypen von Egoismus und Angst vor Neuem und Fremdem wieder auf, so der Bischof. Daneben gebe es aber auch "sehr begründete Sorgen" etwa hinsichtlich der ökonomischen Kapazität und Zukunft von Ländern wie Deutschland. Denk- und Redeverbote "betreffend die Gesamtkomplexität der Situation im Namen einer, wenn auch gut gemeinten, 'political correctness' würden "lediglich in Sackgassen führen", betonte Kapellari.

Angesichts der gegenwärtigen Situation könne aber jeder Mensch guten Willens immer Gutes tun, auch wenn er keine großen Hebel zur Verfügung habe. "Und wer überhaupt nichts Gutes tut, auch bis es ihm schon etwas weh tut, der sollte im öffentlichen Diskurs schweigen", forderte der emeritierte Grazer Bischof.

"Bestialischer Terrorismus" in Paris

In seinem Vortrag in Maria Saal nahm Kapellari auch Bezug auf das Verhältnis der katholischen Kirche zu den nicht christlichen Religionen. Die diesbezüglich vor 50 Jahren beschlossene Erklärung des Zweiten Vaticanums mit dem Titel "Nostra aetate" dokumentiere eine radikale Blickumkehr, "die freilich immer wieder einer Aktualisierung bedarf". Mit dem Judentum sei das Christentum am "stärksten und fundamentalsten" verbunden. Ein neuer Antisemitismus, besonders auch in Deutschland und in Frankreich, nehme daher die Christenheit in die besondere Pflicht, sich dagegen auch öffentlich zur Wehr zu setzen.

Die Position des Islam habe sich seit dem Konzil weltweit und besonders auch in Europa stark verändert, sagte der Bischof. In seiner Vielgestaltigkeit und angesichts islamistischer Radikalisierungen bis hin zu einem mörderischen Terrorismus, der sich auf den Islam berufe, aber zugleich stärkster Ablehnung durch viele Muslime begegne, gebe der neu erstarkte Islam sich selbst und der übrigen Welt Fragen auf, "die nicht simpel harmonisch beantwortet werden können". Die jüngsten Anschläge in Paris bezeichnete Bischof Kapellari als "bestialischen Terrorismus", der bei vielen Menschen Furcht, Depression, Aggression oder Resignation auslöse. Gleichzeitig würden in der Reaktion auf die Attentate auch neue Kräfte zur Hoffnung, zur Gestaltung von Kultur, Wissenschaft, Politik und auch Religion aufgeweckt werden.

Spannungen und Konflikte betreffend den Islam dürften nicht klein geredet werden. "Das löst keine Probleme, sondern liefert Wasser für die Mühlen von Populisten, die sich schrecklicher Vereinfachungen bedienen", sagte Kapellari. Die katholische Kirche werde sich mit allen Kräften für einen interreligiösen Frieden auf der Basis von Ehrlichkeit, Fairness und Reziprozität einsetzen müssen.

Kirche in "Spannung zwischen Heiligkeit und Sünde"

Zur Lage der katholischen Kirche in Österreich sagte der emeritierte Diözesanbischof, diese stehe in der Spannung zwischen "Breite und Tiefe, zwischen Heiligkeit und Sünde, zwischen Stärke und Schwäche". Sie solle den Verlust an Breite in Österreich in den letzten Jahren nicht passiv hinnehmen, könne aber im Ganzen nur breit sein, "wenn sie zugleich eine starke dynamische Mitte hat und dort mit tiefen Wurzeln im Quellgrund des Glaubens verankert ist".

Von Papst Franziskus gehe viel Inspiration und Kraft aus, auch das Erbe von Benedikt XVI. sei ein weiter wirkender "Sauerteig", so Bischof Kapellari. Er äußerte die Hoffnung, dass "angesichts von viel Nebeneinander, Gegeneinander und Durcheinander in der Zivilgesellschaft" das Miteinander in der Kirche und damit verbunden auch in der Zivilgesellschaft gestärkt werden könne.

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Foto Bischof em. Kapellar (c) Diözese Graz


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