Freiheit und Bindung - Zur Ambivalenz menschlicher Sexualität

27. November 2015 in Buchtipp


Weil der Mensch mit seinem ganzen Wesen nach Erfüllung verlangt, darum ist die Grundform der Liebe die erotische Liebe. Ein neues Buch von Prof. Dr. Berthold Wald


Linz (kath.net)
„Alles Glück ist Liebesglück“, so lautet der Titel einer kleinen Schrift von Josef Pieper. Weil der Mensch mit seinem ganzen Wesen nach Erfüllung verlangt, darum ist die Grundform der Liebe die erotische Liebe. Pieper verweist dafür sowohl auf den mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin wie auf den vorchristlichen Philosophen Platon. Diese Grundgestalt der bedürfenden Liebe ist jedoch in ihrem Vollzug gefährdet und ambivalent. Das zeigt sich am offenkundigsten im selbstsüchtigen Willen nach bloßem Liebesgenuss. Platon wusste darum und hat im „Symposion“, seinem berühmten Dialog über die erotische Liebe, einen Weg aufzuweisen versucht, wie diese Ambivalenz zu überwinden ist. Wer in der Liebe nur sich selber sucht, verspielt gerade so das Glücklichsein. Denn Glück ist immer etwas Zweites. Es stellt sich nur ein, wenn die Intention der Liebenden nicht auf das Glück, sondern auf den Anderen gerichtet ist. Weniger offenkundig aber nicht weniger ambivalent ist die romantisch überhöhte Selbstgenügsamkeit der Liebenden, die sich von der Liebe das höchste Glück auf Erden versprechen. Die erotische Liebe wird so zu einer Ersatzreligion, welche die Erlösung von den Begrenzungen des menschlichen Lebens verspricht und die notwendig in Enttäuschung enden muss. Auch darüber kann man das Entscheidende schon von Platon lernen. Er nannte den Eros einen großen Dämon, einen Vermittler zwischen Mensch und Gott, der die wahrhaft Liebenden über sich hinaus führen will. Menschliche Glückseligkeit kann zwar in diesem Leben beginnen, ohne darin ihre letzte Erfüllung zu erreichen. Wenn Platon hiermit Recht hat, dann sind die modernen Erscheinungsformen des Erotischen, die banale Reduktion auf einvernehmlich praktizierte Sexualität und deren Überhöhung zum Kulturgut mit Rechtsanspruch, nichts weiter als Anleitungen zum Unglücklichsein, nicht zuletzt auch zum Unglücklichmachen des Anderen. Die brutalen Formen sexueller Gewalt wiederum sind nur der öffentlich sichtbare Ausschnitt einer fehlgeleiteten und verzweifelten Suche nach Glück.

In der Diskussion über Ursachen und Gründe des sexuellen Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen im Verantwortungsbereich der katholischen Kirche ist die Ambivalenz der Sexualität bisher nicht zum Thema gemacht worden. Dies wird sicher damit zu tun haben, dass es vor allem um die konkrete, auch strafrechtliche, Bewertung eines Verhaltens gehen muss, wodurch Priester und Ordensleute jungen Menschen schweren seelischen Schaden zugefügt haben. Zudem geraten Versuche, das Phänomen des Missbrauchs in einem allgemein menschlichen und gesamtgesellschaftlichen Kontext zu beleuchten, leicht in den Verdacht, von der kirchlichen Verantwortung für die Verbrechen an Kindern und Jugendlichen abzulenken. Dennoch ist die Weitung des Blicks auf das Phänomen der Sexualität in ihrer Ambivalenz unverzichtbar, auch und gerade um der verbreiteten Tabuisierung von Enttäuschung und Leid im Bereich sexueller Beziehungen zu begegnen. Wo jedoch der Eindruck vorherrscht, dass die Befreiung der Sexualität von moralischen Grenzen und erst Recht von göttlichen Geboten zur notwendigen Vorbedingung menschlichen Glücks gehört, da liegt es nahe, einen Zusammenhang zu unterstellen zwischen sexuellem Missbrauch und zölibatärer Lebensform. Daraus wird dann häufig die Forderung abgeleitet, den Zölibat abzuschaffen und die kirchliche Sexualmoral zu liberalisieren.

Die Montagsakademie, eine öffentliche Vorlesungsreihe an der Theologischen Fakultät Paderborn, hat im Wintersemester 2010/11 den Versuch unternommen, das aktuelle Thema des Missbrauchs und das kontroverse Thema der Sexualität in einen umfassenderen Horizont zu stellen. Dazu geht sie bewusst einen Schritt hinter die Tagesaktualität zurück, um den theologisch-anthropologischen, gesellschaftlich-politischen und existentiell-moralischen Kontext menschlicher Sexualität heute ins Blickfeld zu bringen. In allen drei Hinsichten zeigt sich eine auffällige Ambivalenz, welche zunehmend das öffentliche und private Leben bestimmt. Diese reicht von der erfolgreichen Kommerzialisierung der Sexualität in der Werbung über die unbeschränkte Verfügbarkeit von Internetpornographie bis hin zu sexuell motivierten Gewaltakten im Umfeld von Familie und Freundeskreis. Neuerdings ist mit Sorge festzustellen, dass unter dem Deckmantel „sexueller Vielfalt“ eine selbsternannte „neoemanzipatorische Sexualforschung“ Einfluss auf den schulischen Sexualkundeunterricht nimmt und durch gezielte Anleitungen zur „Entgrenzung“ von Sexualität am Ende auch den Kindesmissbrauch begünstigt. Sexualität ist nicht für Kinder sondern offenkundig für Erwachsene eine Herausforderung, mit der nur schwer zurecht zu kommen ist. Angesichts dessen ist die programmatische Parole von „sexueller Befreiung“ wie die entgegensetzte Praxis „sexueller Verdrängung“ gleichermaßen naiv und verantwortungslos.

Vor diesem Hintergrund versuchen die hier versammelten Beiträge ein realistischeres und zugleich anspruchsvolleres Bild menschlicher Sexualität zu vermitteln. Die Texte wurden weitgehend in der Form des mündlichen Vortrags belassen und haben auch heute nichts von ihrer Aktualität verloren. Schwerpunkte der Vorlesungsreihe sind zunächst das Liebesverhältnis zwischen Mann und Frau, wie es in der biblischen Schöpfungserzählung und in der theologischen Deutung gesehen wird. Im Anschluss an diese anthropologisch-biblische Grundlegung richtet sich der Blick auf die gesellschaftliche Dimension von Sexualität und Befreiung. Den Abschluss bildet das Verhältnis von Sexualität und zölibatärer Lebensform als einer über sich hinausweisenden Existenzmöglichkeit des Menschen. Zu einer wahrhaft menschlichen und menschenwürdigen Sexualität gehört wesentlich die Spannung von Freiheit und Bindung. Demgegenüber erzeugt die freie Verfügbarkeit der Sexualität die Illusion einer jederzeit möglichen Erfüllung. Die Ambivalenz der Sexualität darf aber nicht ausgeblendet werden, in der Liebe von Mann und Frau ebenso wenig wie im zölibatären Verzicht, wo dieser nicht von einer größeren Liebe getragen wird.

kath.net Buchtipp
Freiheit und Bindung - Zur Ambivalenz menschlicher Sexualität
Von Prof. Dr. Berthold Wald
Paperback
2015, Bonifatius Verlag
250 Seiten
ISBN 978-3-89710-510-2
Preis EUR 23,60

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