Ein Stück zeitgeistige Pastoral im Bistum Münster

14. Jänner 2016 in Kommentar


Die Barmherzigkeit Gottes ist eine Zumutung für die Welt. Die Broschüre „Barmherzigkeit“ des Bistums Münster versucht diese Zumutung zu entschärfen - Ein kath.net-Kommentar von Peter Winnemöller über eine fragwürdige Barmherzigkeitsbroschüre


Münster (kath.net) Seit dem 8.12.2015 haben wir ein Jahr der Barmherzigkeit. Ein Heiliges Jahr ist dieses Jahr und überall auf der ganzen Welt sind die Pforten der Barmherzigkeit geöffnet. Wie die Inflation der Heiligen Pforten Fragen nach einer Entwertung aufkommen lassen, so steht auch der Begriff Barmherzigkeit an sich aktuell im Verdacht, geistlich abgewertet worden zu sein. Barmherzigkeit gibt es an jeder Ecke für alles und für jeden. Das verärgert und es stößt ab. Was soll denn dieses Barmherzigkeitsgetue? Wir wollen Gerechtigkeit! Das ist nicht neu. Schon ein oberflächlicher biblischer Befund zur Barmherzigkeit verstört, weil Barmherzigkeit eben anders ist. Barmherzigkeit ist immer unverdient. Der verlorene Sohn kann realistisch gesehen eher mit einer Strafpredigt als einer Party rechnen. Der von Räubern überfallene eher mit dem Tod als mit einem barmherzigen Samariter. Diesen Gedanken des Verstörenden hatten die Autoren der Broschüre des Bistums Münster zum Jahr der „Barmherzigkeit“ wohl auch im Sinn.

Schon das Titelblatt vermag zu verstören, wenn ein bärtiger Mann auf dem ersten Bild oben links auf der Titelseite sich Lippenstift aufträgt. Auch die anderen Bilder auf der Titelseite erinnern mehr an Methoden der Schulpastoral aus den 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Sie können alles und nichts sagen, erhalten ihren Sinn erst aus den erklärenden Texten, die allerdings ebenso subjektiv wirken, wie die Bilder an sich. Da geht es eher um Befindlichkeiten als um Objektivität. In zwölf Abschnitten, denen Adjektive als Überschriften dienen wird versucht Barmherzigkeit als Lebenswirklichkeit zu entfalten. Dabei kommt es nicht selten zu einer Verwechselung zwischen Barmherzig und einem moralischen Gut-sein.

Das erste Kapitel steht unter der Überschrift „anders“ und korreliert, man ahnt es schon, mit dem Lippenstiftmann. Auch wenn der Text selber dies nicht unmittelbar hergibt, wird hier mit Gendermainstreaming kokettiert. Gendermainstreaming ist eine Ideologie. Einer solchen gegenüber kann man nicht barmherzig sein. Die Ideologie an sich kennt ebenfalls keine Barmherzigkeit, sie kennt nur Macht und Ausgrenzung. Auch im Text selber, wo von einem kleinen Mädchen in Afrika berichtet wird, die die Hand eines weißen Priesters erforscht, kann man ehrlicherweise nicht von Barmherzigkeit reden. Das kleine Mädchen betreibt Wissenschaft im allerbesten Sinne. Vorurteilsfrei, getrieben von Neugierde und getragen von der Liebe, die Wirklichkeit erkennen wollen. Das beeindruckend, es ist anrührend und für vorurteilsbeladene Menschen beschämend, doch barmherzig ist das gerade nicht. Ganz anders das Beispiel einer Gemeinde von Charleston, wo ein Attentäter neun Gläubige erschießt. Statt Rache erfährt der Attentäter Vergebung. Das ist barmherzig. Na bitte, es geht doch!

Dieser Wechsel von Licht und Schatten, von Beispielen echter Barmherzigkeit und moralisch anrührendem Gut-sein, zieht sich durch die gesamte Broschüre. So gelangt der unbedarfte Leser zum Eindruck, Barmherzigkeit könne auch ein Sozialbetrieb sein.

Anders, alt, arm, hässlich sind einige der Überschriften. Ein alter Mensch, der von seiner Umwelt aktiv und aktivierend angenommen wird, erfährt nicht Barmherzigkeit sondern es ist sein gutes Recht so angenommen zu werden. Der arme Mensch, dem ein paar Brosamen der Wohlstandsgesellschaft zugeworfen werden, erfährt nicht Barmherzigkeit sondern Demütigung. An dieser Stelle wird die Broschüre durchaus stark, wenn sie den Blick wendet und Spiritualität der Gemeinschaft Sant 'Egidio ins Spiel bringt. Hier schimmert etwas durch vom wahren Gehalt der Barmherzigkeit, denn soziale Dienste können herablassend und unbarmherzig sein. Erst der Wechsel der Perspektive macht den Dienst barmherzig, nämlich immer dann, wenn der Mensch versucht, dem Vorbild Gottes zu folgen. Das ist vor allem ein geistlicher Dienst, der dem Handeln voraus geht.

Was dieser Reihenfolge nicht nachkommt, ist Politik, nicht Barmherzigkeit. Da liegt an einigen Stellen in der Broschüre das Problem, wenn zu sehr Politik gemacht wird. Immer dann, wenn dem Tun nicht die geistliche Haltung vorausgeht sondern der moralische Anspruch, wird das Thema Barmherzigkeit verfehlt. Das scheint die Grundversuchung unserer Zeit und so verwundert es den aufmerksamen Beobachter nicht, wenn sie sich auch in einer kirchlichen Broschüre niederschlägt.

Die zwölf Texte der Broschüre, die die Barmherzigkeit erklären sollen, zeigen sich durchwachsen. Der Anspruch, den Barmherzigkeit offensichtlich an die Menschen stellt, ist unerfüllbar, weil moralisch viel zu hoch aufgehängt. Das ist Barmherzigkeit Gottes allerdings gar nicht.

So wirkt es wohltuend, wenn dann am Ende doch noch die Beichte erwähnt wird. Auch wenn dieser Text eher schwach ist, weil der Aspekt der Sündenvergebung zu wolkig umschrieben wird. Der Priester sagt nicht irgendein „JA“, d.h. er segnet nicht die Sünden quasi ab. Der Priester spricht in der Beichte von den Sünden los. Das ist ein kleiner Unterschied. Man kann den Lesern das durchaus zumuten. Dennoch ist doch die gute Absicht zu erkennen und das soll nicht unerwähnt bleiben.

Im letzten Teil der Broschüre gibt es „Hinweise für das persönliche Nachdenken für Gruppengespräche“. Darin sind zu jedem der Kapitel eine oder mehrere Schriftstellen genannt. Die Werke der Barmherzigkeit werden nur in einem Hinweis auf das Gotteslob (Nr. 29,3) erwähnt. Ausgehend davon, dass die Broschüre niederschwellig sein soll, könnte man annehmen, dass ein potentieller Leser gerade kein Gotteslob zur Hand hat. Mithin wäre es kein Fehler gewesen, diese noch einmal explizit zu erwähnen und zu erklären.

Die Broschüre „BARMHERZIGKEIT“ hinterlässt einen gemischten Eindruck. Es gilt, die Barmherzigkeit ernst zu nehmen. Papst Johannes Paul II. hat dazu eine Menge lehrreicher Hinweise hinterlassen. Diese Texte in der Broschüre ebenso zu ignorieren, wie die Frau, die uns die Göttliche Barmherzigkeit für unsere Zeit überhaupt erst wieder erschlossen hat, Sr. Faustyna, ist fatal. Man kann das von Papst Franziskus ausgerufene Jahr der Barmherzigkeit ohne diese beiden Heiligen überhaupt nicht verstehen und erst recht nicht erklären. So lobenswert der Versuch erscheint, eine Informationsschrift zur Barmherzigkeit in zeitgemäße Sprache und Bilder zu bringen, klafft hier eine spürbare Lücke, die auch pastoraler Sicht ein echtes Manko der Broschüre ist. Immer da wo es moralisch schwer oder politisch aktivistisch wird, hätte eine geistliche Erklärung die Brücke schlagen können. Wo dies erfolgt ist, sind die Texte der Broschüre stark, wo dies fehlt, schwächeln sie und werden moralisch oder politisch.

Unterm Strich ist es eine pastorale Handreichung, wie man sie in unseren Tagen an jeder Ecke findet: Nicht der große Wurf, nicht die große Katastrophe. Aber sie ist eben leider auch ein Stück zeitgeistiger Pastoral, das zeigt, wie viel Mut Verkündigung im Grunde wirklich bräuchte. Die Barmherzigkeit Gottes ist eine Zumutung für die Welt. Die Broschüre „Barmherzigkeit“ des Bistums Münster versucht diese Zumutung zu entschärfen. Und das ist am Ende vielleicht doch keine so gute Idee.

Zur Dokumentation: Broschüre ´Barmherzigkeit´des Bistums Münster


Foto Peter Winnemöller (c) kath.net/Michael Hesemann


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