Tarzan ermittelt. Andreas Englisch kämpft sich durch den Vatikan

3. Februar 2016 in Buchtipp


Der ehemalige „Bild“-Reporter Englisch hat die Geschichten der Papst-Franziskus-Biographie schreiend aufbereitet, wen sollen sie überzeugen? Gastkommentar von Dr. Franz Norbert Otterbeck


Linz (kath.net) Überraschung. Die Talkshow-Nervensäge, herumgereicht von Lanz bis Maischberger, kann auch leise Töne produzieren. In epischer Breite schildert Andreas Englisch, durchaus lesenswert, inmitten des dem Heiligen Vater gewidmeten Buchs von 2015 auch das Leben seines Vaters, seiner Herkunft. Das Flüchtlingskind Andi war sogar zuhause zugegen, sozusagen gottgewollt, als den mürrischen Witwer im Alter der Schlaganfall traf. Er wusste dann aber nicht zu helfen. Rührend auch die stillen Tage in Bergneustadt, die seine Eltern sich einst in einem Feuerwehrheim gönnten. Ansonsten nur Armut: „Ich wollte weg von meiner Familie, weil sie eine Arbeiterfamilie war, eine arme Arbeiterfamilie“ (S. 232). Es überrascht also nicht, dass der Bestseller-Autor für J.M. Bergoglio SJ mehr Sympathie empfindet als für den alten römischen Adel. Aber auch dorthin hat er Kontakte geknüpft, auf den Spuren der Skandale um die Vatikanbank.

Weit gereist ist Englisch: Er hat fast alle Großen gekannt, seit 1987, hat mit fast jedem von Rang gesprochen in Rom. Mit den Päpsten sowieso, auch mit vielen Kardinälen. Sein Favorit ist Walter Kasper. Aber auch der Presidente Andreotti, die Exzellenz Marcinkus, der Drahtzieher Licio Gelli („P2“) waren für ihn ansprechbar. Warum liefert das Buch dann kein belastbares Fazit zu all den aufgerissenen Fragen? Weil hier Tarzan ermittelt. Die vatikanischen Gärten sind aber kein Dschungel. Hier ist kein Gärtner ein Mörder, trotz aller Gerüchte: „Sie hatten mitgemacht und mitverdient“ (S. 347).

Andreas Englisch sieht Papst Franziskus im Krieg mit der Kurie. Er liefert sowas wie Episode 6 seines „Krieg der Päpste“. Das baut Spannung auf und verkauft sich gut. Aber wenn der Urwald gerodet ist, ersteht dann die schöne, neue Welt? Ohne Frage: Die Kurie ist schwierig, der Vatikanstaat auch. Das ist kein Geheimnis, spätestens seit Johannes XXIII. auf die Frage, wieviele Leute denn im Vatikan arbeiten, nachsichtig antwortete: „Vielleicht die Hälfte“. Tarzan weiß Bescheid im Dschungelcamp: „Franziskus ist überzeugt davon, dass die Kirche faul geworden ist, in ihre Glaubenslehre verliebt“ (S. 215).

Aber ein bisschen Glaubenslehre betreibt der Papstexperte dann doch: „… dass da was ist und es meint uns“. „Das ist ein gottverdammtes Wunder, dachte ich“ (S. 223, 221). Denn keiner der mitreisenden Fotografen hatte ein Foto von Papst Johannes Paul II. in unwürdiger Lage „geschossen“. Für Englisch ein Gottesbeweis. Dem Wunder des Sindone, des Grabtuchs von Turin, spricht er heute, anders als mir 2005 persönlich bezeugt, die Glaubwürdigkeit ab. Aber er verdreht die Wahrscheinlichkeits-Rechnung des Tino Zeuli u.a. (S. 204): Unter der Voraussetzung, dass die Johannespassion das Leiden Jesu historisch korrekt berichtet, ist es so gut wie unbestreitbar, dass Jesus in dem Leinentuch lag. Oder man hat im Mittelalter „mit einer bis heute unbekannten Fototechnik“ (S. 202) eine anhand der Charakteristika der Johannespassion exakt entsprechende Fälschung hergestellt. Naja.

Einigermaßen redlich setzt sich Englisch mit der katholischen Überzeugung auseinander, dass es Fürsprache bei Gott gibt, vielleicht sogar des heiligen Josef für seinen alten Vater. Denn Bergoglio „schwört“ auf Sankt Josef. Die Querverbindung erscheint sehr willkürlich gezogen, aber Tarzan kümmert das wenig. Seine Moral: Eine „halbwegs anständige“ (vgl. S. 221) Geschichte zusammengebaut! Das genügt.

Sachliche Fehler unterlaufen „Andi“ seltener als in den Papstbüchern 1-5 (aber auf S. 60 versetzt er Hugo Chavez nach Kolumbien, auf S. 323 wird Pius IX. heiliggesprochen; „sia lodato“ sagte nur einer auf dem berühmten Balkon, 1978; zuvor segneten die Päpste von dort schweigend; S. 15). Er hat sich endlich helfen lassen, bei Fakten und Zahlen. Nur: der 266. Papst ist der 265. Nachfolger Petri. Aber wen sollen seine schreiend aufbereiteten Geschichten denn überzeugen? Licio Gelli sah sich als Schriftsteller, der sich für ihn interessierte, weil Tarzan auch ein Schriftsteller ist, der Romane veröffentlicht (S. 338). Angeblich hofft ein Sympathisant der Piusbruderschaft auf das große Schisma zugunsten der „kleinen Herde“, das Papst Benedikt noch anzetteln soll, indem er Papst Franziskus „exkommuniziert“ (S. 193). Vielleicht habe der hl. Papst Johannes Paul mit der Vatikanbank den Umsturz im Osten mitfinanziert, obwohl Kardinal Dziwisz das energisch verneint (S. 341). Und katholisch sei der Papst aus Sicht des Vatikan eigentlich nicht mehr (S. 129), weil seit jeher „nach vatikanischen Maßstäben eine absolute Null“ (S. 7).

Andreas Englisch lässt wieder kaum eine Gelegenheit aus, Joseph Ratzinger herabzuwürdigen. Kommentar überflüssig.

Aber auch das neue Objekt des römischen Beobachters wird bisweilen blamiert, etwa wenn er die feindselige Atmosphäre in der Mensa des Gästehauses S. Marta schildert (S. 139 f.) oder den „billigen weißen Umhang“ des Papstes (S. 132; gemeint ist die Soutane).

Erstaunlich hartnäckig insistiert der Berichterstatter, dass Bergoglio eigentlich ein trauriger, mürrischer, alter Mann sei, der sich nur den Massen so strahlend präsentiere, um sie für seinen Kampf zu begeistern. "Er muss sich neu erfinden, ein strahlender Papst für die Massen ... (S. 11). Dagegen berichten sehr viele Menschen, die dem Papst persönlich begegnen, dass er sich dem Gegenüber wirklich ganz öffnet und zuwendet, ganz Priester, der er ist.

Immer wieder spricht Andreas Englisch die durchaus seriöse Frage an, wohin dieser Pontifikat die Kirche führen wird. Er vermag in den Sinngehalt theologischer Ekklesiologie aber nicht hineinzuleuchten und scheint daher zu hoffen, dass es seinem Papst ebenso ergeht. „Weg damit!“ Daher auch der Zorn über Benedikt XVI., den angeblich so menschenfernen Theologen, der viel zu viele falsche Dinge gesagt haben soll und viel zuwenig Gutes getan. Nicht wenige aber wünschen sich längst einen "zweiten Ratzinger". Kritik an Papst Franziskus übt mittlerweile nicht nur die „rechte Elite“. Auch Wünsche der „pastoralen Linken“ wurden bislang nicht erfüllt. Manche, die in Evangelii gaudium oder Laudato si‘ verlautbare Ziele stützen, beginnen zu fragen: „Schaffen wir das, Heiligkeit?“ Teile sogar des Traditionalismus könnten sich mit der Belastungsprobe namens Pope Francis anfreunden: Der autoritär betriebene Autoritätsverzicht des Pontifex könnte die „höhere Autorität“ wieder sichtbarer machen: Gott selber meint uns, inmitten der Kirche. Kann ein Papst aber sein Amt ausüben, wenn er einen geheimen Vorbehalt gegen die eigene Autorität hegt? Wir wissen nicht, ob die Amtsführung des baldigen Karlspreisträgers namens Franz zu dieser Frage zwingen wird. Die Interpretation mancher Beobachter sieht danach aus. "Auf, auf zum Kampf?"

Der ehemalige BILD-Reporter kämpft allerdings vornehmlich um seine eigene Größe im Vatikan und unter den Vaticanisti. Falls aber der überaus populäre Papa Bergoglio doch noch „scheitert“ mit seinem, sagen wir, Evangelical Catholicism, dann wird ihm Tarzan in Episode 7 des Kriegs der Päpste keine Träne nachweinen. Denn er schreibt – römische Romane."

Der Verfasser, Dr. iur. Franz Norbert Otterbeck, ist Rechtshistoriker und Wirtschaftsjurist. Siehe auch: kathpedia: Franz Norbert Otterbeck.

Diese Rezension bezieht sich auf folgendes Buch: Andreas Englisch: Der Kämpfer im Vatikan. Papst Franziskus und sein mutiger Weg, 2015 C. Bertelsmann Verlag.


© 2016 www.kath.net