Der Osterhase und der Wohlfahrtsstaat

12. April 2016 in Kommentar


Eine Kritik an der Umverteilung – sie bringt Armut und einen Verlust an Freiheit! kath.net-Kommentar von Christof T. Zeller-Zellenberg


Wien (kath.net/czz) Der Osterhase bringt Geschenke – meistens in Form von bunten Eiern und Süßigkeiten – der Wohlfahrtsstaat bringt Geschenke, meist in Form von sozialer Unterstützung, Pensionen, Krankenversorgung, Arbeitslosengeld, Kindergeld, Schulen, Universitäten, etc.

Der Osterhase existiert…. NICHT, denn es sind meistens die Eltern, Großeltern, Onkeln und Tanten, die den Osterhasen darstellen.

Den Staat, als selbständige Entität – eigenverantwortlich handelnd, die unabhängig von seinen Bürgern agiert, gibt es eigentlich auch nicht – die Frage „wer ist verantwortlich für die Kinderbetreuung, für unsere Ausbildung, für unsere Versorgung in Notlagen, dafür, dass wir einen Arbeitsplatz haben oder eine Krankenbetreuung -- und vor allem: wer soll das alles zahlen“ wird meistens mit „der Staat“ beantwortet. Aber der Staat sind doch wieder wir alle – Margaret Thatcher (Premierministerin Großbritanniens der 80er Jahre) ging in die Geschichte ein mit dem Satz „There is no such thing as society“ (den Staat (die Gesellschaft) gibt es nicht) -- also wer zahlt in Wahrheit für all die bunten Ostereier, die wir vom „Staat“ bekommen – die Bürger des Staates, also wir selber!

Aber genauso wie der Osterhase einfach perfekt weiß - und damit viel besser als wir selber, was wir bekommen sollen und wo die besten Verstecke sind, so weiß eben auch der Wohlfahrtsstaat besser als wir selber, was wir mit unserem Geld anstellen sollen und was wir uns dafür wünschen sollen – oder besser, bekommen werden.

Daher nimmt er uns einen gehörigen Teil unseres Geldes, über Steuern und Abgaben weg und gibt es uns in Form von staatlichen Sozialleistungen, Infrastruktur, Bildung, medizinischer Versorgung, Arbeitsplätzen, etc., wieder zurück.

Und ebenso wie der Osterhase uns in Verzückung versetzt, wenn wir seine Geschenklein finden – versetzt uns eben auch der Staat in Verzückung, wenn wir seine Leistungen empfangen. Aber natürlich sind der Osterhase wieder indirekt wir selber, denn das, was unsere Eltern für seine Geschenke ausgeben, können wir nicht nochmals, nach unserem Gutdünken ausgeben (es geht uns also an anderer Stelle ab!) – und der Staat sind auch wieder wir selber und was er uns zuvor abknöpft, können wir nicht mehr selber entscheidend ausgeben.

Freiheit konstituiert das Menschliche am Menschen

Insofern müssen wir verstehen, um was es eigentlich geht, wenn wir immer weitreichendere Forderungen an den Wohlfahrtsstaat stellen. Ein interessantes Zitat im Zusammenhang mit politischen Fragen, heute aktueller denn je, stammt von einem grausamen, politischen Ausnahmetalent, dem Begründer des Terrorregimes der französischen Revolution, Maximilien de Roespierre:
„Das Geheimnis der Freiheit liegt in der Bildung, während das Geheimnis der Tyrannei darin besteht, die Menschen dumm zu halten“ (Maximilien de Robespierre 1758-1794 – franz. Politiker, Revolutionär und Rechtsanwalt)

Darin liegen 2 essentielle Wahrheiten – erstens der Begriff der menschlichen Freiheit – und dann der Begriff der Bildung und damit auch der Wahrheit, als Schlüssel zu dieser Freiheit!

Wenn wir darüber nachdenken, dann war es immer der klassische Trade-off zwischen Freiheit, die eingetauscht werden muss, um ein angeblich höheres Gut zu erlangen: Wohlstand für alle – soziale Sicherheit – heute vor allem soziale Gerechtigkeit, etc.

Nun gut, könnte man sagen, dann geben wir halt ein bisserl unsere Freiheit auf, um diese wunderbaren Geschenke des Staates an seine Bürger, zu erhalten…. Aber NEIN!!!!

Denn damit geben wir zum Teil sogar unser Menschsein auf! Das zutiefst Menschliche selber, denn die Freiheit ist ein konstituierendes Element des Menschen!

Warum aber ist die Freiheit ein derart hohes Gut und begründet das ultimativ Menschliche? Kardinal Schönborn hat im Jahr 2013, bei einer Konferenz katholischer Politiker in Rom gesagt – die Freiheit ist das größte Geschenk Gottes an den Menschen!

Was sind die beiden wichtigsten Gebote: Liebe Gott mit Deinem ganzen Herzen – und liebe Deinen Nächsten, wie Dich selbst!

Wahre Liebe kann allerdings nur in vollkommener Freiheit geschenkt werden! Denn wie nennt man Liebe, die erzwungen oder erkauft wird? Nötigung, Vergewaltigung, Prostitution…!

Und weil wir wissen, dass wir nach Gottes Ebenbild geschaffen sind und Gott vollkommene Liebe und damit auch absolute Freiheit ist, muss wohl auch der Mensch, dessen höchstes Gebot die Liebe ist, auch der Freiheit ihren hohen Stellenwert zumessen!

Viktor Frankl, der Begründer der Logotherapie, der uns aufgerufen hat, in unserem Leben einen Sinn zu finden, schreibt in seinem Buch „Der unbewußte Gott“: Das wahre Menschsein beginnt dort, wo wir nicht mehr von unseren reinen Emotionen und Instinkten getrieben werden, sondern wo wir beginnen, aktiv Entscheidungen zu treffen und somit beginnen, für unsere Taten verantwortlich zu werden.

Der heilige Papst Johannes Paul II sagte einmal: Eine Welt in der alle Menschen Gutes tun, aber nicht, weil sie sich frei dafür entscheiden, sondern weil sie dazu gezwungen werden, ist der Hölle viel näher als dem Himmel!

Papst Benedikt XVI schreibt in seiner Enzyklika „Spes Salvi“: Weil der Mensch immer frei bleibt und weil seine Freiheit immer auch brüchig ist, wird es nie das endgültig eingerichtete Reich des Guten in dieser Welt geben. Wer die definitiv für immer bleibende bessere Welt verheißt, macht eine falsche Verheißung; er sieht an der menschlichen Freiheit vorbei. Die Freiheit muss immer neu für das Gute gewonnen werden. Die freie Zustimmung zum Guten ist nie einfach von selber da…. Gäbe es Strukturen, die unwiderruflich eine bestimmte – gute – Weltverfassung herstellen, so wäre die Freiheit des Menschen negiert, und darum wären dies letztlich auch keine guten Strukturen.

… und weiter: …der Zustand der menschlichen Dinge hängt in jeder Generation neu von der freien Entscheidung dieser Menschen ab. Wenn sie ihnen durch die Verhältnisse und die Strukturen abgenommen würde, wäre die Welt doch wieder nicht gut, weil eine Welt ohne Freiheit keine gute Welt ist.

Bereits der frühchristliche Theologe Origines (185-253/54 n.Chr.) sagte: „Gott will die Verwirklichung des Guten nur unter der Bedingung der Freiheit.“

Der Wohlfahrtsstaat zerstört die Freiheit

Allerdings wird genau diese Freiheit des Menschen durch unseren modernen Sozialstaat, den ich hier synonym setze, für das vorherrschende wohlfahrtsstaatliche Versorgungssystem, massiv in Frage gestellt, untergraben und abgeschafft! Das können wir schon an unverdächtiger Stelle, nämlich in Gabler’s Wirtschaftslexikon lesen, wo steht:

Der Wohlfahrtsstaat - In ihm genießt die staatliche Verantwortung für die Gewährleistung grundlegender Menschenrechte („sozialer Grundrechte“) und für die Daseinsvorsorge seiner Einwohner bei der grundsätzlichen Ausgestaltung der Sozialpolitik Vorrang vor der individuellen Eigenvorsorge…. Der Umfang staatlicher Umverteilungsmaßnahmen, bes. der gruppen- bzw. branchenbezogener Sondervergünstigungen weitet sich aus, verbunden mit wachsendem Interventionismus und zunehmender Reglementierung; ablesbar ist diese Entwicklung am Wachstum des Staatssektors (Staatsausgaben-, Steuer- und Sozialabgabenquote etc.) und dem Anwachsen des bürokratischen Staatsapparats. Negative Folgen sind das Sinken der Flexibilität und Dynamik des Marktmechanismus und der Anstieg der Schattenwirtschaft, verbunden mit zunehmender Inflationierung und anwachsenden Staatsdefiziten.

Als Ursachen für diesen Verlust an Freiheit und Zunahme der staatlichen Intervention, erwähnt Gabler: 1. den Erfolgszwang der politischen Entscheidungsträger, Wählerstimmen durch das Angebot immer weiterer (gruppenspezifischer) Staatsleistungen zu erlangen (Capture-Theorie); Es kommt zu regelrechten Überbietungswahlkämpfen – wer bietet noch mehr Sozialleistungen an… und 2. den wachsenden Einfluss organisierter Interessengruppen auf die Legislative zur Durchsetzung ihrer Sonderinteressen.

Der Wohlfahrtsstaat bezeichnet also einen Staat, der weitreichende Maßnahmen zur Steigerung des sozialen, materiellen und kulturellen Wohlergehens seiner Bürger ergreift.

Die Grundstruktur des europäischen Wohlfahrtsstaates wurde mit Einführung der bedeutendsten Sozialversicherungen (Rentenversicherung, Krankenversicherung und Unfallversicherung) gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen der Sozialreformen unter Reichskanzler Bismarck, gelegt. Allerdings zeigte sich bereits dort die eigentliche Grundintention dieser Reformen, als Entzug der Freiheit und Unterordnung des Menschen unter das staatliche Kollektiv. Es ging Bismarck nämlich vor allem darum, revolutionäre Tendenzen auszuschalten und damit sein Regime zu stabilisieren.

Die Peitsche der Repression, der Unterdrückung besonders der sozialdemokratischen Kräfte, hatte Bismarck schon seit 1878, mit seinem "Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie", dem berüchtigten Sozialistengesetz, eingesetzt. Nun wollte er die Arbeiter mit dem Zuckerbrot sozialer Sicherung ruhigstellen. Ein vom Staat gefördertes Versicherungssystem ermögliche es, so Bismarcks Credo, "in der großen Masse der Besitzlosen die konservative Gesinnung zu erzeugen, welche das Gefühl der Pensionsberechtigung mit sich bringt". Schlichter ausgedrückt: Ein Arbeiter mit Rentenanspruch taugt nicht mehr zum Revoluzzer. Im Gegenteil: Er akzeptierte diesen "staatssozialistischen" Schritt als unumgänglich. "Der Staatssozialismus paukt sich durch", vertraute er Parteigängern an, "jeder, der diesen Gedanken aufnimmt, wird ans Ruder kommen."

Kritik an diesem System des Wohlfahrtsstaates übte besonders der deutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard und bezeichnete ihn vor allem als individuelle Bevormundung sowie Einschränkung von Eigeninitiative und Verantwortung.[2] Beispielsweise führte Erhard dazu aus, dass „nichts unsozialer als der Wohlfahrtsstaat ist, der die menschliche Verantwortung erschlaffen und die individuelle Leistung absinken läßt.“

Erhards Entwurf einer Sozialen Marktwirtschaft war die Utopie einer entproletarisierten Gesellschaft von Eigentumsbürgern ohne Sozialversicherungen.

Der berühmte Sozialphilosoph Wilhelm Röpke betrachtet den Wohlfahrtsstaat als eine Fortsetzung des Sozialismus mit anderen Mitteln. Er sagte weiters: Wohlfahrtsstaaten sind wie progressive Besteuerung – wenn man einmal das zugrundeliegende Prinzip akzeptiert hat, gibt es in der Konzeption des Wohlfahrtsstaates nichts mehr, was ihn noch beschränken könnte.

Gemäßigte Sozialisten sehen den Wohlfahrtsstaat somit als das, was er tatsächlich ist und wie ihn schon Bismarck nannte, den Staatssozialismus durch die Hintertüre. So bezeichnete der Ökonom und ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt „ den weit ausgefächerten Wohlfahrtsstaat, den sich fast alle westeuropäischen Nationen von Sizilien bis zum Nordkap in ziemlich ähnlicher Weise geschaffen haben, als die bisher letzte große kulturelle Errungenschaft der Europäer“ und einen „unverzichtbaren Bestandteil der den Staaten der Europäischen Union gemeinsamen politischen Kultur“.

Der österreichische Publizist, Gewerkschaftler und Mitbegründer der Grünen, DDr. Günther Nenning brachte es dabei auf den Punkt, als er sagte: Als Sozialdemokraten wollen wir eigentlich den Sozialismus und als Sozialisten wollen wir eigentlich den Kommunismus nur das dürfen wir nicht so klar sagen, denn sonst wählt uns keiner mehr.

Der Wohlfahrtsstaat zerstört die Gesellschaft

Jedoch gehen die massiven Staatsinterventionen und der Aufbau wohlfahrtsstaatlicher Systeme mit hohen Kosten einher. Diese werden von unzähligen Studien weltweit dargestellt:

1) Ein Zusammenbruch der Solidarität – die gesellschaftliche Solidarität reduziert sich immer mehr auf staatliche Maßnahmen der Besteuerung und Umverteilung.

2) Negative Arbeitsanreize - schrittweise Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung und Rückgang des Wirtschaftswachstums – die europäischen Wohlfahrtsstaaten haben starke Anreize geschaffen einfach nicht mehr zu arbeiten.

3) Anwachsende Hürden für politische Reformen: Sklerotische politische Systeme, die massiv von ihrer Wählerschaft abhängig sind, deren Stimmen man sich zuvor mit sozialen Zugeständnissen erkauft hat, müssen immer neue Wege finden, diesen Wohlfahrtsstaat überhaupt noch zu finanzieren.

4) Die Steuer und Abgabenlast steigt damit auf immer unhaltbarere Höhen – die OECD zeigte Österreich im Jahr 2014, mit über 49% Abgaben, knapp vor Deutschland als jenes Land, mit der zweithöchsten Abgabenlast auf den durchschnittlichen Arbeiterlohn (und das noch vor allen Verbrauchssteuern und sonstigen Abgaben!)

Jedoch verliert jeder Euro, der aus der privaten Verfügung wegbesteuert und hernach durch staatliche Systeme gedreht wird, bis er wieder in das normale Wirtschaftsgeschehen zurückkommt, über 50% seiner Kaufkraft. Das bestätigen unzählige globale Studien.

Bereits der Vater des Staatsinterventionismus, John Maynard Keynes, sprach von einer maximalen Höchstgrenze von 25% der Wirtschaftsleistung, die ein Staat über Steuern und Abgaben abschöpfen und umverteilen dürfe. Ab diesem Bereich wäre die individuelle Freiheit ernsthaft in Gefahr und er, Keynes, würde massiv dagegen auftreten.

In Österreich ist, wie in vielen anderen EU Staaten, die 50% Grenze längst überschritten. Also müßten die katholischen Organisationen eigentlich, zusammen mit weiland Keynes, für massive Steuersenkungen eintreten, wenn sie der katholischen Soziallehre, der Lehre der Päpste und dem gesamten Lehramt, sowie der simplen Vernunft, treu bleiben wollten – sie tun allerdings häufig das Gegenteil.

5) Verlust an ethischen Werten innerhalb der wohlfahrtsstaatlichen Gesellschaften: Es stellt sich die Frage, ob Wohlfahrtsstaaten die Wertebasis ihrer Bürger stärken oder diese eher unterminieren? Die deutsche Ökonomin Karen Horn zeigt den Verfall der Werte in einem Wohlfahrtsstaat auf. Sie spricht von einer sich verändernden Mentalität bei den Menschen, da sich die Privatinitiative, die Eigenverantwortung, die Arbeitsmoral, etc. alle abschwächen. Wenn ein Staat große Geldmengen verteilt, dann weckt das Begehrlichkeiten bei den Bürgern – das führt dazu, dass jeder seinen Teil bekommen will und das wieder führt zu Sozialbetrug, negative Bedürfnissen und fördert so kriminelles Handeln.

Assar Lindbeck, Mitglied der schwedischen Nobelpreis-Akademie schreibt, dass die moderne Gesellschaft auf folgenden sozialen Normen aufbaut: Du sollst nicht stehlen, Du sollst nicht betrügen, Du sollst Deine Steuern brav bezahlen und nur die Sozialleistungen beziehen, auf die Du auch ein Anrecht hast. Aber je mehr ein Sozialsystem entwickelt ist, umso mehr führt es dazu, diese Prinzipien zu brechen, einfach durch die steigenden Opportunitätskosten von ethisch richtigem Verhalten. Lindebergs These ist: Der anwachsende Wohlfahrtsstaat zerstört die ethischen Normen seiner Bürger.

Friedrich Heinemann (Centre for European Economic Research) bestätigt diese These mit seinen empirischen Forschungen – je mehr Transferleistungen in einem System zu haben sind, umso niedriger wird die Moral innerhalb der Gesellschaft um so zu handeln, dass man ein Maximum herausbekommt. Er zeigt weiter, dass je älter die Menschen sind und damit noch vor dem massiven Aufbau des Wohlfahrtsstaates erzogen, umso höher sind ihre moralischen Schranken, sich hier zu bedienen. Je höher die Arbeitslosigkeit, umso niedriger auch die moralischen Barrieren.

6) Sinkende Geburtenraten: eine Studie des „National Bureau of Economic Research“ der USA zeigt, dass nahezu alle Staaten mit stark ausgebauten, staatlichen Pensionssystemen, Geburtenraten unterhalb der Erhaltungsrate haben (2,1 Kinder pro Frau)
Eine Studie aus dem Jahr 2007 über 50 Staaten zeigt, dass hohe Sozialabgaben und Beiträge zu den Pensionssystemen einen signifikant, negative Einfluss auf die Geburtenrate haben.

Früher mussten sich die Kinder um ihre Eltern, in deren Alter, kümmern. Diese Eltern wiederum hatten sich ja auch um sie gekümmert und sie großgezogen, als sie jung waren. Allerdings wurde diese traditionelle Verbindung und familiäre Abhängigkeit, durch die modernen Umlage-Pensionssysteme weitgehend gebrochen. Das führte zu einem weiteren Rückgang ethischer Werte, mit Blick auf den Zusammenhalt innerhalb der Familien und die gegenseitige, familiäre Verantwortung

Je älter die Bevölkerung wird, umso geringer ist allerdings auch die private- und die öffentliche Sparquote – eine stagnierende, wirtschaftliche Entwicklung macht die Bezahlung der staatlichen Pensionssysteme immer schwieriger und teurer. Das führt wieder zu höherer Besteuerung, die das verfügbare Haushaltseinkommen weiter senkt und damit auch den Kinderwunsch immer weiter reduziert.

Aber es kann doch nur der Staat die soziale Absicherung garantieren?

Ist das wahr? Das würde doch bedeuten, dass es vor dem Sozial = Wohlfahrtsstaat des 20.Jh keine Sozialfürsorge gab – sich also niemand um die Armen und Bedürftigen, um die weniger Glücklichen, gekümmert hat?

Warum gab es dann bereits im 19. vor allem in England die sogenannten „Friendly Societies“ – oder noch früher, ebenfalls in England, im 18.Jh, die auf James Dodson zurückgehenden „Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit“ oder die Genossenschaftlichen Vereine eines Robert Owen, wieder in England 1799 oder eines Friedrich Wilhelm Raiffeisen oder Hermann Schulze-Delitzsch, im Deutschland des 19.Jh.

Alles private Organisationen, die auf dem Versicherungsgedanken aufbauten und die Leistung vieler Mitglieder bündelten, um die Kosten der Fürsorge zu senken, effizienter zu machen und bedürftigen Mitgliedern zu helfen.

Die ersten „Friendly Societies“ des späten 18.Jh waren Hilfsvereine auf Gegenseitigkeit, die zuerst die Begräbniskosten eines Arbeiters oder seiner Familienmitglieder trugen. Im Laufe des 19.Jh. entwickelten sie sich radikal weiter und zahlten jeweils für den Arbeiter und seine ganze Familie: Berufsausfallsrenten nach Arbeitsunfällen, medizinische Versorgung, Lebensversicherungen und später entwickelten sie sich auch zu Spar- und Kreditvereinen, boten Feuerversicherungen oder Hypothekardarlehen an.

Im Jahr 1910, als in England der erste „National Insurance Act“ verabschiedet wurde, waren ¾ aller dortiger Arbeitskräfte, vom Ungelernten bis zum Hochqualifizierten, in derartigen Vereinen organisiert.

Diese Gesellschaften boten auch spezielle Ausbildungsprogramme zur Eigenverantwortung, Führungsaufgaben, oder Finanzplanung für die Familie, an.

Wichtig bleibt anzumerken, dass gerade die Werte des Christentums dazu führten, dass jeder, der es sich leisten konnte, andere Menschen sozial unterstützte. Der Dienst an den Armen und Bedürftigen, nach dem Gleichnis des barmherzigen Samariters und vieler ähnlicher Stellen in der Bibel, führte zu einer Vielzahl privater und kirchlicher Initiativen – heute kennen wir noch die Heilsarmee eines William Booth, die Caritas, die Knights of Columbus, die Malteser und viele andere!

Um 1890 gaben die meisten britischen Familien ca. 10% ihres Haushaltseinkommens an karitative Organisationen – damit war diese Ausgabenposition die zweithöchste, nach den Ausgaben für Nahrungsmittel.

Diese privaten Initiativen hatten außerdem den großen Vorteil, dass sie Innovationen und einen positive Wettstreit um die besten Ideen und die effizienteste Form der Versorgung lieferten – denn ineffiziente Anbieter wurden schnell vom Markt verdrängt und durch effizientere ersetzt. Hinter den meisten dieser Initiativen stand meistens nicht so sehr der materialistische Gedanken der besten Versorgung sondern diese sollte nur dazu dienen, den Menschen zu Gott zu führen, indem in “Gottes Auftrag” die Lebenssituation der Menschen verbessert wurde. Es ging also vorrangig um die Rettung der “Seelen”!

Aber mit dem Aufstieg des Sozialismus um die Wende zum 20.Jh begann sich all das zu verändern. Der christliche Gedanken trat sogar bei christlichen Institutionen in den Hintergrund und es ging vorrangig nur noch um das irdische Heil und Wohlergehen. Der Staat wurde immer mehr zum eigentlichen Träger sozialer Aktivität und Verantwortung.

Bis zum 1. Weltkrieg deckten diese privaten “Friendly Societies” das gesamte Spektrum der Sozialleistungen für ihre Mitglieder ab, die wir heute angeblich nur vom Sozialstaat erwarten können. Der modern Wohlfahrtsstaat hat dieses System dann zerstört, indem er die Gruppen zu regulieren begann, und gleichzeitig Steuern von allen Bürgern einhob, um ein nationales, staatliches Sozialversicherungssystem aufzubauen, das dann gratis soziale Leistungen anbot und somit zu einem Verdrängungswettbewerb (Crowding out) gegenüber den privaten Organisationen führte.

Die Menschen nahmen auch ihre private, soziale Verantwortung immer weniger wahr, da sie ja bereits immer höhere Steuern zahlten und damit der Meinung waren, ihren fairen Anteil zum Sozialsystem bereits beigetragen zu haben. Je höher die staatlichen Abgaben wurden, umso weniger privates Vermögen blieb dem Einzelnen auch für Spenden über.

Zusätzlich verließen sich immer mehr private Initiativen auf staatliche Subventionen für große Teile ihrer Services. Das führte zu anwachsenden, staatlichen Regulierungen und Überwachungen dieser Services und schlussendlich zu Vorschriften, die das christliche Element bei vielen Organisationen ganz verschwinden ließ (um nicht Anders- oder Nichtgläubige zu diskriminieren)

Von privatem Engagement zu staatlicher Kontrolle

Je mehr dieser staatliche Einfluß, besonders auch über die finanzielle Subvention mit Steuergeldern zunahm, umso mehr wurde die private Initiative und Entscheidungsmöglichkeit ausgeschaltet. Immer weitere gesetzliche Vorschriften führten zu einem Absterben privater Initiative, die immer weniger möglich war. Damit wuchs die staatliche Macht im Gleichschritt mit dem Verlust der freien und privaten Initiative.
Man spricht heute oft von einer Vermögensumverteilung von Reich zu Arm – die Wahrheit ist, dass es vor allem zu einer Machtumverteilung von der breiten Masse der Bevölkerung und ihrer privaten Initiative, hin zu einer immer größeren staatlichen Kontrolle und damit Macht einiger weniger Entscheidungsträger kommt.

Dieser ganze Themenbereich wurde besonders von dem französischen Sozialphilosophen Bertrand de Jouvenel, in seinem Buch “Die Ethik der Umverteilung“ (1951), herausgearbeitet. Er schreibt darin, dass unser Einkommen ja nicht nur unser Überleben sichert sondern uns auch als diejenigen definiert, die wir als Menschen sind, indem es uns ermöglicht, damit zu tun, was unseren Werten und Überzeugungen entspricht. Wie wir also unser Vermögen ausgeben, zeigt unsere Werte und gibt ein Beispiel für andere. Je mehr privates Vermögen den Menschen bleibt, umso mehr können sie in das investieren, was ihnen wichtig ist und damit eben auch in die Kunst, die sie schön finden, in karitative Initiativen, in Projekte der Gemeinschaft – ganz der katholischen Soziallehre entsprechend, kommt in diesen Gedanken das Subsidiaritätsprinzip und die Eigenverantwortung zum Ausdruck.

Wenn man allerdings einen Großteil seines Einkommens über Steuern und Abgaben abliefern muss, dann nimmt man dem Menschen ja auch seine Möglichkeit zu eigenverantwortlichem Handeln, zu dem Ausdruck seiner tiefsten Sehnsüchte, Wünsche, Werte, Überzeugungen, und vor allem auch seiner Hingabe für andere und damit seinem Dienst an der Gemeinschaft, der vielmehr kollektiviert wird und in der Anonymität des Staates untergeht. Genau dieses Leben in und für die Anderen, dieses freiwillige Geben und damit dienen, macht aber jede gute Gesellschaft aus und stärkt den Zusammenhalt und das gute Beispiel.

De Jouvenel schreibt weiter, dass die politischen Eliten mit dem Umverteilungs-Wohlfahrtsstaat ja auch einer unglaublichen Arroganz Ausdruck verleihen – sie halten den Bürger nämlich schlichtweg für zu dumm selber und eigenverantwortlich entscheiden zu können, was er mit seinem Geld tun und wie er seiner Verantwortung seinem Nächsten gegenüber nachkommen will. Also übernimmt der Staat die Verantwortung und die Entscheidung! De Jouvenel sieht hier die eigentliche Umverteilung – es gehe nämlich weniger um eine Umverteilung von den Reichen zu den Armen sondern um eine Umverteilung der Macht von den Bürgern, den einfachen Menschen, zu den politischen Eliten und Entscheidungsträgern.
Tatsächlich also ist der Wohlfahrtsstaat kontinentaleuropäischer Prägung mit dem christlichen Menschenbild nicht vereinbar. Er zerstört die Solidarität innerhalb der Gesellschaft und hebt das Subsidiaritätsprinzip auf. Er reduziert die individuelle Freiheit und Eigenverantwortung, er behindert die wirtschaftliche Entwicklung und zwingt die Menschen in staatliche Abhängigkeit. Nebenbei vernichtet er Volksvermögen und führt so zur Verarmung immer breiterer Bevölkerungsgruppen. Es wird Zeit, dass diese Mechanismen auch kirchlichen Repräsentanten klar werden und wir Bürger gemeinsam dagegen auftreten! Wir dürfen den Staat nicht weiter ausbauen sondern müssen ihn vielmehr auf sein notwendiges Maß zurückführen.

Christof T. Zeller-Zellenberg ist Mitarbeiter der kath.net-Redaktion. Er war 15 Jahre in der Deutschen Bank und dort Direktor für PWM REE. Er ist Ökonom, Investor und Vorsitzender des Europa Institut sowie Vortragender zu politischen Themen in aller Welt.


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