Historiker: EKD setzt beim Reformationsjubiläum auf Selbstprofilierung

18. April 2016 in Deutschland


Protestant Prof. Hölscher erhebt den Vorwurf, die EKD setze im theologischen Wettstreit mit der katholischen Kirche 2017 eher auf Abgrenzung und Selbstprofilierung statt auf Interesse am Gemeinsamen.


Bochum/Münster (kath.net/idea) Kritik an Stellungnahmen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum 500-jährigen Reformationsjubiläum 2017 hat der Historiker Prof. Lucian Hölscher (Bochum) geübt. Der Protestant schrieb vergangene Woche in der Süddeutschen Zeitung, dass die EKD im theologischen Wettstreit mit der katholischen Kirche – trotz vieler Lippenbekenntnisse zur ökumenischen Zusammenarbeit – 2017 eher auf Abgrenzung und Selbstprofilierung statt auf das Interesse am Gemeinsamen setze: „Als Alleinstellungsmerkmale protestantischer Glaubensidentität propagiert sie Formeln wie ,allein Christus’ (solus Christus) oder ,allein aus der Gnade Gottes’ (sola gratia) – so, als ob nicht auch die Katholiken Christus als ihren alleinigen Herrn bekennen würden. Und als ob sich der Streit, wodurch der Mensch vor Gott gerechtfertigt wird – durch seine guten Werke oder durch Gottes Gnade – nicht längst schon in ein ,sowohl aus auch‘ aufgelöst hätte.“ Laut Hölscher ist die „alte Frontstellung“ zwischen den Kirchen überholt und die Reformation als „existenzieller Glaubenskampf“ hinfällig. Aufgabe der Kirchen sei es, die Wunden zu heilen, die die Reformation geschlagen habe, etwa in der „wechselseitigen Anerkennung des eigenen Unrechts und in der Aufarbeitung der wechselseitigen Vorurteile“. 2017 wäre dafür ein geeignetes symbolisches Datum, so der Historiker.

Für eine neue Lesart der Reformation

Hölscher schlägt eine neue Lesart der Reformation vor, denn es habe reformatorische Aufbrüche in allen Konfessionen gegeben. Als Beispiel nennt er den katholischen Begründer des Jesuitenordens, Ignatius von Loyola (1491–1556): „Protestantische Reformation und katholische Reform gehören zusammen, sie bilden nur verschiedene Seiten des einen reformatorischen Aufbruchs an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit, als der Mensch in den Mittelpunkt der Weltbetrachtung, Christus ins Zentrum der Gottesverehrung trat.“ Eine solche Lesart helfe auch, der Reformation ihre „provinzielle Beschränktheit“ auf Wittenberg, Zürich und Genf zu nehmen: „Italienischer Humanismus, französische Religionskritik und spanische Spiritualität waren ebenso Teil des reformatorischen Aufbruchs wie der deutsche Kirchenkampf.“

Hölscher warnte zugleich, die Reformation als Geburtsstunde der modernen säkularen Gesellschaft zu feiern. Das sei bis heute von Protestanten zu hören. Damals habe aber die Gleichheit der Menschen vor Gott immer nur für Christen gegolten und nicht für Juden, Muslime oder „Heiden“: „An der Entstehung der modernen säkularen Gesellschaft waren außer Christen auch Juden, Humanisten und Freigeister beteiligt.“ Hölscher ist seit diesem Sommersemester erster Inhaber der „Hans-Blumenberg-Gastprofessor“ am Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Universität Münster. Sie ist nach dem Philosophen Hans Blumenberg (1920-1996) benannt und soll nach eigenen Angaben dazu beitragen, innovative Impulse aus der internationalen Forschung nach Münster zu bringen.


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