Gnade, Umkehr, Buße und Gerechtigkeit

27. Mai 2016 in Aktuelles


Benedikt XVI. – Licht des Glaubens: Umkehr ohne Buße? Zu einer falschen Interpretation der Gnade. Gott ist Gerechtigkeit und schafft Gerechtigkeit. Die Gnade löscht die Gerechtigkeit nicht aus. Von Armin Schwibach


Rom (kath.net/as) Benedikt XVI., aus der frei gehaltenen Predigt bei der heiligen Messe mit der Päpstlichen Bibelkommission, 15. April 2010:

„Halten wir noch bei einem weiteren Vers inne. Christus, der Heiland, hat Israel die Umkehr und Vergebung der Sünden geschenkt (V. 31) – der Begriff im griechischen Text lautet »metánoia« –, er hat Buße und Vergebung der Sünden gegeben. Das ist für mich eine sehr wichtige Feststellung: die Buße ist eine Gnade. Es gibt eine Tendenz in der Exegese, die sagt: Jesus hätte in Galiläa eine Gnade ohne Bedingungen, eine absolut bedingungslose Gnade verkündigt, somit auch ohne Buße, eine Gnade an sich, ohne menschliche Vorbedingungen. Doch dies ist eine falsche Interpretation der Gnade.

Die Buße ist Gnade; es ist eine Gnade, daß wir unsere Sünde anerkennen, es ist eine Gnade, daß wir anerkennen, der Erneuerung, der Änderung, einer Umformung unseres Seins zu bedürfen. Buße, die Möglichkeit, Buße zu tun, ist ein Geschenk der Gnade. Und ich muß sagen, daß wir Christen auch in der letzten Zeit oft das Wort Buße gemieden haben, es schien uns zu hart zu sein. Jetzt, unter den Angriffen der Welt, die von unseren Sünden sprechen, sehen wir, daß die Möglichkeit, Buße zu tun, Gnade ist. Und wir sehen, daß es notwendig ist, Buße zu tun, das heißt anzuerkennen, was in unserem Leben falsch ist, sich für die Vergebung zu öffnen, sich auf die Vergebung vorzubereiten, sich verwandeln zu lassen.

Der Schmerz der Buße, das heißt der Reinigung, der Umformung, dieser Schmerz ist Gnade, da er Erneuerung, Werk der göttlichen Barmherzigkeit ist. Und so entsprechen diese beiden Dinge, die der hl. Petrus sagt – Buße und Vergebung – dem Beginn der Verkündigung Jesu: »metanoeîte«, das heißt bekehrt euch (vgl. Mk 1,15). Das also ist der grundlegende Punkt: die »metánoia« ist keine Privatangelegenheit, die anscheinend durch die Gnade ersetzt wäre, sondern die »metánoia« ist die Ankunft der Gnade, die uns verwandelt“.


Gottes Gerechtigkeit, aus der Enzyklika „Spe salvi“, 44, 30. November 2007. „Die Gnade löscht die Gerechtigkeit nicht aus“:

„Der Protest gegen Gott um der Gerechtigkeit willen ist nicht dienlich. Eine Welt ohne Gott ist eine Welt ohne Hoffnung (Eph 2, 12). Nur Gott kann Gerechtigkeit schaffen. Und der Glaube gibt uns die Gewißheit: Er tut es. Das Bild des Letzten Gerichts ist zuallererst nicht ein Schreckbild, sondern Bild der Hoffnung, für uns vielleicht sogar das entscheidende Hoffnungsbild. Aber ist es nicht doch auch ein Bild der Furcht? Ich würde sagen: ein Bild der Verantwortung. Ein Bild daher für jene Furcht, von der der heilige Hilarius sagt, daß all unsere Furcht in der Liebe ihren Ort hat.[35]

Gott ist Gerechtigkeit und schafft Gerechtigkeit. Das ist unser Trost und unsere Hoffnung. Aber in seiner Gerechtigkeit ist zugleich Gnade. Das wissen wir durch den Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Christus. Beides – Gerechtigkeit und Gnade – muß in seiner rechten inneren Verbindung gesehen werden. Die Gnade löscht die Gerechtigkeit nicht aus.

Sie macht das Unrecht nicht zu Recht. Sie ist nicht ein Schwamm, der alles wegwischt, so daß am Ende dann eben doch alles gleich gültig wird, was einer auf Erden getan hat. Gegen eine solche Art von Himmel und von Gnade hat zum Beispiel Dostojewski in seinen Brüdern Karamasow mit Recht Protest eingelegt. Die Missetäter sitzen am Ende nicht neben den Opfern in gleicher Weise an der Tafel des ewigen Hochzeitsmahls, als ob nichts gewesen wäre.

Ich möchte an dieser Stelle einen Text von Platon zitieren, der eine Vorahnung des gerechten Gerichts ausdrückt, die in vielem auch für den Christen wahr und heilsam bleibt. Er spricht – gewiß in mythologischen Bildern, die aber unzweideutig Wahrheit sichtbar machen – davon, daß am Ende die Seelen nackt vor dem Richter stehen werden. Nun zählt nicht mehr, was sie einmal in der Geschichte gewesen waren, sondern nur das, was sie in Wahrheit sind. "Da hat er (der Richter) vielleicht die Seele eines [...] Königs oder Herrschers vor sich und sieht gar nichts Gesundes an ihr. Er findet sie durchgepeitscht und voll von Narben, die von Meineid und Ungerechtigkeit stammen [...] und alles ist schief voll Lüge und Hochmut, und nichts ist gerade, weil sie ohne Wahrheit aufgewachsen ist. Und er sieht, wie die Seele durch Willkür, Üppigkeit, Übermut und Unbesonnenheit im Handeln mit Maßlosigkeit und Schändlichkeit beladen ist. Bei diesem Anblick aber schickt er diese sofort in den Kerker, wo sie die verdienten Strafen erdulden soll [...] Manchmal aber sieht er eine andere Seele vor sich, eine, die ein frommes und ehrliches Leben geführt hat [...]; er freut sich über sie und schickt sie gewiß auf die Inseln der Seligen." [36]

Jesus hat uns zur Warnung im Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus (Lk 16, 19-31) das Bild einer solchen von Übermut und Üppigkeit zerstörten Seele gezeigt, die selbst einen unüberbrückbaren Graben zwischen sich und dem Armen geschaffen hat: den Graben der Verschlossenheit in den materiellen Genuß hinein, den Graben der Vergessenheit des anderen, der Unfähigkeit zu lieben, die nun zum brennenden und nicht mehr zu heilenden Durst wird. Dabei müssen wir festhalten, daß Jesus in diesem Gleichnis nicht von dem endgültigen Geschick nach dem Weltgericht handelt, sondern eine Vorstellung aufnimmt, die sich unter anderem im frühen Judentum findet und einen Zwischenzustand zwischen Tod und Auferstehung meint, in dem das endgültige Urteil noch aussteht.“



© 2016 www.kath.net