Vom Gebet als Antwort

10. Juni 2016 in Spirituelles


In diesem Bischofswort stütze ich mich nicht nur auf eigene Erfahrung, sondern auf die Erfahrungen von Glaubenden durch die Jahrhunderte, denen es nicht anders erging als vielen von uns. Von Bischof Heinz Josef Algermissen


Fulda (kath.net/pbf) Freundschaften können zerbrechen. Ehen können scheitern. Wie oft hört man dann als Begründung: „Wir hatten uns nichts mehr zu sagen…“ Sind solche bitteren Erfahrungen ein Schicksal, dem der Mensch ohnmächtig ausgeliefert ist? Nicht wenige scheinen es so zu sehen. Doch ist es wirklich zwingend, dass eine einstmals herzliche und tiefe Beziehung an Sprachlosigkeit zugrunde gehen muss? Gibt es tatsächlich keinen Weg zueinander?

Die Erfahrung lehrt: Es gibt einen Weg, derartige Krisen zu bestehen. Dieser Weg hat jedoch zur Voraussetzung, dass ein kleiner Rest Freundschaft, ein Funken Liebe noch vorhanden ist. Wo noch ein wenig Leben ist, kann die Wiederbelebung gelingen.

Gilt nicht auch Ähnliches für unsere Beziehung zu Gott? Mancher von uns hat sicher schon die bittere Erfahrung gemacht: Ich kann nicht mehr beten, habe Gott nichts mehr zu sagen. Meine stammelnden Versuche, mit ihm zu sprechen, kommen mir formelhaft und leer vor.

Und der eine oder andere fragt sich: Hat ein solches Sprechen mit Gott einen Sinn? Finden meine Gebete überhaupt einen Adressaten? Sind es nicht vielmehr Worte ins Schweigen hinein?

Wenn ich nun versuche, mit diesem Bischofswort Ihnen einige Ratschläge zu geben, stütze ich mich dabei nicht nur auf eigene Erfahrung, sondern auf die Erfahrungen von Glaubenden durch die Jahrhunderte, denen es nicht anders erging als vielen von uns.

Das Wesentliche ist der Glaube daran, dass Gott zuerst spricht. Nicht wir müssen also den Anfang finden, er hat den Dialog bereits eröffnet. Wir brauchen nur zu antworten. Wie aber kann die Antwort aussehen? Es muss vor allem eine ganz persönliche Antwort sein. Gott spricht nicht nur die Menschheit im Allgemeinen oder nur sein auserwähltes Volk an, er meint uns persönlich, Dich und mich. „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen“, sagt Gott durch den Mund des Beters im Alten Bund. Was Gott zu sagen hat, ist eine Nachricht, adressiert an meinen eigenen Namen.

Eine Nachricht, einen Brief muss man öffnen, seinen Inhalt zur Kenntnis nehmen. So ist es auch mit dem, was Gott uns zu sagen hat. Mit Blick auf Jesus ist das eigentlich nicht schwer: Wir können sein Wort vernehmen, wann immer wir wollen. Und an seinem Reden und Handeln können wir ablesen, wie wir mit Gott und miteinander umgehen sollen, wie wir beten können.

Jesus begibt sich immer wieder allein an stille Orte, um zu beten und die Zweisamkeit mit dem Vater zu pflegen. Er benötigt offenbar die Stille, um seine Sendung leben zu können. Das Gebet Jesu hat viele Facetten. Es kann einfach ein Ausruhen beim Vater sein (vgl. Mt 14,23). Oder er flieht vor der Menge der Menschen, zu der er gesprochen hat oder von der er sich bedrängt fühlt, etwa nach der Speisung der Fünftausend (Mt 24,23ff). Vor seiner Passion wird sein Gebet zur Rechenschaft vor dem Vater, aber auch zum großen Fürbittgebet für die Seinen (Joh Kap. 17). Schließlich wird das Gebet zum angstvollen Flehen vor seinem Leiden und zur Einwilligung in den Willen des Vaters (Mt 26,42ff).

All diese Formen und Inhalte des Gebetes sind auch allen Jüngern Jesu aufgetragen. In unser aller Leben gibt es Ölbergstunden. Ein Ölgarten kann die eigene, eingestandene oder uneingestandene Schwachheit, das eigene Versagen und die eigene Kleingläubigkeit sein. Ein weiterer kann sich am Leiden mit der Kirche und manchmal auch an der Kirche zeigen.

Indes wird mancher einwenden, was Christen immer wieder zum Vorwurf gemacht wird: Statt zu beten sollten sie lieber Hand anlegen zur Verbesserung der Verhältnisse. Doch seit wann sind das Gegensätze – Beten und Arbeiten? Und sind die Verhältnisse wirklich besser geworden, seit die Zahl der Beter, jedenfalls der christlichen Beter hierzulande, abnimmt und Aktionismus um sich greift? Wie kommt es, dass immer dann, wenn Bedrohungen die Menschen besonders ängstigen und erschrecken, viele den lange nicht gegangenen Weg in eine Kirche finden? Nicht wenige von ihnen allerdings mit der ernüchternden Erkenntnis, das Beten verlernt zu haben.

Diese Erfahrung darf uns natürlich nicht dazu verführen, Katastrophen herbeizuwünschen, um Menschen an Gott zu erinnern. Vielmehr muss und wird uns Christen die Not der Gottesferne so vieler Mitmenschen dazu bewegen, dass wir stellvertretend für sie vor Gott stehen. Damit sie eines Tages das Beten nicht neu lernen müssen wie eine Fremdsprache, sondern einfach einstimmen können, weil ihr vielleicht unbeholfenes Stammeln getragen wird von unserem beharrlichen Gebet.

In einer Zeit größter Not, mitten im Zweiten Weltkrieg, hat Reinhold Schneider, der Dichter der damals jungen Generation, gewusst:
Allein den Betern kann es noch gelingen,
Das Schwert ob unseren Häuptern aufzuhalten
Und diese Welt den richtenden Gewalten
Durch ein geheiligt Leben abzuringen.
Denn Täter werden nie den Himmel zwingen…

Foto Bischof Algermissen (c) Bistum Fulda


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