Betet ohne Unterlass - wie soll das funktionieren?

22. Juni 2016 in Kommentar


Nein, es geht darum, dass Paulus genau weiß, wie schön das Gebet sein kann. Ich denke, das ist der Hauptgrund, warum er es auch so nachdrücklich empfiehlt. Ein Beitrag von Dietmar Kramlich im Rahmen des Sommer-Schreibwettbewerbs von kath.net


Linz (kath.net)
Ich wohne in einem nicht ganz neuen, vielleicht sogar etwas altersmüden Haus. Wenn ich nachts nicht einschlafen kann, dann lausche ich manchmal, wie sich die Balken im Dach unter der Last ihrer Jahre etwas beugen. Man hört hier ein Knacken, und dort ein Knistern, es räkeln sich die Dielenbretter und springen die Fliesen; mal bröckelt hier der Putz, dann bröselt dort die Farbe, hängt diese Lampe schief, neigt sich jene Mauer…

Es ist eben ein Haus mit Ecken, Kanten und dem ein oder anderen Wehwehchen, die mit dem Alter so kommen. Ein Haus mit Macken und einer großen Schar fröhlicher Holzwürmer im Gebälk.... Ein Haus mit Charakter eben. Deshalb mag ich es eigentlich auch ganz gern, unser trautes Heim.

Es gibt allerdings Tage, da bin ich geneigt, auf meine Frau zu hören und das ganze Ding (zumindest im Geiste!) abzureißen.
…aber ich drücke mich vielleicht unverständlich aus.

Ich muss nämlich hinzufügen, dass eines meiner Hobbys der Modellbau ist! Also das Basteln an kleinen, ferngesteuerten Modellautos oder die Erschaffung funktionsfähiger Modellboote mit winzigsten Details. Winzigen Lämpchen, winzigen Türchen, zusammengehalten von winzigsten Schräubchen, kleinen Drähtchen und viel gutem Willen, Kleister und Kleber.

Und dabei geschieht es grundsätzlich immer im unpassendsten Augenblick, ganz kurz vor der Fertigstellung so eines Modells oder nachdem man stundenlang mit der Reparatur eines Autos verbracht hat, dass –schwupp!- so eine Schraube auf den Boden fällt und sich auf Nimmerwiedersehen verkrümelt.

Und natürlich ist es immer die wichtigste aller Schrauben, von der grundsätzlich auch immer nur eine vorhanden ist und deren Wiederbeschaffung Tage und Wochen und finanzielle Unsummen in Anspruch nimmt.

Und grundsätzlich, so als sei das eben die Natur der Dinge, kullern diese Kleinteile in irgendwelche Ritzen, von denen ein altes Haus leider viele hat.

Man glaubt gar nicht, WIE viele Ritzen, verborgene Spalten und Löcher es gibt. Sei es ein Riss im Beton, ein Astloch im Fußboden, Ritzen zwischen den Dielenbrettern, Zwischenräume in der Wandverkleidung, ein etwas lose sitzender Teppichboden, ein Mauseloch, und, und, und…
So winzig diese Hohlräume auch scheinen: ich bin der festen Überzeugung, dass man ganze Wagenladungen an Kleinteilen darin verstecken könnte! (Nebenbei: ich bin auch überzeugt, dass es durch bislang wenig erforschte Naturgesetze möglich ist, unendlich viel Staub unter Teppiche zu kehren. Aber das ist ein anderes Thema). Egal, wie viele Schrauben ich in meiner Bastelstube schon verloren habe – in den Bodenfugen ist immer noch Raum für mehr! Man möchte meinen, irgendwann sei das Fassungsvermögen dieser Spalten erreicht und irgendwo müssten all die verlorenen Kleinteile der letzten Jahrzehnte herausquellen – aber nein. Es gibt immer Raum für noch mehr Verluste. Die Theorie der Schwarzen Löcher wurde sicher im Bastelkeller eines Physikers gefunden.

Nun fragt sich der geneigte Leser und die geneigte Leserin vielleicht: welcher spezifisch, geistliche Nutzen lässt sich aus einem offenbar nicht ganz sauberen Bastelkeller in einem offenbar nicht ganz neuwertigen Gebäude ziehen?

Als Antwort hierauf ein kleines Zitat von Paulus: „Betet ohne Unterlass…“ (1. Thess. 5,17).

Der Zusammenhang wird vielleicht noch nicht auf Anhieb deutlich.

Aber der Reihe nach. Das ist eine der Bibelstellen, die für einen normal werktätigen Menschen immer etwas unangenehm sind. Sicher, man kann sich an dieser Stelle dann auch gern auf den Hl. Benedikt berufen, der die tägliche Arbeit ebenfalls als Gebet sieht, bzw. empfiehlt, sie auch als Gebet Gott darzubringen – aber wirklich befriedigend ist das oft nicht.

Vor allem dann nicht, wenn ich mit heimlicher Sehnsucht und leisem Neid an meine Freunde denke, die das Gebet, den Gottesdienst zu ihrem Hauptberuf gemacht haben.

Ja, so ist das, meine Freundinnen und Freunde, die ihr euer täglich Brot mit dem Schönsten verdient, was es für einen Christen geben sollte – dem Gespräch mit Gott. Und ich spreche jetzt nicht davon, dass es um eine bestimmte geistliche Leistung geht, darum, dass nur der ein echter Christ ist, der im Minimum 20 Stunden pro Tag betet (und die restlichen vier Stunden fastet).

Nein, es geht darum, dass Paulus genau weiß, wie schön das Gebet sein kann. Ich denke, das ist der Hauptgrund, warum er es auch so nachdrücklich empfiehlt.

Nun ja, da hilft alles Lamentieren nichts, meine Berufung ist eben eine andere. Und doch, und doch… wie schön wäre es, wenn… ach, hätte ich doch nur mehr Zeit…

Genau an dieser Stelle treffen sich das Zitat von Paulus und meine verlorenen Bastelutensilien.

Als sich vor Jahren immer mehr Ansprüche, Termine und Verpflichtungen in mein Leben zu drängen begannen und ich nicht mehr wusste, wohin ich zuerst rennen, was ich zuerst anpacken und an welche Wand ich zuerst meinen Kopf anrennen sollte, da habe ich mir einmal die Mühe gemacht, einen sauberen Wochenplan aufzustellen. Ich trug dort alle fixen Termine ein (Arbeit zum Beispiel oder auch ein wenig Schlaf dann und wann), Zeiten für Familie, für Freunde, alle Dinge, die ich gern erledigen sollte und alle die Zeiten, die ich einfach frei halten wollte. Das half mir persönlich, in meinem Leben ein wenig Ordnung zu schaffen und einen Überblick über alle „to-do´s“ zu gewinnen.

Als ich damit fertig war, war ich etwas traurig. Nur zwei etwas größere Zeiten pro Woche (vom Sonntag mal abgesehen) hatte ich für Gott gefunden. Nicht gut. Nein, gar nicht gut.

Wahrscheinlich sogar sehr
schlecht. In jedem Fall recht wenig. Dachte ich zumindest.

An dieser Stelle half mir paradoxerweise mein maroder Fußboden über diese Trauer hinweg. Denn auch mein Alltag ist voller geheimer Ritzen, Spalten und kleiner Löcher. Zeitlich gesehen.
Kleine Zeiten, die in keinem Wochenplan der Welt aufgeführt werden können, die keine Zeiterfassung misst und die sich von selbst ergeben. Ungeplant, unabsichtlich, ungewollt, unvermeidlich.

Ein Beispiel: in meinem Wochenplan steht „Arbeitsbeginn um 6:30 Uhr“.
Nun, um ehrlich zu sein, betrete ich zwar um 6:30 Uhr meinen Arbeitsplatz. Aber dann muss ich erst einmal über eine Treppe und zwei lange Korridore zu meinem Büro marschieren. Macht zwei Minuten und sieben Sekunden ungenutzter Zeit.

Im Büro muss ich meinen Computer hochfahren. Da es sich um einen älteren Windows-Rechner handelt, macht das noch mal drei Minuten und 18 Sekunden ungenutzter Zeit. Im Lauf des Vormittags gehe ich mindestens einmal an den Kopierer. Die geistliche Anstrengung beim Kopieren ist mäßig bis nicht vorhanden – ich habe also weitere zwei bis fünf Minuten Zeit zur halbwegs freien Verfügung.

Und so weiter und so fort. Der ganze Tag ist voller solcher Zeit-Ritzen. Von der Zeit auf dem Klo bis zum Stau auf der Autobahn. Von der Schlange an der Supermarktkasse bis zur Halbzeitpause einer Fußballübertragung.

Es ist so viel wertvolle Zeit, die einfach verstreicht. Die man verstreichen lässt. Und von der man sich am Ende des Tages fragt, wo sie denn geblieben ist. Ich weiß, es klingt wie ein billiges Klischee: aber ich habe tatsächlich sehr viele gute Gespräche mit Gott unter der Dusche geführt! Und mindestens ebenso viele, während ich den vermoosten Rasen vor unserem Haus gemäht habe. Ungeplant und außerhalb der von mir im Wochenplan fixierten „Bürostunden“ für geistliche Gespräche.

Ich habe festgestellt, dass ich, ohne mich im Mindesten unter Druck zu setzen oder irgendeine meine sonstigen Pflichten zu vernachlässigen, täglich eine gute Stunde Zeit habe, um mit Gott zu sprechen. Alle kleinen und kleinsten Pausen zusammengerechnet.

Damit jetzt nur niemand auf den Gedanken kommt, der liebe Dietmar würde JEDE freie Sekunde im Gebet verbringen, oder dass es letztendlich doch um geistliche Leistung ginge: nein, ich bete nicht jeden Morgen, während mein PC hochfährt. Es gibt Tage, da wanke ich im Halbschlaf durch die Gänge auf meinen Arbeitsplatz zu und bin ich schon froh, die Augen halbwegs geöffnet zu halten. Da will ich durchaus und mit niemandem sprechen, noch nicht mal mit Gott.

Und nein, auch auf dem Klo tue ich oft anderes als mit Gott zu sprechen. Da lese ich auch gern mal ein Comicheft. Aber ich bin schon dankbar, dass ich diese Ritzen gefunden habe, in denen ich beten könnte, das relativiert den Neid auf meine Freunde im Gebetshaus.

Es sind nicht die langen und großen Gebetszeiten, die darüber entscheiden, ob ich wirklich „ohne Unterlass“ bete. Es sind zusammengerechnet sicher die vielen, vielen kleinen und kleinsten Gebete, die unterm Strich das Schwergewicht bilden.
Die Gelegenheiten, die herum liegen, über die man stolpert. Wie über eine Teppichfalte.
...womit ich auch wieder bei der Ausgangssituation wäre.
Zeit fürs Gebet!

P.S. *Ehre, wem Ehre gebührt! Der Begriff „Ritzen des Alltags“ stammt nicht von mir, sondern aus einer Predigt, die Pater Ernst Sievers auf der MEHR-Konferenz des Gebetshauses Augsburg 2009 gehalten hat. Einen treffenderen Begriff hätte ich kaum finden können.

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Dietmar Kramlich ist Hobbyautor, u.a. des Buches "Glaube, Hoffnung, Hiebe", erschienen bei D&D Medien.
Er ist verheiratet und Papa eines großartigen Jungen und einer aufgeweckten Tochter. Gegenwärtig auch als Verwaltungsbeamter beim Freistaat Bayern.


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