Komplizierte Schwestern

15. Juli 2016 in Spirituelles


Jesus kehrt bei Maria und Marta ein. Für die eine heißt es laufen, organisieren, Tisch decken, Speisen zubereiten. Für die andere hinsetzen, erzählen, zuhören. Die eine ist Ruhe in Person, die andere Unruhe. Von Bischof Heinz Josef Algermissen


Fulda (kath.net/pbf) „Wort des Bischofs“ zum Sonntag, 17. Juli 2016

Der Evangelist Lukas erzählt im 10. Kapitel seines Evangeliums (Verse 38-42), dass Jesus in ein Haus einkehrt. Dort wohnen zwei Frauen, Marta und Maria, Schwestern, doch grundverschieden in ihrem Temperament. Und darum reagieren sie auf denselben Besuch ganz unterschiedlich. Für die eine heißt es laufen, organisieren, Tisch decken, Speisen zubereiten. Für die andere hinsetzen, erzählen, zuhören. Die eine ist die Ruhe in Person, die andere die Unruhe. Und beide gehen sich, unterschiedlich wie sie sind, natürlich schwer auf die Nerven, nicht nur wenn Besuch da ist. Aber bei der unruhigen Marta reißt der Geduldsfaden eher. „Siehst du nicht, Herr, wie sie mich wieder im Stich lässt? So macht sie es immer. Sag du ihr bitte, dass sie mir helfen soll!“ (vgl. Vers 40).

Wir wissen um die Antwort Jesu, wie Lukas sie berichtet: „Marta, Marta, du machst dir viele Sorgen und Mühen. Aber nur eines ist notwendig. Maria hat das Bessere gewählt.“ (Vers 41).

Wie kommt Jesus zu dieser überraschenden Antwort? Wird er Marta damit wirklich gerecht? Was ist denn falsch an ihrer Fürsorglichkeit? Würde sie nichts vorbereiten, gäbe es nichts zu essen.

Vielleicht finden wir eine Antwort, wenn wir einmal von dieser Textstelle absehen und uns von ganz woanders her sagen lassen, was an der Unruhe bedrohlich ist und wie man zur Ruhe finden kann.

Ein frühchristlicher Wüstenmönch wurde einmal gefragt, wie er es fertigbringe, in allen Situationen die Ruhe zu bewahren. Er antwortete: „Wenn ich sitze, sitze ich, wenn ich stehe, stehe ich, wenn ich gehe, gehe ich.“ Darauf antwortete der, der ihn gefragt hatte: „Das kann es doch nicht sein, das tu ich auch.“ Darauf gab der Mönch zur Antwort: „Nein, das tust du eben nicht. Wenn du sitzt, dann stehst du schon, wenn du stehst, dann gehst du schon, wenn du gehst, dann bist du bereits am Ziel angekommen.“

Wenn wir dieses Wort bedenken, liegt das Geheimnis der Ruhe und Sammlung darin, immer nur eine Sache zu tun. Und die aber ganz. Die innere Wurzel der Unruhe liegt indes darin, immer zwei Dinge zugleich zu tun: Telefonieren und Akten lesen, Auto fahren und Radio hören, sich unterhalten und dabei gleichzeitig ins Fernsehen schauen, einschlafen und schon den nächsten Tag planen, miteinander sprechen und dabei auf die Uhr schauen, zuhören und gleichzeitig die Gäste bedienen wollen.

In Wirklichkeit gibt es keinen Menschen, der zwei Dinge zugleich tun, zwei Aufgaben zugleich gerecht werden kann. Natürlich, man kann mehrere Sachen gleichzeitig managen, aber das fordert immer seinen Preis: Man bleibt in beiden Bereichen an der Oberfläche, kommt nirgends wirklich in die Tiefe, entdeckt nichts Neues, sondern findet nur wieder, was man vorher schon wusste. Unruhe, Zerrissenheit und Spannung sind die Folgen. Dabei wird das alles gewaltsam verdrängt mit den Worten „Verantwortung“ und „Pflicht“.

Ganz im Innern ist Marta darum aggressiv gegen Maria, weil sie sehr wohl spürt, dass sie selber auch den Teil wählen möchte, den Maria wählt.
Jesus mahnt: „Nur eines ist notwendig“ (Vers 42). Eines nur ist von dir gefordert. Und darum kannst du auch nur, wenn du dich auf dieses Eine ganz einlässt, Gott begegnen, der nicht ein Gott der Unruhe und des Vielerlei ist, sondern „ein Gott des Friedens“ (1 Kor 14,33).

Also, wenn du krank bist, erlaube dir, krank zu sein. Wenn du schläfst, erlaube dir zu schlafen. Wenn du arbeitest, sei ganz und gar bei deiner Arbeit. Wenn du mit jemandem sprichst, sei bei dem, mit dem du sprichst. Du brauchst nicht zwei Dinge gleichzeitig zu tun, darfst wählen: „Eines nur ist notwendig.“ Du kannst Gott finden, wo du in die Tiefe gehst, nur nicht zwischendrin und an der Oberfläche. Nicht auf dem Sprung, nicht auf der Treppe, auch nicht mit halbem Ohr.

Foto Bischof Algermissen (c) Bistum Fulda


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